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Opernwelt |
Hanspeter Renggli |
La Damnation de Faust, Genf, 13. Juni 2003
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Fausts Sündenfall
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Mit Berlioz‘ einzigartiger Fassung der Faust-Tragödie ist
auch die besondere Herausforderung für die Bühne vorgegeben: Das Werk ist
Oratorium, szenisches Mysterium und Orchesterphantasie in einem. Nur eines
kennt es kaum: eine lineare Geschichte, die sich als einfache
Spielhandlung inszenieren ließe. Der französische Regisseur Olivier Py und
der Bühnengestalter Pierre-André Weitz haben eine aufregende, weil
zugleich provokative, aufstachelnde und zauberhaft-fantasiereiche
Inszenierung geschaffen.
Ihnen
standen mit dem jungen Dirigenten Patrick Davin, insbesondere aber mit
Jonas Kaufmann (Faust), José van Dam (Méphistophélès) und Katarina Karnéus
(Marguerite) zwei Interpreten und eine Interpretin zur Seite, die für
einmal den Euphemismus der ldealbesetzung zulassen. Der junge deutsche
Tenor Jonas Kaufmann verbindet die ihm ohnehin nahe liegende lyrische
Verinnerlichung mit einer Byron‘schen Expressivität, wie sie junge Sänger
selten zu formen wissen. Wirkt seine Stimme auf einmal brüchig, so ist
dieser Charakter gezielt eingesetzt. Daneben lässt Kaufmann sie auch
strahlen, sobald die «andere Seele» dieses so überaus französischen, an
«ennui» leidenden Faust sich Gehör verschaffen will, Karnéus‘ Mezzo
wiederum weiß die Sinnlichkeit, durch die der Komponist sein «Gretchen»
zur begehrenswerten wie begehrlichen Frau umdeutete, eindrücklich zu
vermitteln. Van Dams Méphistophélès schließlich ist ein Verführer und
Zauberer, der bald mit Komik unterhält, bald in gewalttätiger Pose
befiehlt. Der musikalische Leiter Patrick Davin, ein im deutschen
Sprachraum noch wenig bekannter Boulez-, Cambreling- und Berio-Schüler,
meisterte die rhythmischen und klanglichen Finessen dieser
Berlioz-Partitur brillant, wobei er nicht verhindern konnte, dass den
großen Chören der Genfer Oper und des Orpheus-Chors aus Sofia die bei
Berlioz besonders heiklen rhythmischen Schichtungen stellenweise etwas
Mühe bereiteten.
Py und Weitz haben in ihrem Faust-Mythos einen
nihilistisch-perspektivischen Ansatz gewählt. Das bedeutet, dass alle
Aussagen und Bilder auch ihr Gegenstück und Gegenbild besitzen. So tritt
Méphistophélès als Photograph auf, der bloß Abbilder, keine Wahrheiten
zeigt. Und er macht Faust zu seinem Alter Ego. Dafür setzt die Regie
einfache, aber sehr wirkungsvolle Licht- und Spiegeleffekte ein. Die tiefe
emotionale Gestaltung durch die drei Sänger erfährt zudem auf einer
zweiten Ebene eine tänzerisch-mimische Auslegung. Elf Tänzerinnen und
Tänzer interpretieren Fausts Betrachtungen über die Natur und die
Gesellschaft mit assoziativen Bildern aus der Schöpfungsgeschichte, aus
der Passion Jesu, aber auch aus aktuellen Bildern von Gewalt und Krieg. Da
herrscht außerordentlich viel und überdies eine rigoros-präzise Bewegung.
Namentlich die biblischen Allegorien, darunter insbesondere die
Kreuzigungsszene — zweifellos aggressive, aber durchaus sinnfällige
Bildelemente — verletzte in Genf bei manch älteren Opernfreunden religiöse
Gefühle, so dass beim ersten Vorhang ein beträchtlicher Teil des erzürnten
Publikums die Theaterleitung laut zu mehr Achtung und Schamgefühl aufrief.
Die Nacktheit der Tänzer schien den Unmut eines Publikumsteils
offensichtlich noch gesteigert zu haben. Jegliche noch so dezente
Kostümierung hätte hier indessen weniger direkt, allenfalls sogar
artifiziell gewirkt. Dass dagegen Fausts Höllenritt parallel mit dem
Zelebrieren einer schwarzen Messe einherging, regte das calvinistische
Publikum kaum mehr auf, hatte doch bereits Maurice Béjart dieselbe Szene
von Berlioz in einer Aufsehen erregenden Version von 1961 mit ähnlichen
Symbolen belegt.
Wie man sich auch immer zu einer derart herausfordernden Bildsprache auf
der Bühne stellen mag, Olivier Py hat mit dem Genfer Team eine starke und
nachhaltige Deutung geschaffen. Da die dämonischen wie apotheotischen
Chöre im letzten Teil wieder zu einem kompakten Klang gefunden haben — mit
zum Teil faszinierenden Raumwirkungen —‚ darf auch die musikalische
Interpretation insgesamt als herausragend gewertet werden. |
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Foto: Archives du Grand Théâtre de Genève |
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