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Salzburger Nachrichten,
28.07.2003 |
Von Christoph Lindenbauer |
Die Entführung aus dem Serail, Salzburg 2003
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Buh und Bravo für Herheims „Entführung”
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SALZBURG (SN, APA). Dass der junge norwegische Regisseur
Stefan Herheim vermutlich keine brave Inszenierung abliefern werde, war
klar, die Konsequenz, mit der er Mozarts Singspiel "Die Entführung aus dem
Serail" deutete, überraschte das Premierenpublikum am Sonntag Abend bei
den Salzburger Festspielen aber dennoch. Am Ende Buh- und Bravorufe, kein
Skandal, aber Widerspruch und Amüsement.
Das Schlechte, weil unvermeidbar, gleich vorweg: Das Mozarteum Orchester
unter seinem designierten Chefdirigenten Ivor Bolton war an manchen
Stellen laut, undifferenziert und brauchte einfach zu lange, um die Tempi
der Sänger aufzunehmen. Iride Martinez als Konstanze und Diana Damrau als
Blonde sangen und agierten gut, begeisterten aber nicht im Mindesten.
Nicht eine der großen Arien geriet zum außergewöhnlichen Ereignis. Jonas
Kaufmann als Belmonte und Dietmar Kerschbaum als Pedrillo hatten zumindest
den Vorteil der deutschen Muttersprache in den zum Teil reichlich
aufgeblasenen Dialogen. Einzig Peter Rose gab einen pfiffigen und in allen
Lagen sauberen Osmin.
Die Ästhetik dieser Herheim-Inszenierung auf der Bühne und in den Kostümen
von Gottfried Pilz erinnerte an den "Kusej-Don Giovanni" in schwarz/weiß:
Reizwäsche ohne Ende, zur Abwechslung Brautkleid und Frack in ständigem
Bühnendrehen. Schade, da wäre Originelleres drin gewesen. An anderer
Stelle wirkte die Oper überladen, Herheim erwischte zu viel des Guten.
Aber jetzt genug, denn diese Entführung ist mehr, viel mehr.
Nichts ist in dieser Inszenierung wie gewohnt und doch ist das Fremde
vertrauter als sonst. Herheim erzählt die Entführung neu, aufregend anders
und in sich schlüssig. Auch wenn das Orientalische - Symbol für das Fremde
schlechthin - als Bürgerschreck keineswegs ausgedient hat, Herheim
interessiert sich weder für eine Entführung in das fremde Land noch für
den Serail. Er verlagert den Konflikt über Treue in die Menschen selbst.
Das Fremde sind in dieser Inszenierung die eigenen Ängste und die ewige
Unerforschlichkeit des geliebten Partners. Wie viel an Macht darf die
Liebe kosten?
Ist Treue überhaupt möglich, was wiegt schwerer? Die Treue zu sich selbst
oder die Treue zum anderen? Auch Mozart wirft vor diesem menschlichen
Dilemma das Handtuch und antwortet mit einer allgemeinen Huldigung an die
Liebe. Folgerichtig wird bei Herheim dann in Arbeitsklamotten geheiratet,
die Träume von Liebe und Glück verschwinden per fliegendem Teppich, die
reale Beziehung liegt gefesselt am Sofa und hofft auf ein Wunder aus dem
Fernsehapparat.
Für Botschaften wie diese opfert Herheim viel. Die Handlungsebenen und
Figuren dieses eigentlich simplen und stringenten Singspiels verschwimmen
auf (großteils brillanten) Videoprojektionen von Momme Hinrichs und Torge
Möller im Stil von Popkonzerten oder verdichten sich zu
tiefenpsychologischer Vielschichtigkeit.
Osmin ist nicht mehr bloßer Aufseher, sondern der Macho in Belmonte,
Pedrillo, das "Alter Ego", kämpft den vorehelichen
Polterabend-Überlebenskampf, Blonde ersetzt als personifizierte Etikette
den Bassa Selim, Konstanzes Jugendideal will sich mit dem Traummännchen
aus dem Supermarkt nicht zufrieden geben, alles gerät aus den Fugen und
dennoch: Über die theatralischen Mittel des Regietheater-Regisseurs
Berliner Prägung, Stefan Herheim, kann man streiten, aber seine Botschaft
ist klar verständlich: Das Fremde sind wir selbst.
Sollte die Operngeschichte diese Entführung je als Blödsinn entlarven, es
ist zumindest der intelligenteste Blödsinn, den die Festspiele seit langem
gesehen haben. |
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