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Basler Zeitung, 14. 01. 2003 |
Von Sigfried Schibli |
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
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Trauer muss Elektra tragen, bevor Idomeneo die Axt hebt
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Mit Klaus Michael Grüber und
Christoph von Dohnányi: Mozarts «Idomeneo» am Zürcher Opernhaus |
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Mozarts Oper «Idomeneo, Rè di Creta» war schon
für verschiedene Wenden gut. Zuerst für den Komponisten: Der 25-jährige
Mozart fand damit seinen unverwechselbaren Opern-Ton. Als das Stück im 20.
Jahrhundert aus einem viele Jahrzehnte währenden Tiefschlaf erwachte, glich
dies der zweiten Geburt des «Idomeneo» - eine Wiederentdeckung, an der Paul
Sacher nicht unschuldig war und die 1980 vom Dirigenten Nikolaus Harnoncourt
und dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle in Zürich triumphal vorangetrieben
wurde.
Dass Idamante ein Mann ist, der von einer Frau gesungen wird, dass die
Hörner auch mal krachen dürfen, dass das extrem Langsame und das dramatisch
Aufgeheizte ihren Platz in Mozarts Oper haben, dass diese Opera seria auch
das Erzählen ganz heutiger Geschichten erlaubt, wie Nigel Lowery es am
Theater Basel vorgeführt hat - dies alles weiss ein breiteres Opernpublikum
seit dieser Mozart-Wende. Und heute, nach der jüngsten «Idomeneo»-Premiere
am Opernhaus Zürich: Soll man, muss man erneut von einer Wende im Zeichen
des «Idomeneo» sprechen?
Auf der Bühne ein paar angedeutete antike Trümmer, das Meer ein blau
bemaltes Tuch, die Göttererscheinung des Neptun wie aus dem Gipsatelier, die
Sänger in statischen Arrangements auf der Bühne verteilt, und im Graben ein
Dirigent, der zu den «Big Names» der heutigen Dirigentenszene gehört, aber
mit historischer Aufführungspraxis rein gar nichts am Hut hat: Da scheint
doch das Rad der Opern-Zeit um ein paar Zacken zurückgedreht worden zu sein.
Christoph von Dohnányi, der Mann im Graben, ist ein moderner Musiker. Das
hat er mit Interpretationen von Musik aus dem 19. und 20. Jahrhundert, etwa
seinen Bruckner-Aufnahmen, hinlänglich gezeigt. Dass er kein ausgesprochener
Mozart-Spezialist ist, braucht kein Nachteil zu sein. Er mag straffe, auch
rasche Tempi, er gestaltet die Ensembles mit auffälliger Delikatesse,
kultiviert das Leise, Geglättete und nimmt in Kauf, dass die Sängerin der
Elettra - sie trägt Trauer, bevor sie um ihr Schicksal weiss - in der
F-Dur-Arie «Tutte nel cor» atemlos wird, gar versingt.
Bebende StImmen
Elettra, in der Zürcher Aufführung von Luba Orgonasova dargestellt, fand in
der Premiere rasch die Fassung wieder und sorgte für ein paar vokale
Highlights in der an musikalischen Reizen reichen Produktion («Idol mio»).
Ihr Widerpart, die trojanische Prinzessin Ilia, wird von Malin Hartelius mit
eher kleiner, sehr beweglicher Stimme gesungen, die im dritten Akt etwas an
Präsenz nachliess, nachdem ihr noch die Arie «Se il padre perdei» berückend
gelungen war. Liliana Nikiteanu ist Idamante: mit stets leicht bebendem
Mezzosopran eine gewinnende, an Intensität niemals nachlassende Darstellung
dieses kretischen Prinzen, der geopfert werden soll, nachdem er als erster
Mensch dem schiffbrüchigen König Idomeneo begegnet ist - seinem Vater.
Exzellent auch die Besetzung des Kreterkönigs: Jonas Kaufmann singt ihn mit
kernigem, gut gestütztem in allen Lagen ausgeglichenen Tenor. Dass seine
Koloraturen bisweilen mörderisch sind, ist nicht zu überhören. Chor und
Orchester des Opernhauses leisten Beachtliches, wobei die Chöre nicht immer
den Tempi des Dirigenten folgen.
Leblose Szene
Klaus Michael Grüber - der Name dieses Regisseurs ist von einer Aureole des
klassischen Regiehandwerks umgeben. In der Tat erlebt man in Zürich eine
Inszenierung ohne aktualisierende Tendenzen und ohne einengendes Bühnenbild
(von Gilles Aillaud); allerdings auch ohne Inspiration. Das Sängerpersonal
hätte Raum, sich zwischen den antiken Bauklötzen gestisch zu entfalten, doch
bleibt Grübers Personenführung im Rudimentären stecken. Manche Gesten
wirken. zufällig, am störendsten im Duett der beiden Kreterinnen, deren eine
starr dasteht, während die andere munter gestikuliert.
Auch die Protagonisten kommen szenisch nicht zur Entfaltung. Grüber kann
sich nicht zwischen Statuarik und Realismus entscheiden. Wenn Idamante im
dritten Akt vor Ilia tritt, um seine Todesbereitschaft anzukünden, meiden
die Liebenden demonstrativ den Blickkontakt. Später hebt Idomeneo mehrmals
die Axt, um erst Idamante, dann Ilia zu töten, bis der Spruch des Himmels
Einhalt gebietet, und die Neptun-Statue versinkt im Boden. Konventionell ist
auch Ilias Eingriff in das Tötungsritual gestaltet, mit wilden Blitzen und
Lichteffekten. Was die Frage von wahrhaft antikischer Tragweite provoziert:
Hatte Grüber keine Ideen, oder konnte er sie nur nicht umsetzen? |
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