Aargauer Zeitung, 14. 01. 2003
CHRISTIAN BERZINS
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
Ein Neptun ohne Zornesfalten
Opernhaus Zürich Klaus Michael Grüber inszeniert W. A. Mozarts «Idomeneo»
Ein blasser Zürcher «Idomeneo»: Einem durchschnittlichen Solistenquartett steht zwar Dirigent Christoph von Dohnányi magistral vor, doch er kann nur mehr dafür sorgen, dass der Daumen bei der Schlussbetrachtung waagrecht bleibt.

Mehr als zwanzig Jahre war W. A. Mozarts «Idomeneo» vom Opernhaus Zürich verweist gewesen, und doch mag sich so mancher an die Aufführung von damals erinnern. Sie war der Beginn des legendären Mozart-Zyklus von Nikolaus Harnoncourt und Jean Pierre Ponelle. Unterdessen ist davon nichts mehr übrig, einige Opern hat das Duo Jürgen Flimm/Nikolaus Harnoncourt neu produziert. Doch man wäre nicht im Opernhaus Zürich von Alexander Pe- reira, würde ein Zyklus hier linear verlaufen (es sei denn der unselige «Ring des Nibelungen» in den vergangenen zwei Saisons). Dass Regisseur Jürgen Flimm nicht immer Zeit für Zürich hat, ist zwar nicht schlimm, gibt es doch noch andere Altmeister, die sich in Zürich eine goldene Nase verdienen wollen: Klaus Michael Grüber etwa.

Ungern erinnert man sich an seine vor einem Jahr gezeigte Inszenierung von Claudio Monteverdis «Il ritorno d´Ulisse in patria», die vor allem dank der phänomenalen Präsenz von Vesselina Kasarova Wirkung zeigte. Die aufgestellten Mäuerchen und herumhängenden Tücher oder der ansatzweise choreografisch geführte Chor blieben nur schwach in Erinnerung. Im «Idomeneo», der am Sonntag seine Premiere feierte, sind die Bilder (das Bühnenbild stammt erneut von Gilles Aillaud) zum Verwechseln ähnlich.

Für «Idomeneo» hat Grüber nun aber keine Kasarova zur Verfügung, sondern allein ein braves Sängerquartett. Er stellt es unmotiviert auf die Bühne, lässt die vier Sänger mal die Hände verwerfen, auch mal hurtig über die Bühne rennen: Aktionen, die ins Nichts führen, beliebig sind, passiert doch zwischen den Personen kaum etwas. Aber offenbar ging es Grüber darum, eine möglichst grosse Nähe zum Libretto zu suchen und mit heutigen Mitteln ein starkes theatralisches Erlebnis zu vermitteln, wie er im Opernhausmagazin verlauten lässt. Dank Mozarts Sinn fürs Drama bleibt man aber dennoch wach, auch wenn das Mozart- Ensemble des Opernhauses Zürich weit unter der Qualität jenes der 80er- und frühen 90er-Jahre liegt.

Hilflos steht eine nett, aber harmlos singende Malin Hartelius (Illia) da. Die sonst so freche und schauspielerisch begabte Liliana Nikiteanu kommt nie in Fahrt - auch stimmlich nicht. Allein Jonas Kaufmann in der Titelrolle zeigt, dass es da Menschen zu verkörpern gilt. Zudem hat sein Tenor Kraft und Charakter und bleibt im Innersten doch lyrisch geschmeidig. Eine Eigenschaft, die für diesen Part nicht ungefährlich ist, stellt doch die Partie des Idomeneos ungemein hohe Anforderungen. Und so erstaunt es denn nicht, wenn die Grenzen des jungen Tenors aufgezeigt werden.

Angeführt wird das Ensemble von Luba Orgonasova (Elettra): Keine Sängerin mit unbeschränkten (dramatischen) Mitteln, doch sie weiss ihre Stimme ungemein gekonnt einzusetzen. Da sie in der ersten Arie («Tutte nel cor») die ersten sieben Silben äusserst spitz und scharf ansingt, hat das die Wirkung eines schleudernden Fortes, obwohl die Stimme kaum über einem Mezzoforte hinausgeht und oberflächlich auch nicht dramatisch klingt. Doch selbst ihre spektakulären Weltabschiedsarie überzeugt dank klarer Diktion. In der zweiten Arie («Idol mio») beeindruckt sie mit einer Zartheit, die an die Grenze des Klangverlustes geht. - Vor allem, wenn Kraft gefragt ist, überzeugt der von Ernst Raffelsberger vorbereitete Chor.

Dirigent Christoph von Dohnányi hat sich für eine «Idomeneo»-Schrumpffassung entschieden - schade. Doch konzentrieren wir uns auf das Gehörte: Das Opernhausorchester unter Dohnányi spielt nämlich grandios. Die Feinheit des Klanges, die Abstimmung, die solistische Bläserleistung - all das verdient gleich noch einmal gehört zu werden. Nur das Geschehen auf der Bühne lenkt Dohnányi wenig. Der dramatische Gehalt des Abends wird damit geschmälert. Und so hat man denn einen sanften «Idomeneo» gesehen, ohne den aufrüttelnden Zorn des Neptuns zu spüren. Es schien, dass dem Gott die Zornesfalte ganz abhanden gekommen wäre.
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
  www.jkaufmann.info back top