Der Landbote, 14. 01. 2003
HERBERT BÜTTIKER
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
Der Krieg und die lieblichen Gefühle auch
«Idomeneo»: die Arienkette der Opera seria und romantische Sturmdramatik - Mozarts Genie übergreift die Epochen. Auf der Zürcher Opernbühne ist es präsent, musikalisch und in vielen Momenten auch szenisch.
Als die Summe des Ungeheuren der menschlichen Verhältnisse ist der Trojanische Krieg der dunkle Hintergrund der abendländischen Dramatik. Von der griechischen Tragödie bis zum modernen Drama ist das Unheil der Schuldverkettung und seelischen Zerrütung in seinem Gefolge lebendig, ebenso in der Operngeschichte, von Monteverdis «Ulisse» über Glucks beide «Iphigenien» bis zur «Elektra» von Strauss und weiter. Auch Idomeneo, Kretas König, hat am Krieg an der Grenze von Europa und Asien teilgenommen, und auch über seiner Heimkehr steht der Unstern dieses Krieges. Seine Geschichte erscheint im ganzen Homerischen Stoffkomplex am Rand. Aus einer kurzen Erwähnung bei Vergil wird erst im 17. Jahrhundert eine eigentliche Erzählung, und erst im 18. formt sie sich zum Drama. In der von Mozart vertonten Fassung, für die ihm Giambattista Varesco, der Hofkaplan des Erzbischofs von Salzburg, das Libretto schreibt, erhält es seine gültige Form: Als sie am 29. Januar 1781 in München uraufgeführt wurde, war die Oper über die Fatalität der Geschichte und die Rettung des Humanen - zwei Jahre nach den beiden «Iphigenien» von Gluck und Goethe - auf der Höhe der Zeit, und mit den berühmten «Mannheimern» stand Mozart das beste Orchester seiner Zeit zur Verfügung: eine Einladung zu msikalischen Höhenflügen, die Mozart nicht ausschlug.

Kreta ist fern von Troja, eine idyllische Insel. Aber da ist die junge Ilia, als Kriegsbeute nach Kreta verschleppt, die den Untergang des trojanischen Herrscherhauses, die Toten ihrer Familie, beklagt. Nach dem Familiendrama im Haus des Kriegsheimkehrers Agamemnon, ihres Vaters, nach Kreta geflüchtet ist Elektra, die hier ein neues Lebensglück erzwingen will und auf Idamante, den Sohn des Idomeneo, hofft. Von nichts Schlimmem berührt ist dieser in der Abwesenheit seines Vaters herangewachsen, verliebt sich in die trojanische Prinzessin, entlässzt deren Gefolge aus der Kriegsgefangenschaft - und wird eingeholt vom trojanischen Unglück: In Seenot verspricht Idomeneo dem Meeresgott, wenn er davonkommt, den ersten Menschen zu opfern, der ihm begegnet. Es wird Idamante sein: Die Praxis des Kriegs - Leben an Stelle eines anderen - etabliert sich auch in Kreta.

Mozarts Choroper
In der Oper ist das Unheil in derMetaphorik von Sturm und Schiffbruch präsent, und es kulminiert im Wüten eines Ungeheuers, das am Ende des zweiten Aktes dem Meer entsteigt und das Land terrorisiert. Musikalisch gehören die beiden Sturmszenen im ersten und im Finale des zweiten Aktes zum musikdramatisch Avancierten in Mozarts Partitur, faszinierend in der ersten die Überblendung der Gewitterszenerie mit dem ariosen Zornausbruch Elektras, packend in beiden die dynamische Gestaltung der Chöre. Überhaupt ist « Idomeneo » auch Mozarts Choroper, und im Sinne einer geradezu grell konzipierten Kontrastdramaturgie stehen den Schreckens- die Jubelszenen gegenüber, vor allem aber das wunderbar gelöste Andantino des «Placido è il mar». Der Chor des Opernhauses, der einen Sonderapplaus verdient, wird dafür in den Zuschauerraum geschickt: ein Moment der (klanglichen) «Verrückung», der zu den schönsten Einfällen einer behutsamen Regie (Klaus Michael Grüber und Ellen Hammer) gehört. Diese ist überhaupt stark in den Zonen des Heiteren, des intimen Gefühls, die sich vop aquarellierten Hintergründen und mit der erlesenen Farbigkeit der Kostüme (Eva Dessecker) reizvoll entfalten können - bis hin zum unvergesslichen Bild im Violett der Lavendelbüsche zu Beginn des dritten Aktes, wenn Ilia ihre Grazisoso-Arie («Zeffiretti lusinghieri») singt.

Aber es ist auch unverkennbar, dass die bühnenbildnerische Aquarellkunst (Gilles Aillaud und Bernard Michel) ihre Grenzen hat und in den dramatischen Sturmszenen zu blass, zu bewegungsarm bleibt, wie überhaupt der düstere Hintergrund der Handlung szenisch bis in den dritten Akt kaum sichtbar wird. Erst vor der Opferszene erhält das Unheil Kontur: Satatt Pastelltönigkeit schliesst jetzt ein schwarzer Vorhang mit grellrot leuchtendem Spalt die Szene im Hintergrund ab, auf die Bühne humpeln die Opfer des Ungeheuers, und jetzt trifft die Adagio-Spannung des Chors auf eine abgründige Szenerie, die erahnen lässt, welche Dimensionen Mozarts Musik erreicht. In der Opferszene, um eine etwas wacklige Gipsstatue von zweifelhafter Qualität zentriert, lockert sich dann der szenische Griff wieder, und der Schluss Iässt vieles unberührt. Weder an Idamante, der das Ungeheuer besoeht hat, noch an Ilia, die an seiner Stelle den Opfertod auf sich nehmen möchte, ist eine Entwicklung erahnbar, kaum auch an Idomeneo, der nur müde auf die Treppe sitzt und sein Herrscheramt auf das junge Paar überträgt, wie es ihm die Orakelstimme aus der Tiefe befiehlt.

Die Stimmen im Quartett
Das alles wirkt in seiner szenischen Spannungsarmut ein wenig nach Schnellfertigkeit. Ob dieser Eindruck und die Zahnoperation des Regisseurs, mit der der Direktor die Abwesenheit des gesamten Inszenierungsteams am Premierenabend entschuldigte, etwas miteinander zu tun haben, sei dahingestellt. So oder so machen die hervorragenden Leistungen des jungen Ensembles den Haupteindruck aus. Im Schauspielerischen darum bemüht, nicht « opernhaft» zu wirken, sondern Gefühle unverstellt zu verkörpern, hat vor allem das sehr jugendlich wirkende Liebespaar viele schöne Momente, und auch sängerisch leisten Marlin Hartelius als Ilia und Liliana Nikiteanu als Idamante Hervorragendes. Mit sensibler und wie selbstverständlicher Geläufigkeit sichern sie ihren Arien auch in den schwierigen Passagen eine natürliche Anmut, und im dritten Akt überströmt ihr einziges Duett («S'io non moro a questi accenti») im Glück des Terzenklangs.

Ja, Mozart feiert das Paar, dem die Zukunft gehört, die Liebe, aber er imponiert ebenso mit der musikalischen Ausdeutung der komplizierten Charaktere, die keine Zukunft haben, mit dem introvertierten Melos des Idomeno und den heftigen Ausbrüchen der Elektra. Luba Orgonasova meistert die blitzenden Attacken dieser Partie mit konziser Stimme beeindruckend - bis zur donnernden Bravour freilich reicht das stimmliche Gewicht nicht, und dass sie sich auf einem erotischen Feldzug befindet, ahnt man schon ihrer düster verschlossenen Erscheinung wegen kaum; die Kluft zum sehr knabenhaften Idamante dieser Inszenierung scheint zum Vorneherein unüberbrückbar. Ein junger Vater ist da am Platz. Jonas Kaufmann ist freilich ein Tenor von baritonaler Färbung und gleicht die Jugendlichkeit der Stimme (die Mozart für Idomepeo nicht vorgesehen hat) zudem aus durch eine bedächtige, tief in den unglücklichen Monarchen hineinhorchende Legatokunst. Die Gebrochenheit eines stolzen Mannes ist in dieser Figur facettenreich ablesbar.

Einen Höhepunkt der Oper ergibt das Zusammentreffen der vier Hauptpartien (die fünfte Arienpartie, Arbace, entfällt in der gestrafften Zürcher Version) im Quartett des dritten Aktes, Mozarts erstem grossen Opernensemble. Es ist mit der Homogenität des Zürcher Ensembles ein Höhepunkt der Aufführung. Grossen Anteil daran haben auch die glücklichen Orchesterverhältnisse: modernes Instrumentarium, klangvoll, präzis, reich schattiert und mit unermüdlichem Zug am Werk. Christoph von Dohnányis Dirigat verbindet frische Tempi mit sorgfältiger Phrasierung, Straffheit mit generösem Kantilenenspiel. Im Zusammenspiel mit der Bühne begeistern die Lebendigkeit der Accompagnati, die Stimmigkeit musikalischer Übergänge und Zusammenhänge und die Intensität des musikalisch-dramatischen Geschehens überhaupt. Zu erahnen ist da, wie es nach der Da-Ponte-Trilogie und der deutschen «Zauberflöte» mit dem französisch-italienischen Musikdramatiker Mozart hätte weitergehen können.
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
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