ZOL, 12 .11. 2002
Sibylle Ehrismann
Fierrabras, Zürich, November 2002
Krieg und Frieden in Schuberts Salon
Die Geschichte ist unmöglich, die Musik aber wunderschön. Franz Schuberts heroisch-romantische Oper «Fierrabras» feierte am Sonntag im Opernhaus Zürich erfolgreich Premiere. Chefdirigent Franz Welser-Möst sorgte in dieser überquellenden Liedseligkeit für Spannkraft und vielsagende Hintergründigkeit. Mit der Idee, Schubert als Komponisten auf die Bühne zu bringen und die Geschichte in seinem Arbeitszimmer spielen zu lassen, gelang es Regisseur Claus Guth, das patriotische Heldentum geschickt zu brechen.
Die Geschichte, die Schubert zusammen mit seinem Librettisten Josef Kuppelwieser für seine einzige grosse Oper aussuchte und die 1988 in Wien in einer viel beachteten Neuproduktion wiederentdeckt wurde, ist denkbar verworren und langfädig.
Die Franken und die Mauren stehen im Krieg, und beide Fürstentümer werden von machtbesessenen Patriarchen befehligt. Und beide, König Karl und Boland, haben je eine Tochter, die sich unstatthaft verlieben: Karls Tochter Emma in den Ritter Eginhard und Bolands Tochter Florinda in den feindlichen Heerführer Roland.

Der einsame, ideale Freund
Und wo bleibt Fierrabras, der Titelheld? Er ist der durch seine Heldentaten bereits ausgezeichnete Sohn des Maurenfürsten Boland, der jedoch in fränkische Gefangenschaft gerät. Obwohl er ebenfalls Emma liebt, verzichtet er auf sie und wird zum Freund ihres Liebhabers. So geht dieser Opernheld am Schluss leer aus - er ist der einsame, aber ideale Freund.
Eben diese Ambivalenz der jungen Helden ist so typisch für Schubert. Sie haben alle einen harten und einen weichen Kern, und wenn sie tapfer kämpfen, dann für die Liebe und nicht in erster Linie fürs Vaterland. Und alle leiden, wie Schubert, unter den dominanten Vätern. Aber auch diese haben in «Fierrabras» am Schluss ein Einsehen, schliessen Frieden und erlauben die gewünschten Liebesverbindungen.
Diese vielen Chorauftritte und männerbetonten Ensembles spielen sich in der Zürcher Produktion allesamt im biedermeierlichen Arbeitszimmer von Schubert ab (Ausstattung: Christian Schmidt). Ein übergrosser Flügel samt riesigem Stuhl lässt die Menschlein rundherum wie kleine Spielfiguren wirken. Schubert holt die von ihm in der Phantasie kreierten Figuren durch die zahlreichen kleinen Türen des Zimmers auf die Bühne, reicht ihnen mal ein von ihm beschriebenes Blatt, von dem sie singen sollen, beobachtet das Geschehen die ganze Zeit und schreckt auch mal vor den donnernden Vätern und Kriegern zurück. Schauspieler Wolfgang Beuschel brachte für diese nur mit ein paar wenigen Sätzen ausgestattete und doch stets präsente Schubert-Figur eine enorme Bühnenpräsenz, spielerische Agilität und Konzentration mit.

Schubert ist immer dabei
Neu ist die Idee, Schubert zur Bühnenfigur zu machen, nicht. Schon in «Des Teufels Lustschloss» von 1995 in der Inszenierung von Marelli spielte er als Ritter Oswald mit. Claus Guth lässt nun alle jungen Helden in Schuberts Kostüm auftreten und unterstreicht damit deren autobiografische Komponente. Gleichzeitig raubt er so aber den Figuren das fantastisch Übersteigerte. Zusammen mit dem Einheitsbühnenbild hat dies zur Folge, dass die theatralischen Kontraste von draussen und drinnen eingeebnet werden und das Geschehen über die drei Stunden hinweg etwas gar eindimensional daherkommt. Und doch rettet diese Idee die an sich unmögliche «Fierrabras»-Geschichte für die Bühne. Allein schon Schuberts nahtloses Aneinanderreihen von Nummern ohne Zwischenmusiken fordert schnelle und ebenso nahtlose Szenenwechsel. Innert kürzester Zeit können die Choristen durch die zahlreichen Türen auf- und abtreten.
Es sind denn auch diese wirkungsvoll choreografierten und schön ausgestatteten Chöre, die für die meiste Abwechslung sorgen. Mögen die Frauenchöre auch etwas gar süsslich und brav sein, für den Männerchor und den gemischten Chor hat Schubert unerhörte Musik geschrieben. Selten war der von Ernst Raffelsberger und Jürg Hämmerli einstudierte Opernchor so klangsinnlich weich und strahlend zu hören wie an diesem Abend.Auffällig ist auch, dass es in «Fierrabras» nur ganz wenige ausgewachsene Arien gibt. Alles andere sind liedhafte Duette und Ensembles, ein ständiges Mit- und Nebeneinander der Stimmen. Geht Fierrabras sonst leer aus, so hat ihm Schubert doch die wichtigste Arie gegeben. Der Tenor Jonas Kaufmann sang diesen Moment der inneren Zerrissenheit und unerfüllten Sehnsucht mit baritonalem Fundament und betörend dunkler Strahlkraft.
Der zweite Tenor Christoph Strehl fiel als fränkischer Heerführer vor allem durch sein strömendes Legato auf, presste aber in der hohen Lage gerne etwas. Zwischen diesen beiden tenoralen Helden steht Roland, der sich mit seiner Tapferkeit die vermeintlich unerreichbare Emma erobert. Michael Volle prägte die vielen Ensembles mit charakteristischem Timbre und strahlendem Glanz, ohne die heikle Klangbalance zu zerstören.
Auch die beiden Vaterfiguren sind von markanten Stimmen geprägt: hier der eher milde und versöhnliche König Karl, den Laszlo Polgar mit souveräner Tiefe porträtierte, da der zornige Boland, den Rolf Haunstein mit heller Schärfe heraushob. Am wenigsten überzeugten in dieser «Männeroper» die beiden weiblichen Hauptfiguren. Joanna Kozlowska schien Schuberts liedhafte Melodik am wenigsten zu liegen. Sie forcierte in der Partie der Emma immer wieder und wirkte mit ihrer kühlen grossen Stimme zu schwer und auch zu laut. Liuba Chruchrova hingegen gestaltete die Florinda zwar einfühlsamer und mit mehr Sinn für lyrische Feinheiten, wirkte stimmlich aber etwas zu leicht.

Musikalischer Genuss
Abgesehen von diesen kleinen musikalischen Schwächen sorgte Franz Welser-Möst für eine ausgesprochen homogene Aufführung. Es gelang ihm, das Orchester in schubertschem Sinn hintergründig zu halten, Heldisches und Dramatisches eher zurückzunehmen und die Überfülle an Melodien und wunderbaren Holzbläser-Kantilenen mit weichem, biegsamem Legato auszukosten. Unglaublich, wie Welser-Möst in den Ensembles sensibel auf jeden Stimmungswechsel reagierte und agogisch feinfühlig auf die Sänger einging. Echt romantisch wirkten der rauere Ton der historischen Blechinstrumente und die eher harten Schlagzeugschläger, was rhythmische Prägnanz gewährleistete. Auch wenn der «Fierrabras» im zweiten Teil einige Längen hat und Welser-Möst an der Premiere noch nicht ganz alle Choreinsätze optimal mit dem Orchester koordinierte, die geheimnisvolle Schönheit von Schuberts Musik kam meisterhaft zum Tragen.
 
Video capture: Fierrabras 2005/2006






 
 
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