Opernglas 5/1998
K.-F. Schulter
Fidelio, Stuttgart, 18. März 1998
Fidelio, Stuttgart
Auch die Stuttgarter Staatsoper hat sich dem Reigen der vielen neuen "Fidelios ", die in dieser Spielzeit an deutschen Opernhäusern zur Aufführung kommen, angeschlossen und damit Jurij Ljubimows Inszenierung von 1985, die sich mehr als zehn Jahre im Repertoire gehalten hat, ersetzt. Das Stuttgarter Schauspiel befindet sich seit der Übernahme der Intendanz durch Friedrich Schirmer deutlich im Aufwind und hat sich wieder zu einer führenden Bühne entwickelt, eine der festen Regiestützen dabei ist Martin Kusej, der mit seinen Produktionen wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen hat. In der vorletzten Spielzeit wurde in Stuttgart als Koproduktion von Oper, Schauspiel und Ballett Henry Purcells "König Arthur" unter seiner Regie herausgebracht, das sich zu einem richtigen Renner entwickelt hat und ständig vor ausverkauftem Haus gespielt wird. Der Erfolg dieser Produktion dürfte ihm auch die Verpflichtung für diesen "Fidelio " gebracht haben, seiner ersten "richtigen" Opernregie. Das Bühnenbild besorgte nicht wie ursprünglich angekündigt Erich Wonder, sondern wieder Kusejs ständiger Ausstatter Martin Zehetgruber, für die Kostüme war Gisela Storch zuständig.

Den Ausgangspunkt dieser Inszenierung bildet die während der Ouvertüre auf der dunklen Bühne mit einer Taschenlampe herumirrende Leonore. Erst durch die dabei zufällig gefundene Männerkleidung kommt sie auf die Idee für ihre Verkleidung und ihr weiteres Vorgehen.

Das Gefängnis ist eine vollkommen abgeriegelte, für sich stehende Welt, in der es kaum noch einen Unterschied macht, ob man Gefangener oder Bewacher ist. Alle sitzen sie hier fest und fügen sich in den ihnen vorgegebenen Platz, einzig Marzelline hat noch nicht ganz aufgegeben und versucht verzweifelt über Fidelio diesem Trott zu entkommen. Jeder Tag läuft nach dem selben stumpfsinnigen Schema ab. Nur einmal kommt etwas Verwirrung auf, als Fidelio bei Rocco einen Extrafreigang der Gefangenen erreicht und diese zaghaft in Zweiergruppen miteinander zu tanzen beginnen. Auch ein Draußen gibt es für diese Menschen nicht mehr, eine Waldtapete ziert rundum die Wände und ist Natur genug, Vogelgeräusche und Wasserrauschen kommen vom Tonband, die Entspannung erfolgt auf Kommando. Florestan ist durch die lange Isolationshaft verrückt geworden und irrt nur noch, die immer gleichen Gesten wiederholend, herum. Natürlich kann es hier auch keine Befreiung im üblichen Sinn mehr geben. Als diese bleibt hier nur der Tod: Don Pizarro schlitzt Florestan die Kehle auf, worauf Leonore Don Pizarro erschießt. Da in dieser Oper dieser Schluß natürlich so nicht möglich ist, stehen die beiden Ermordeten, nach einer kurzen Unterbrechung, blutüberströmt wieder auf und finden sich mit den anderen in einer zwar weiteren, aber genauso begrenzten Umgebung wieder.

Als äußerst problematisch empfand ich die Besetzung der Titelpartie mit Renate Behle. Für sie traf wieder einmal die in Stuttgart leider sehr oft gehandhabte zu leichte Besetzung der dramatischen Frauenpartien zu. Frau Behle war mit dieser Partie durchweg überfordert, ihrer verhaltenen Darbietung fehlte es völlig an der nötigen Dramatik, zudem geriet auch ihre Darstellung äußerst farblos. Obwohl Robert Gambill den Florestan mit zuviel Kraft zu meistern versuchte und dadurch in den oberen Lagen zunehmend gepreßt klang, bot er eine insgesamt doch weitaus bessere Leistung, zumal es ihm auch gelungen ist, die großen darstellerischen Anforderungen dieser Inszenierung glaubhaft umzusetzen. Schauspielerisch am überzeugendsten war Stella Kleindienst als Marzelline, beeindruckend konnte sie deren Ängste aufzeigen, stimmlich jedoch war sie durch ihre zumindest für diese Partie zu schwere Stimme falsch besetzt. Jonas Kaufmann zeichnete einen verhärteten Jaquino, den er auch stimmlich treffend umzusetzen verstand. Schwach hingegen war Wolfgang Probst als Don Pizarro, dem es dafür doch deutlich an der Dramatik fehlte. Den verdientermaßen größten Erfolg beim Publikum hatte in dieser Vorstellung Roland Bracht mit seinem überzeugenden Rocco, etwas unsicher wirkte Michael Ebbecke als Don Fernando.

Unter der Einstudierung von Ulrich Eistert boten die Stuttgarter Chöre ein weiteres Mal eine rundum ausgezeichnete Leistung.

Michael Gielen, der für diese Produktion als musikalischer Leiter gewonnen werden konnte, hatte sich für die zweite Leonoren-Ouvertüre als Anfang entschieden und mit ihrer markanten Umsetzung einen etwas anderen, sperrigeren "Fidelio " erwarten lassen. Leider konnte er diesen in der Folge mit dem gut disponierten Stuttgarter Staatsorchester nur bedingt umsetzen. Neben Passagen von großer Eindringlichkeit gab es leider auch immer wieder richtige "Durchhänger", wodurch sich diese Vorstellung in Details verlor und die geschlossene Linie vermissen ließ.






 
 
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