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Hamburger Abendblatt, 05.05.2023 |
Joachim Mischke |
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Jonas Kaufmann: „Ich werde kein Fan
der Elbphilharmonie“
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Ein Gespräch mit dem Tenor Jonas Kaufmann über die
Akustik der Hamburger Konzertsäle, seine Stimme und seine
Karriereplanung.
Hamburg. Sonniges Wetter, Neapel im Frühling
und an fünf Runden „Walküre“ im Teatro San Carlo. Es gibt schlimmere
Kalender-Einträge für einen Opernsänger. Am Telefon klingt Jonas Kaufmann
trotz der Wagner-Partie beneidenswert tiefenentspannt. In wenigen Tagen wird
er mit einem italienischen Opernprogramm in Hamburg auftreten. Vor gut vier
Jahren sorgte er mit einem seiner Meinung nach akustisch verunglückten
Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie für große Aufregung, dieses Thema
empfand Intendant Christoph Lieben-Seutter für sein Haus imageschädlicher
als den G-20-Gipfel. Kaufmann singt nun also, ein weiteres Mal, in der
Laeiszhalle.
Hamburger Abendblatt: Fangen wir
mit dem Elefanten im Raum an: Sind Sie eigentlich immer noch sauer auf die
Akustik im Großen Saal der Elbphilharmonie?
Jonas
Kaufmann: (lacht) Was heißt, ich bin sauer auf die Akustik? Schauen
Sie, es ist ein großartiger Bau, der mit der Fertigstellung zur Ikone wurde
und zum Wahrzeichen der Stadt. Insofern ist ein Gutteil dessen, was man
angestrebt hat, für die Stadt erreicht. Es ist halt ein bisschen schade,
dass es vielleicht, ich sag mal so: nicht jedermanns Geschmack trifft, wie
sich die Akustik in dem Raum entwickelt. Aber das ist grundsätzlich immer
ein Risiko, das muss man wissen, wenn man so einen Bau beginnt: dass das nie
bis ins kleinste Detail einfach planbar ist. Was nicht heißt, dass die
Elbphilharmonie deshalb nicht in den Herzen der Hamburger angekommen ist.
Dann mache ich es Ihnen leichter: Sind Sie immer noch sauer, ja,
nein, vielleicht?
Nein, ich bin überhaupt nicht sauer. Ich war
nie sauer darauf. Ich war enttäuscht.
Wie lang und wie oft sind
Sie seit März 2019 auf diese Geschichte angesprochen worden?
Das
Ganze ist auch etwas aufgebauscht worden. Es ist immer wieder passiert, aber
wesentlich weniger, als ich es 2003 wegen einer Inszenierung von Mozarts
„Entführung“ in Salzburg erlebt habe. Eine sehr kontroverse Produktion, bei
der es eigentlich keine Aufführung gab, die nicht mehrmals von minutenlangen
Buhrufen unterbrochen wurde. Da ist mir „Es steht jedem frei, nach Hause zu
gehen“ rausgerutscht und die „BILD“-Zeitung hat mich zum „Pöbel-Tenor“
gemacht. Das ist mir viele Jahre lang immer wieder aufs Brot geschmiert
worden. Dagegen ist die Elbphilharmonie wirklich ein mildes Lächeln.
Um dieses Thema abzuschließen, noch einmal mit Ja/Nein/Vielleicht:
Rückkehr in den Großen Saal der Elbphilharmonie?
Das glaube ich
schon, dass ich irgendwann in die Elbphilharmonie zurückkehre. Ich war
vorher so unglaublich verliebt in die Akustik der Laeiszhalle, einem der
akustisch spektakulärsten Säle in Deutschland. Und wenn ich für ein
Solo-Programm die Wahl habe, würde ich sie wahrscheinlich vorziehen. Ein
„Niemals, im Leben nicht“ gibt es sicher nicht. Ich werde kein Fan werden,
aber ich habe meinen Frieden damit gemacht.
Wissen Sie noch, wann
Sie das zuletzt an der Hamburger Oper gesungen haben? Ich nicht mehr.
Gute Frage. Ich habe eine Gala-Vorstellung unter der Ägide von Georges
Delnon gemacht, für die Freunde der Oper. „Carmen“, glaube ich. Das war im
April 2019.
Das neue Leitungsteam, Omer Meir Wellber und Tobias
Kratzer, plant für die Jahre 2025 ff. Würden Sie sich denn an ein
Provinzhaus wie Hamburg verirren wollen, wenn man Sie fragen würde?
Erstens würde ich Hamburg sicherlich nicht als Provinzhaus bezeichnen.
Sie haben sich vielleicht in manchen Produktionen ein bisschen selber ins
Abseits befördert. Aber das ist Quatsch. Ein Haus mit so einer Tradition ist
nie abgeschrieben. Nichts ist unumkehrbar. Ich sitze gerade hier in Neapel
und wage zu behaupten, dass das Teatro San Carlo auch abgeschrieben war. Als
das neue Leitungsteam kam, wurde das Ganze auf den Kopf gestellt, und heute
geben sich alle großen Stars die Klinke in die Hand. Es ist einfach die Art
und Weise, wie dieses Team auf Künstler zugeht, wie man Projekte plant und
sich freut, sie in die Tat umzusetzen. Und wenn der Omer und der Tobias so
ein Team sind oder vielleicht einen Casting-Direktor haben, der für sie den
Kontakt zu den Sängern herstellt, ist das völlig denkbar. Meine Schwester
geht regelmäßig in die Hamburger Oper und berichtet mir, mal so, mal so.
Manchmal unglaublich begeistert und manchmal eben auch weniger.
An Ihnen soll es also nicht liegen.
Natürlich nicht.
Zu Ihrem Konzert-Programm in der Laeiszhalle: Italienisches. Dolce Vita und
umzu geht ja immer. Wird das nicht langsam etwas fade?
Da muss
ich Sie gleich korrigieren. Das hat überhaupt nichts mit Dolce Vita zu tun.
Der erste Teil ist Verdi, der zweite Teil ist Verismo. Natürlich wird es die
eine oder andere Zugabe geben, die in diese Richtung geht. Aber ich habe
sehr lange kein vernünftiges Verdi-Programm mehr gesungen, ich fand es an
der Zeit, wieder ein, Sie würden sagen: seriöseres Programm zu machen.
Bei den Osterfestspielen in Salzburg haben Sie gerade Ihr
Rollendebüt im „Tannhäuser“ gehabt, eine große Angstpartie ist also
abgehakt.
Angstpartie, das ist so eine Sache. Ich gebe zu, dass
ich Respekt vor dieser Partie hatte, weil ich von allen Seiten gehört habe,
um Gottes willen, das ist so ein Killer, so furchtbar. Ich hab mir immer
wieder die Partitur angeschaut, nach diesen Killerstellen gesucht und sie
nicht wirklich bewusst gefunden. Es ist eine Partie wie viele andere auch.
Ich sage immer: Wenn man Tristan gemacht hat, ist das alles andere
Kindergeburtstag. Was Tannhäuser in allen drei Akten zusammen zu singen hat,
ist etwa das, was Tristan im zweiten Akt singt. Und dann kommt noch der
dritte.
Stimmen verändern sich ja, sie reifen, sie wachsen. Wie
geht es Ihnen in dieser Hinsicht mit Ihrer Stimme? Fühlen Sie sich hin und
wieder überrascht, wie gehen Sie mit diesem Wandel um?
Diesen
Wandel kann man nicht aufhalten, das ist klar. Ich sage immer, wenn man
seine Stimme gut pflegt und nicht vergewaltigt, hat man sehr lange etwas
davon. Man hat auch das Glück der Erfahrung, das als Pfund fast mehr wiegt
als der Alterungsprozess. Sicher gibt es Dinge, die vielleicht weniger
einfach geworden sind – aber auch vieles, das viel einfacher geworden ist.
Weil ich das Glück habe, auch Lieder singen zu können, ist es auch mit der
feinen Klinge jetzt nicht so, dass das auf der Strecke geblieben ist, trotz
„Tristan“ und „Tannhäuser“ und „Walküre“ und wie sie alle heißen, die
kräftigen, dunklen Partien, die prädestiniert sind, die Stimme vielleicht in
eine andere Richtung zu schieben. Natürlich kommt der Tag, an dem man merkt,
dass die Kräfte für so einen langen Abend nicht mehr ausreichen. Ich habe
nicht in meiner Planung, mit 80 noch auf der Bühne zu stehen. Aber ich würde
es gern so machen, dass ich selbst entscheide und nicht meine Stimme mir
erklärt, dass es nicht mehr geht. Davon bin ich Gott sei Dank noch sehr weit
entfernt.
Neulich habe ich ein langes Gespräch mit dem Bariton
Christian Gerhaher geführt, es ist ihm dabei herausgerutscht, dass er
„unaussprechlich doofe Konzertrituale“ pflege. Und Sie so?
Nein,
überhaupt nicht. Es gibt Dinge, die ich mache, aus Routine. Viel Wasser
trinken, einige Yoga-Übungen, um mich aufzuwärmen. Christian kenne ich schon
sehr, sehr lange, wir haben zusammen studiert. Wenn ihm das hilft und ihn
beruhigt, soll er und muss er das machen. Eine Kollegin geht mittags oder am
frühen Nachmittag bereits ins Theater und fängt dort an, die Garderoben zu
putzen, weil sie das beruhigt. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Seit Februar 2022 sind Sie auch Österreicher und leben in Salzburg. Muss
man dafür eine Aufnahmeprüfung ablegen, wissen, wann Mozart geboren wurde,
so etwas?
Theoretisch schon. Ich habe die Staatsbürgerschaft
aber ehrenhalber bekommen. Meine Frau, die musste die
Staatsbürgerschaftsprüfung machen. Ihr wurde zwar der Deutsch-Test erlassen
– allerdings auch nur, nachdem sie Ihre Magisterarbeit eingereicht hat, um
zu zeigen, dass sie wirklich der deutschen Sprache mächtig ist.
Sie sind Perfektionist. Wie hinderlich ist das in einem künstlerischen
Beruf? Einerseits der Drang, 110 Prozent zu leisten, andererseits könnte man
alles ja auch einfach mal kommen lassen und schauen, was passiert.
Ich lobe ja nicht grundlos immer wieder den Chefdirigenten der Berliner
Philharmoniker, Kirill Petrenko. Eines der Dinge, die ich an ihm extrem
schätze: der unbedingte Perfektionismus in den Proben, wirklich bis ins
kleinste Detail. Dann kommt die Aufführung, da lässt er komplett los. Und
genießt nur und hilft und unterstützt und freut sich, trotz der vielleicht
während der Aufführung passierenden Fehler. Das finde ich unglaublich
bewundernswert und habe darüber nachgedacht, warum. Ich bin selber so
gestrickt. Ich bereite mich sehr gut vor. Alles, was ich theoretisch machen
kann, mache ich. Aber sobald der Vorhang hochgeht, kann man nicht mit
Kontrolle arbeiten. Man versucht wirklich, sich vollkommen in dieser Sache
aufzulösen und einfach nur zu genießen.
Bereuen Sie eigentlich
Ihr Weihnachtsalbum? Für Diabetiker hätte das einen Warnaufkleber gebraucht.
Oder sind Sie damit mit sich völlig im Reinen und sagen sich, das musste
sein?
Kennen Sie ein Weihnachtsalbum, das nicht eine gewisse
Süße hat? Ich glaube, das gibt es nicht, es sei denn, es ist so blutleer,
dass es niemand haben und hören möchte. Es ist nun mal Weihnachten, die
Zeit, in der man versucht, sich zu versöhnen, allen Ärger zu vergessen, alle
Sorgen über Bord zu werfen und einige Tage in einer gewissen heilen Welt zu
leben. Ich fände es extrem falsch, dem etwas entgegenzusetzen und zu sagen,
wir machen jetzt mal die ernste Weihnacht. Ich empfinde das so, meine Kinder
empfinden es so. Für die ist das eine unglaublich heimelige Zeit. Deshalb
habe ich versucht, ein Album zu machen, was mir aus dem Herzen spricht, was
diese Geborgenheit und vielleicht auch Süße beinhaltet. Dazu stehe ich.
Sie sind jetzt sehr jugendliche 53. Haben Sie schon mal, ganz sanft,
über eine Anschlussverwendung als Dirigent oder als Regisseur oder
wenigstens als Intendant nachgedacht, oder ist das für Sie noch gar nicht
Thema?
Einerseits ist es sicher so, dass man ab dem Moment, in
dem man eine andere Tätigkeit in Betracht zieht, vielleicht signalisiert:
Der spürt etwas, was wir vielleicht noch nicht hören, was aber demnächst
Realität ist. Da muss man schon etwas vorsichtig sein. Andererseits würde
mich sowohl der Beruf des Dirigenten als auch der des Intendanten reizen.
Als Regisseur? Da muss ich sehr aufpassen. Ich habe eine Regisseurin in der
Familie, da könnte ich mich in die Nesseln setzen. Man will nicht ewig auf
der Bühne stehen, aber die Welt der Oper ist so faszinierend, dass man ihr
möglichst lange beiwohnen möchte. Thema Dirigent: Wenn man Vollblutmusiker
ist, kommt man irgendwann an den Punkt, die Lust zu verspüren, auch mal
selber derjenige zu sein, der die Richtung vorgibt. Aber ob ich das jemals
schaffe, ob ich jemals genug Zeit dafür aufwenden kann, es so vernünftig zu
lernen, dass ich das guten Gewissens vor Publikum machen kann? Ich habe
einige Male einen Marsch als Zugabe dirigiert, aber das kann jeder im
Bierzelt genauso. Das zählt nicht. |
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