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Wiesbadener Kurier, 16.08.2022 |
Von Volker Milch |
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Wie kommt Tenor Jonas Kaufmann mit dem Fan-Phänomen zurecht?
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WIESBADEN - Am 21. August gastiert der Tenor
Jonas Kaufmann mit einem Open-Air-Programm beim Rheingau Musik Festival im
Kurpark. Gemeinsam mit der Sopranistin Rachel Willis-Sørensen und dem
WDR-Funkhausorchester unter Leitung von Jochen Rieder widmet sich Kaufmann
einer Mischung aus großer Oper im ersten Teil und Operetten-Highlights im
zweiten Teil des Programms. Noch Anfang Juli musste er eine Premiere in
London absagen. Wegen der Konsequenzen einer Covid-Erkrankung, wie das das
Royal Opera House meldete. Mittlerweile ist er zurück auf dem Podium.
Wie geht es Ihnen, Herr Kaufmann, wie geht es Ihrer Stimme?
Sehr gut. Das A und O in solchen Situationen ist es, die Stimme in Ruhe zu
lassen. Wenn man einfach Geduld hat, kann die Stimme sogar frischer als
vorher sein
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Auftritt in
Wiesbaden? Der allererste Auftritt dürfte in einer
„Zauberflöte“ gewesen sein, als ich in Saarbrücken engagiert war, also
zwischen 1994 und 1996.
Ich erinnere mich an ein Gespräch
mit Ihnen vor dem Maifestspiel-Gastspiel mit Giorgio Strehlers Inszenierung
von Mozarts „Così fan tutte“ im Jahr 2000. Sie haben damals in den höchsten
Tönen von der Arbeit mit dem legendären Gründer des Piccolo Teatro di Milano
geschwärmt.
Absolut. Das geht mir bis heute so, dass
ich diese Arbeit nicht aus dem Kopf kriege. Das war schon einzigartig, wie
sehr eine Person brennen kann für das Theater.
Sie sind
ja mit einer Regisseurin verheiratet - und sie ist auch noch Wiesbadenerin.
Sie sprechen mit Christiane Lutz sicher auch über Inszenierungsarbeit?
Ich spreche über meine laufenden Produktionen mit ihr, um einfach ihr
Feedback und ihre Meinung zu hören. Und umgekehrt auch. Beim Regisseur
beginnt die heiße Phase ja viel früher. Man muss sich deutlich früher
festlegen, in welche Richtung das Ganze geht. Auch in dieser Phase tauschen
wir uns aus, und Christiane fragt nach. Sie hat mal etwas sehr Interessantes
gesagt: Die allermeisten Regisseure machen ein Stück zum ersten Mal und auch
nur einmal. Und sie treffen meistens auf Sänger, die in vier, fünf oder mehr
Inszenierungen des Stücks engagiert waren. Bei denen eben auch dieser
Prozess passiert ist, dass man nach mehreren Versuchen plötzlich ganz andere
Dinge im Fokus hat. Da prallen schon zwei Extreme aufeinander, und das führt
selbstverständlich auch zu Konflikten. Insofern ist es, glaube ich,
interessant für sie, von mir als Sänger vorher zu hören, das ist
interessant, das geht gut. Hier würde ich noch mal drüber nachdenken, weil
das unter Umständen für den Sänger ein Problem wird. Ob dann am Ende etwas
davon in ihre Arbeit einfließt, weiß ich nicht. Aber der Austausch findet
natürlich permanent statt.
Sie haben mit vielen
renommierten Regisseuren gearbeitet, zum Beispiel mit Hans Neuenfels in
Bayreuth oder Claus Guth in Mailand. Im letzten Jahr mit dem russischen
Dissidenten Kirill Serebrennikov in Wien. Eine „Parsifal“-Inszenierung per
Video-Call dürfte die kurioseste Erfahrung gewesen sein. Wie haben Sie das
empfunden?
Das war natürlich sehr schwierig. Als Kirill
Serebrennikov engagiert wurde, ging man davon aus, dass er bis zum
Probenbeginn seinen Reisepass bekommen hat und das live machen kann. Der
Regisseur Christian Pöppelreiter, mit dem ich eine meiner allerersten
Produktionen 1994 oder 1995 in Saarbrücken gemacht habe, hat einmal gesagt:
Ich habe einen Rohschnitt von meinem Film im Kopf. Ich hoffe sehr, Du hast
auch Deinen Film im Kopf. Wenn wir uns dann zu Proben treffen, schneiden wir
daraus eine Fassung, mit der wir beide zufrieden sind, die dann unser
gemeinsames Projekt enthält. Das Bild finde ich großartig. Und das ist
natürlich nur bis zu einem gewissen Grad möglich, wenn der Assistent vor Ort
ist und der Regisseur nur teilweise per Video zuhören kann. Über den Inhalt
brauchen wir nicht viel reden. Da waren wir auch nicht einer Meinung. Da
habe ich dann durchgesetzt, dass Teile meines Films in das gemeinsame
Projekt reingeschnitten wurden, um in dem Bild zu bleiben. Ich will nicht
sagen, dass ich ein gläubiger Mensch bin. Aber für mich ist „Parsifal“ bis
zu einem gewissen Grad ein Glaubensstück. Ob das nun die christliche
Religion ist oder was auch immer. Aber wenn man nicht glaubt, und die Leute,
die dort agieren, nicht daran glauben, dann hat für mich dieses Stück keinen
Sinn. Das hat es sehr schwierig gemacht.
Serebrennikov ist
Dissident. Die Sopranistin Anna Netrebko gilt als das Gegenteil. Mit ihr
sind Sie häufig aufgetreten. Was sagen Sie zu den Debatten und dem
Bekenntniszwang, dem russische Künstler momentan ausgesetzt sind?
Eine schwierige Frage. Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir uns als
Künstler einfach auf unsere Aufführungen konzentrieren könnten und nicht
politische Statements abgeben müssten. Dass es in der aktuellen Situation zu
Unstimmigkeiten gekommen ist und dass Künstler aufgefordert werden, doch ein
Bekenntnis abzugeben, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen.
Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn Konzertveranstalter generell
russisches Repertoire aus dem Programm nehmen - als ob ein Herr Tschaikowsky
irgendetwas für Herrn Putin könnte. Das halte ich für extrem gefährlich.
Natürlich gibt es Künstler, die sich bewusst vor den Karren haben spannen
lassen und die es vielleicht heute noch tun. Ich glaube aber nicht, dass
Anna Netrebko dazugehört.
Auf welchen Programmpunkt
freuen Sie sich besonders?
Ach Gott. Ich könnte jetzt
mit Herrmann Prey sagen: auf die letzte Note. Aber das wirklich Sonderbare
und Ungewöhnliche ist natürlich der Prolog aus „Bajazzo“. Es liegt mir sehr
fern, in die Fußstapfen gewisser berühmter Kollegen zu treten und mit dem
Bariton-Repertoire zu liebäugeln, das ist nicht die Idee. Es ist eine
großartige Nummer. Es ist eine perfekte Eröffnung eines solchen Programmes.
Sie gelten als der deutsche Tenor mit dem breitesten
Repertoire-Spektrum. Ihre letzte Einspielung sind Liszt-Lieder zusammen mit
Helmut Deutsch. Wie machen Sie das denn der Marketing-Abteilung Ihrer
Plattenfirma klar, dass das auch schön ist?
(Lacht) Ich
glaube, die Mischung macht´s. Ich bin ja auch gerne bereit, eher populärere
Sachen aufzunehmen. Davor scheue ich mich gar nicht, eher im Gegenteil. Das
Operetten-Album ist auch ziemlich erfolgreich gewesen und macht einfach
einen Heidenspaß. Ich singe Wiener Lieder, ich singe die höchst klassischen
Lieder. Ich glaube dieser Marketing-Abteilung ist bewusst, dass man mich
eben nur als Paket, das ich bin, haben kann. Franz Liszt ist ein sehr
bekannter Komponist. Jeder, der sich mit Klassik beschäftigt, kennt den
Namen. Aber kaum jemand kennt ein Lied von ihm. Das ist sehr schade. Für ihn
war das Lied eigentlich das zentrale Repertoire. Hier hat er zeitlebens
darum gekämpft hat, Erfolg zu haben. Deshalb werde ich nimmermüde, diese
großartigen Stücke zu preisen und hoffe, dass er sich eines Tages
durchsetzen kann.
Sie sprechen ein breites Publikum an.
Das führt, wie man in sozialen Netzwerken beobachten kann, zu einem extremen
Fan-Phänomen. Sogar als Sohn möchte man Sie adoptieren. Das stelle ich mir
auch etwas anstrengend vor. Wie gehen Sie damit um, wie schirmen Sie sich
ab?
Ganz abschirmen kann und will man sich nicht davon.
Natürlich tummle ich mich nicht jeden Tag in den sozialen Medien. Ich
überlasse es anderen, das zu filtern und zu sortieren. Es ist ein Phänomen.
Es gibt natürlich Momente, wenn man eine Aufführung hinter sich gebracht hat
und auf dem Zahnfleisch geht, dass man sich aufraffen muss, an die Bühnentür
zu gehen und noch seine Fans zu beglücken. Aber in solchen Momenten denke
ich mir jedes Mal: Ich möchte den Tag nicht erleben, an dem ich die Tür
aufmache und da steht keiner. Das muss so schrecklich sein, dass ich all das
mit Freuden hinnehme und versuche, mich in Geduld zu üben, egal wie
zahlreich und wie sonderbar vielleicht manche Anfragen sind. Ich glaube, wir
können uns als begeisterte Klassik-Fans alle freuen, dass es noch so eine
breitenwirksame Begeisterung für klassische Musik gibt. Es gibt mit wenigen
Ausreißern eigentlich kaum Fälle, mit denen man nicht sehr gut zurechtkommt.
Können Sie denn gut mit dem Bild zurechtkommen, dass die
Marketing-Abteilung von Ihnen entwirft? Als schöner Mann, der Schneeflocken
in Richtung Publikum bläst?
Ich habe in meinen
allerersten Anfängen der Zusammenarbeit mit der Plattenindustrie einige
Dinge ein bisschen gegen meinen Willen gemacht, die ich später bereut habe.
Aber diesen Humor muss man schon haben, dass man ein Genre wie das
Weihnachtliche, das durch so viel Zuckerstaub bedeckt ist, auch ein bisschen
mit einem Überdrüberzucker auf die Schippe nimmt. Das, glaube ich, ist schon
erlaubt. Ich sehe es mit Ironie und mit einem Augenzwinkern.
Ich telefoniere gerade aus Bayreuth mit Ihnen. Hier haben Sie 2010 als
Lohengrin debütiert. Könnten Sie sich eine Rückkehr auf den Grünen Hügel
vorstellen?
Bei einem Haus mit dieser Tradition wie in
Bayreuth, für einen Komponisten gebaut, dem ich sehr zugeneigt bin und den
ich sehr regelmäßig im Repertoire habe, wäre es verrückt zu sagen: „ich
komme nicht zurück“. Ich habe mich damals nicht wirklich wohl gefühlt und
hatte auch den Eindruck, nicht wirklich willkommen zu sein. An wem das lag,
mag jetzt mal dahingestellt sein. Doch so lange sich dieses Gefühl nicht
deutlich verändert, wird es kein Comeback geben. Ich habe aber vor, noch
einige Jahre zu singen. Vielleicht finden wir ja wieder zueinander.
Am Schluss einmal zurück nach Wiesbaden: Was ist an dem Gerücht
dran, dass Sie in Wiesbaden-Schierstein schon einmal eine tragende Rolle in
einem Krippenspiel übernommen haben?
(Lacht) Nee,
zumindest so, wie Sie es jetzt formulieren, haben wir das nicht gehabt.
Also: Sie spielen natürlich auf meinen Schwiegervater an, der viele Jahre in
Schierstein in der Kirche tätig war. Wir haben auch schon Teile des
Weihnachtsfests miteinander verbracht. Aber ein Krippenspiel in dem Sinne
habe ich nicht aktiv gestaltet. Ich glaube, das ist der Phantasie
entsprungen, von wem auch immer. Wir diskutieren immer wieder, ob wir nicht
doch einmal die Zeit finden, uns Bach zu widmen. Das würde mich sehr freuen.
Das habe ich in meinen ersten zehn Jahren der Karriere sehr, sehr regelmäßig
getan, und ich vermisse das schon sehr. Ob das nun das Weihnachtsoratorium
oder eine der Passionen ist: Dafür wäre er natürlich prädestiniert. Aber bis
jetzt ist es ein Traum. Wir hoffen, dass er irgendwann Wirklichkeit wird. |
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