|
|
|
|
|
Opernring 2, November 2022 |
Andreas Láng |
|
|
DA SPRICHT DER POET, nicht der Mensch
|
|
Gustav Mahler war begeistert von Giordanos
Andrea Chénier - als Direktor der Hofoper durfte er das Werk allerdings
nicht bringen - die Zensur stieß sich am Thema Französische Revolution. Also
wich Mahler auf Fedora aus. Puccini hingegen gehörte nicht zu Mahlers
Lieblingskomponisten. Was hat Giordano, speziell Andrea Chénier, was Puccini
nicht hat? Was zeichnet diese Partitur aus?
JONAS
KAUFMANN: Nicht nur Mahler, auch andere große Dirigenten sind
Puccini eher ablehnend gegenüber gestanden. Der Grund dafür ist, denke ich,
dass Puccini für ihr Empfinden zu gewollt die Emotions-Knöpfe des Publikums
gedrückt hat. Es ist so offensichtlich, dass er sein Publikum ganz gezielt
in der Hand hat - weshalb man die Wirkung seiner Musik oft mit Filmmusik
vergleicht, wo ja sehr plakativ mit den Gefühlen der Zuschauer gespielt
wird.
Gerade die Oper Andrea Chénier gehört zu den großen
»Sänger-Opern«, also zu jenen Werken, um die sich die größten Sänger aller
Generationen stets bemüht hatten (anders als etwa bei einem Simon
Boccanegra). Inwiefern haben sich hier bestimmte Traditionen entwickelt, die
vielleicht nicht notiert sind, aber dennoch gewissermaßen zur Interpretation
dazugehören?
JK: Ich habe immer wieder
festgestellt, dass sich im Laufe der Aufführungsgeschichte bestimmte
Traditionen herausgebildet haben, die nicht im Sinne des Komponisten sind,
sondern eher im Sinne des Sängers - entweder, um schwierige Stellen zu
entschärfen oder um eine Zirkusnummer vorzuführen. Im Fall von Andrea
Chénier ist genügend Stoff vorhanden, den man als Sänger auskosten kann, da
muss man sich keine Extras überlegen.
Der Tenor kann in dieser
Oper auf eine Reihe von (relativ kurze) Arien verweisen: Worin unterscheiden
sich diese?
JK: Das »Improvviso« würde ich
jetzt nicht als kurz bezeichnen, das ist sogar einer der längsten Titel im
Verismo-Repertoire. Es ist der stürmische, aufrührerische Monolog eines
Freiheitskämpfers. Die zweite Tenor-Szene, im Duett mit Roucher, ist
Ausdruck einer romantisch-leidenschaftlicher Liebe, die dritte ist die
Verteidigungsrede des zum Tode Verurteilten, der gegen Willkür und Lüge
aufbegehrt. Und die letzte, unglaublich zärtliche Solo-Szene ist der
berührende Abschied eines großen Künstlers von dieser Welt.
Maddalena macht eindeutig eine Entwicklung durch, Gérard ebenfalls. Aber
gilt dies auch für Andrea Chénier? Oder bleibt er durchgehend, unabhängig
von allen äußeren Veränderungen, der gleiche romantische Idealist? Was
erzählt die Musik von seinem Charakter?
JK:
Musik und Text zeichnen eine Figur mit vielen Facetten: Den jugendlichen
Idealisten, der kein Blatt vor den Mund nimmt; den ehemaligen Revolutionär,
der sich versteckt halten muss; den Liebhaber und Dichter; und schließlich
das politische Bauernopfer. Wobei Chénier nicht in Verbitterung stirbt,
sondern angesichts seiner Hinrichtung geradezu aufblüht, weil der gemeinsame
Tod mit der Geliebten zum Schönsten gehört, was er sich vorstellen kann.
Im zweiten Bild besingen Maddalena und Chenier bei ihrem ersten
Zusammentreffen seit Ausbruch der Revolution ein »vereint bis in den Tod«
(»Fino alla morte insiem«). Sie werden auch am Ende vereint in den Tod gehen
(»Viva la morte insiem«). Aber wäre es im zweiten Bild nicht angebrachter
vom Leben zu sprechen, als gleich einen Tod anzunehmen, in den man gemeinsam
gehen möchte?
JK: Die Todessehnsucht ist
natürlich etwas hoch Romantisches. Für jemanden, der sich in seiner
Literatur vergräbt und in Worten Erotik empfindet, ist die Vorstellung eines
gemeinsamen Todes das höchste der Gefühle. Da spricht der Poet, nicht der
Mensch.
Liebt Chénier Maddalena von Anfang an? Oder überhaupt
jemals? Oder: ab wann liebt er sie, gibt es einen Moment, an dein er
entzündet wird? Man hat das Gefühl, dass Chénier die Liebe an sich sucht -
er bleibt in Paris, um eine ihm Unbekannte kennenzulernen, auch auf die
Gefahr hin, getötet zu werden. Er macht es aber nicht, um einer konkreten
Person willen. Was ist das für eine Einstellung? Was treibt ihn ganz
grundsätzlich an?
JK: Ich bin mir nicht sicher,
ob es eine körperliche Beziehung ist, die er sucht. Im ersten Akt verliebt
er sich in Maddalena, ist aber extrem enttäuscht, als er feststellt, dass
auch sie dem Snobismus der Aristokratie verfallen ist. In der Szene mit
Roucher brennt er für eine Unbekannte, mit der er eine intensive
Brieffreundschaft pflegt und die er unter allen Umständen kennenlernen muss.
Als er dann erfährt, dass diese Unbekannte, die sich »Speranza« nennt,
Maddalena ist, geht für ihn in Erfüllung, wovon er nicht zu träumen wagte.
Es ist interessant, wenn man Cavaradossi und Andrea Chénier
vergleicht: Cavaradossi wartet in Verzweiflung auf die Hinrichtung und denkt
an die Liebe zu Tosca. Andrea Chénier scheint nicht sonderlich verzweifelt
zu sein und besingt in seiner letzten Arie die Poesie. Kann man bei so einem
Verhalten im Falle von Chénier überhaupt von Verismo sprechen?
JK: Ich weiß nicht, ob man das so direkt vergleichen kann.
Trotz Polizei-Terror in Rom sind wir in Tosca weit entfernt von einer
Situation, wie sie der junge Chénier während der Französischen Revolution
erlebt: da werden Tag für Tag massenweise Leute verhaftet und öffentlich
hingerichtet, und ich denke, dass man in einer solchen Extrem-Situation
schon eine Art Todessehnsucht entwickeln kann.
Kennt Chénier
überhaupt das Gefühl der Angst? Bei seiner Verurteilung stört ihn
vordringlich, dass seine Ehre beschmutzt wird, am Schluss meint man sogar
einen Triumphator vor sich zu haben.
JK: Wie heißt es so schön:
Wer Angst hat im Wald, der pfeift. Ein bisschen trifft das auf seinen
Monolog im dritten Akt zu, wenn er vor dem Tribunal seine Ehre verteidigt,
für sein Vaterland spricht und für den Urgedanken der Revolution. Dass ihm
Angst nicht fremd ist, wird ja schon darin deutlich, dass er sich nicht nur
um sich Sorgen macht, sondern auch um Maddalena. Da merkt man schon, dass
sein Herz noch sehr am Leben hängt.
Wäre Chénier als Charakter in
einem »normalen« Leben überhaupt ein interessantes Gegenüber für eine Frau?
Macht ihn nicht erst sein Schicksal zu etwas Besonderen?
JK: Die Ausnahmesituation, in der sich Chénier befindet,
macht es schwierig zu beurteilen, wie er sich in einem »normalen« Leben
verhalten würde. Die Gründe und Motive, warum sich Maddalena in ihn
verliebt, sind sicher nicht die einer »normalen« jungen Frau.
Chénier ist ein Dichter, Cavaradossi ein Maler—sie sind also beide Künstler.
Ist es rein vom Darstellerischen her nicht schwieriger einen Künstler zu
mimen als z.B. einen ägyptischen oder venezianischen Feldherrn. Wie bringt
ein Künstler einen Künstler auf die Bühne, ohne ihn zu überzeichnen und
trotzdem diesen Aspekt zu berücksichtigen. Oder ist die Tatsache, dass
Chénier ein Dichter ist, in Wahrheit nebensächlich.
JK:
Ich sehe keinerlei Schwierigkeiten darin, auf der Bühne einen Künstler zu
verkörpern. Ich denke, dass ich mich eher in die Lage eines Künstlers
hineinversetzen kann als in die eines Feldherrn. Von dessen Welt bin ich
sicher weiter entfernt als von der eines Malers oder Dichters. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|