BR Klassik, 22.09.2022
von Kathrin Hasselbeck
 
 
Zwischen Oktoberfest und Staatsoper - JONAS KAUFMANN ALS PETER GRIMES
 
Ein Besuch auf dem Oktoberfest gehört für Startenor Jonas Kaufmann dazu – schließlich ist er ein Münchner Kindl. Wann dafür der richtige Zeitpunkt ist, muss er als Sänger aber gut überlegen: Am Mittwoch singt er zum ersten Mal den "Peter Grimes" an der Bayerischen Staatsoper.

BR-KLASSIK: Herr Kaufmann, auf dem Weg zu Ihnen habe ich in der Münchner Innenstadt Dirndl und Lederhosen gesehen. Sie als Münchner Kindl: Wie halten Sie es mit der Wiesn? Gehen Sie hin?

Jonas Kaufmann: Ganz klar gehe ich, aber ich muss natürlich immer ein bisschen aufpassen. Das große Problem ist die Lautstärke in den Zelten. Man ist dann doch hingerissen, wesentlich lauter zu sprechen als man eigentlich möchte, um nicht zu sagen zu brüllen, zu schreien, um sich zu verständigen. Das merkt man in dem Moment eigentlich nicht. Aber wenn man dann später nach Hause geht, kann das mitunter ganz unangenehm sein. Insofern muss ich jetzt zwischen den "Grimes"-Aufführungen immer wieder schauen, ob es eine Lücke gibt, wo ich das mir und meiner Stimme erlauben kann. Aber ich werde ganz sicher gehen. Also zwei Abende habe ich mir schon ausgesucht und vielleicht wird es auch ein bisschen mehr (lacht).

BR-KLASSIK: Singen Sie auch mit?

Jonas Kaufmann: Nein! Ich versuche dann möglichst einen Platz weg von den Kollegen zu bekommen, die da auf der Bühne singen, denn je näher man da dran ist, desto irrsinniger ist das natürlich.

BR-KLASSIK: Am Mitwoch singen Sie "Peter Grimes" zum ersten Mal an der Bayerischen Staatsoper, das Rollendebüt haben Sie schon im Januar in Wien gehabt. Dieser Peter Grimes, der ist ja ein zwielichtiger Kerl mit seiner ganzen Wut. Man weiß nicht so recht: Ist er Täter, ist er Opfer? Ist er beides? Welche Gefühle haben Sie denn für den Grimes?

Jonas Kaufmann: Ja, es ist ein sehr schwieriger Charakter, das ist keine Frage. Und wenn man diese Partie selber interpretiert, versucht man natürlich immer Sympathie für das zu erlangen, was er da tut und was er sagt.

BR-KLASSIK: Und gelingt Ihnen das? Ist Ihnen der Grimes sympathisch?

Jonas Kaufmann: Er tut mir wahnsinnig leid. Ich glaube nicht, dass er ein echter Mörder ist. Heute würde man sagen: autistisch oder Asperger oder was auch immer. Moderne Ausdrücke dafür, dass er an diesem Ort, an dem er da verhaftet ist, einfach zerrieben wird von den vielen, vielen Intrigen, die da gesponnen werden. Und natürlich ist es tragisch, dass der erste Knabe in einem Sturm verdurstet, weil sie irgendwie zu weit abgetrieben werden und nicht mehr nach Hause finden.

Aber wir müssen das auch damit in Zusammenhang sehen, wie das sozusagen böserweise damals war: Kinder aus dem Waisenhaus wurden über viele Jahrhunderte als billige Sklaven gehalten. Das ist leider Tatsache. Ob sie im Bergwerk gearbeitet haben, weil sie schön klein waren und da ihre Löcher graben konnten - und das war bei uns in Bayern nicht anders - oder eben, ob sie an der Küste gelebt haben und dann den Fischern geholfen haben. Und er sagt ja selber: Ich kann mir das nicht leisten. Ich kann mir keinen zweiten Fischer leisten, einen Erwachsenen, den ich mitnehme, das geht sich nicht aus. Es kann nur so ein Kind sein, das sozusagen für Kost und Logis dann 24 Stunden arbeiten muss und zur Verfügung steht. Das ist ganz tragisch und natürlich verwerflich aus heutiger Sicht. Aber das kann man dem Grimes eigentlich nicht vorwerfen.

PETER GRIMES IST EIN TRAGISCHER CHARAKTER

Die zweite Situation ist dann vielleicht noch dramatischer: Der zweite Knabe stirbt ja auch aus dem direkten Druck heraus, den dieses Dorf auf Peter Grimes ausübt. Die kommen wie ein Lynchkommando zu ihm gezogen, und er rastet vollkommen aus und ist, vorsichtig gesagt, verwirrt, wahrscheinlich sogar eben sehr, sehr gestört und verwechselt da sozusagen die Örtlichkeiten. Vielleicht kann man so sagen: Der wohnt halt direkt an der Küste, und früher gab es einen Weg runter, wo er sein Boot hatte, und er musste nicht extra in den Hafen, sondern konnte das direkt da machen. Jetzt gab es aber eben eine riesige Sturmflut, die das alles weggerissen hat und direkt hinter seiner Hintertür beginnt quasi der Felsenabgrund runter zum Meer. In seiner Hektik irrt er sich und lässt den Knaben und sich selbst zur Hintertür raus- und runterklettern - und der Knabe fällt. Das bringt ihn letztlich dann, gottseidank muss man auch sagen, so sehr aus der Bahn, dass er da runter steigt, um den Leichnam zu bergen und dann irgendwann komplett verzweifelt zurückkommt und dann dem Ratschlag von Balstrode folgt, einfach mal raus aufs Meer zu fahren und sich mitsamt seinem Schiff zu versenken, damit die Sache ein Ende hat. Das ist wirklich eine tragische Geschichte, aber für mich, wie gesagt, ist der Mann mehr Opfer als Täter. Trotzdem ist da nichts Gutes dabei, das ist klar.

UM SHITSTORMS IN DEN SOZIALEN MEDIEN ZU VERMEIDEN - ERST DENKEN, DANN SCHREIBEN

BR-KLASSIK: Benjamin Britten hat ihn ja als Sündenbock bewusst inszeniert. Sie haben den Mob schon erwähnt. Sein Name selbst, "Grimes" - der Dreck, der Ruß. Mich erinnert das alles an den Mob von heute, der es noch leichter hat im Internet, anonym, etwa in den Sozialen Medien. Haben Sie selber schon mal Erfahrungen mit so etwas wie einem Shitstorm gemacht?

Jonas Kaufmann: Ich beobachte das natürlich. Ich habe insgesamt vier Kinder in verschiedenen Generationen. Da ist es mal weniger, mal mehr, mal extrem wichtig, wie man in den sozialen Medien dasteht. Ganz klar, dass da permanent draufgeschaut wird und dass in kürzester Zeit jemand in die Ecke gedrängt werden kann, ohne dass wir das als Eltern merken. Jetzt auf den "Grimes" bezogen - da kriegen ja alle mit, was da passiert, auch wenn der da mit dem Knaben alleine in seiner Hütte ist. Es ist Stadtgespräch, und man kümmert sich darum, wie es dem Knaben wohl gehen mag. Durch diese Virtualität sind all diese Kontrollmechanismen eigentlich ausgehebelt. Und dann ist es noch viel schwieriger, jemanden aufzufangen, der vielleicht von diesem Shitstorm, wie Sie es jetzt genannt haben, eben so sehr getroffen wird, dass er Gedanken hat, sein Leben zu beenden. Das gibt es ja leider auch immer wieder. Da ist das soziale Netz extrem schwer zu knüpfen, um die Leute noch zu retten. Und deshalb muss man sich wirklich immer wieder überlegen, was das auslösen könnte, bevor man was schreibt. Aber das kann wohl man hundertmal sagen und es wird wahrscheinlich doch nicht geachtet.

SELBSTWERTGEFÜHL FÜR KINDER - WICHTIGSTE AUFGABE FÜR ELTERN

BR-KLASSIK: Was sagen Sie beispielsweise Ihren Kindern, um sie da zu stärken?

Jonas Kaufmann: Man muss Kindern grundsätzlich ein gesundes Selbstvertrauen anerziehen, wenn man es so nennen mag. Dass sie nicht so leicht durch Meinungen anderer aus ihrer Bahn geworfen werden. Das gelingt vielleicht nicht immer perfekt. Aber ich glaube, das ist eine der Grundaufgaben als Eltern, sein Kind wirklich so zu festigen, dass es nicht jedem Ruf und jedem Trend nachjagen muss, um irgendwie auch dabei zu sein, sondern dass das Selbstwertgefühl eben hoch genug ist, sich auch mal gegen einen Trend stellen zu können, ohne das Gefühl zu haben, plötzlich nicht mehr wichtig oder interessant zu sein.

BR-KLASSIK: Auf der Fahrt hierher habe ich nicht nur die Wiesn erlebt in der Stadt, sondern auch den Herbst. Es ist so kalt und so grau draußen. Sind Sie ein Herbstmensch? Und bezogen auf Peter Grimes – wie gehen Sie mit Einsamkeit um?

Jonas Kaufmann: Ja, wenn man so viel unterwegs ist und so viel erlebt, ist man manchmal auch ganz froh um einen Moment der Ruhe und der Eigenbesinnung. Aber ich bin grundsätzlich schon jemand, der gesellig ist und der gerne mit Leuten zusammen ist. Meine Frau zum Beispiel ist jemand, die freut sich schon richtig drauf, dass man jetzt das Kaminfeuer anzünden kann. Als ob das nicht eine Kompensation wäre, sondern sozusagen Sinn und Zweck dieser kalten und trüben Jahreszeit. Aber es ist richtig: Der "Grimes" ist genau das: diese Kälte, die so langsam kriecht und von der wir jetzt besonders überrascht waren, weil der Sommer so extrem warm war. Aber es ist doch alles ein paar Wochen zu früh, das muss man schon sagen. Am ersten Wiesn-Wochenende ist normalerweise strahlend-blauer Himmel, und dann wird es halt abends oder nachts knackig kalt. Aber tagsüber wärmt die Sonne sofort alles wieder auf, und von der merken wird zurzeit nichts.
 






 
 
  www.jkaufmann.info back top