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Abendzeitung, 26.6.2021 |
Robert Braunmüller |
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Jonas Kaufmann über den Tristan: Voll unter Starkstrom
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München - Am Dienstag beginnen die
Opernfestspiele mit einer Neuinszenierung von Wagners "Tristan und Isolde".
Krzysztof Warlikowski inszeniert, Kirill Petrenko dirigiert das Bayerische
Staatsorchester, das wieder in voller Besetzung im Orchestergraben sitzt.
Die beiden Titelpartien übernehmen Anja Harteros und Jonas Kaufmann.
Kaufmann hat zwar den zweiten Akt schon konzertant in Boston gesungen,
trotzdem ist es für beide ein Debüt in diesen anspruchsvollen Rollen. Die
Aufführung ist ungekürzt, ohne den manchmal üblichen Strich im Duett des
zweiten Akts.
AZ: Herr Kaufmann, am Tag vor diesem
Gespräch war die Hauptprobe. Geht es Ihnen und Ihrer Stimme noch gut?
JONAS KAUFMANN: Bergsteiger werden jetzt
womöglich sagen: "Das ist doch Rucksacktourismus, da gibt's noch ganz andere
Berge." Aber natürlich ist der Tristan der Mount Everest. Die Partie ist in
vielerlei Hinsicht tückisch: Man muss über Stunden fit und konzentriert
bleiben. Auch der Text ist nicht einfach zu merken, da stolpert man leicht.
Kaufmann: "Es ist ein permanenter Tanz auf des Messers Schneide" Auch
musikalisch ist die Rolle, vorsichtig gesagt, extrem fordernd. Es ist ein
permanenter Tanz auf des Messers Schneide. Man muss schon sehr aufpassen,
und sich nie verleiten lassen, musikalisch und emotional über das Ziel
hinauszuschießen. Bei jeder anderen Partie kann man schon mal dem Affen
Zucker geben, ohne dass es sich gleich rächt. Dafür ist der Tristan zu lang
und zu anstrengend. Es gibt kaum Pausen, in denen man sich zurücknehmen und
über den nächsten Einsatz und den Text nachdenken kann. Für all das gibt
einem Wagner keine Zeit.
Trotzdem machen Sie einen recht
entspannten Eindruck. Natürlich ist der Tristan das Höchste
im deutschen Fach, wenn einem die Stimme dafür gegeben ist. Ich habe nicht
ohne Grund lange gezögert, weil ich um die Risiken weiß. Ich war auch vor
drei Monaten noch nicht sicher, dass es locker funktioniert. Aber
letztendlich tue ich das für mich, weil es mir Spaß macht und ich dabei
Glücksmomente empfinde.
Sie sehen gar kein Risiko?
Ich habe auch vom Otello keine Dauerschäden davongetragen, weil ich die
Rolle nicht zu oft singe. Ich hoffe, das wird auch beim Tristan so sein. Der
Tristan ist eine Rolle, die nie aufhört, steinig und klippenreich zu sein.
Aber es gibt auch unglaublich schöne und berührende Momente. Und es ist
möglich, sie zu bewältigen. Deshalb sitze ich auch hier und schwänze nicht.
Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der Sänger der Münchner
Uraufführung, war nach drei Aufführungen tot. Ich glaube
nicht an den Fluch dieser Partie. Schnorr war Ende 20 und hatte eine sehr
stattliche Figur, wie man auf Fotos sehen kann. Es war wohl eher ein
körperliches Problem und kein stimmliches.
"Da ist man dann als
Sänger schnell auf verlorenem Posten"
Man hört oft, der
Tristan sei eigentlich eine Baritonpartie mit ein paar hohen Tönen. Ist das
richtig? Das stimmt nicht. An einer Stelle steht im
Klavierauszug: "Bitte nie die Singstimme verlassen." Das heißt: Man darf
sich nicht in eine Art Sprechgesang retten. Es soll schon gesungen sein. Es
reicht auch nicht, vor allem laut zu singen, wie es einige auf den Tristan
spezialisierte Kollegen tun. Denn die Partie hat auch zarte, lyrische
Passagen und das Duett im zweiten Akt, wo man auf die Sopranistin Rücksicht
nehmen muss.
Das Orchester trägt nicht zur Schonung der
Sänger bei. Die Musik ist symphonisch geschrieben und lädt
auch dazu ein, symphonisch gespielt zu werden. Da ist man dann als Sänger
schnell auf verlorenem Posten. Hier haben wir das Glück, dass Kirill
Petrenko nimmermüde darauf achtet, uns Platz zu lassen. Alles trägt dazu
bei, dass wir alle erstaunlich positiv gestimmt der Premiere entgegensehen.
Gibt es den Liebestrank eigentlich? Der
erste Akt ist der Schlüssel: Die nicht gelebte Beziehung in der
Vorgeschichte. Tristan kommt zu Isolde, um eine unheilbare Wunde behandeln
zu lassen. Sie erkennt in ihm den Mörder ihres Verlobten. Trotzdem passiert
etwas mit den beiden, was Wagner den "sehrenden Blick" nennt. Niemand weiß,
wie lang die beiden unter einem Dach gelebt haben und was da passiert ist.
Nach seiner Rückkehr arrangiert Tristan eine politische Heirat zwischen
Isolde und König Marke, seinem Onkel. In diesem Moment beginnt das Drama
einer versteckten, uneingestandenen Liebe. Daher beschließen beide, sehenden
Auges in den Tod zu gehen, weil sie das nicht aushalten. Auf diese Weise
wird der Todestrank zum Liebestrank, und der zweite Akt ist dann Starkstrom
pur.
Wagner versteht im "Tristan" die Liebe als Qual.
Können Sie persönlich damit etwas anfangen? Es ist eine
sehr traurige Geschichte und letztlich die Verwandlung eines alten
Opernthemas, einer Liebe, die nicht sein darf. Wagner hat sich intensiv mit
dem Buddhismus beschäftigt. Kirill Petrenko hat neulich auf einer Probe am
Beginn des dritten Akts darüber gesprochen: Tristan hat sich gewünscht, das
Reich der ewigen Nacht zu erreichen. Er ist sozusagen bereits im Nirwana und
kehrt wieder aus dem Totenreich zurück, weil Isolde den Weg dorthin noch
nicht gefunden hat. Tristan stirbt also letztendlich zweimal: am Ende des
zweiten Akts und im dritten. Es ist ein todessehnsüchtiges Stück, aber aus
buddhistischer Sicht. Es geht darum, sich am Ende des Wegs nach
Wiedergeburten in einer Unendlichkeit aufzulösen. Die Todessehnsucht wird
also von Wagner positiv uminterpretiert.
Viele Beobachter
haben zuletzt konstatiert, dass Ihre Stimme von der Ruhepause während der
Pandemie profitiert hätte und Sie jetzt in Bestform wären. Sehen Sie das
auch so? Auch enge Freunde, deren Urteil mir wichtig ist,
haben das gesagt. Beim Singen berührt man, verbunden mit den vielen
Adrenalinschüben, immer Leistungsgrenzen. Aber vieles ist auch eine reine
Kopfsache. Und natürlich ist es etwas Besonderes, wenn man nach vielen
Monaten Enthaltsamkeit wieder vor Publikum singen darf.
"Der Aufwand,
diese Rolle nur für fünf Aufführungen zu lernen, wäre doch sehr groß"
Wären Sie selbst auf die Idee gekommen, eine Auszeit zu
nehmen? Opernaufführungen werden auf Jahre im Voraus
geplant, da ist so etwas schwierig. Aber ich hatte tatsächlich vor, in der
kommenden Spielzeit ein Sabbatical zu nehmen und mich auf ganz wenige
Auftritte und Liederabende zu beschränken. Das hat sich nun erübrigt.
Was kommt nach Tristan? "Tannhäuser" hätte
in der Reihung wichtiger Wagner-Partien noch davor kommen sollen. Die
Aufführung wurde abgesagt, ich werde die Rolle 2023 singen. Außerdem
debütiere ich in der kommenden Saison als Peter Grimes. Das geht auch in
eine andere Richtung. Ich denke auch über den Pelléas nach, weil ich
vielseitig bleiben möchte.
Werden Sie den Tristan auch an
anderen Häusern singen? Ich warte immer erst mal die
Premiere ab. Aber: Der Aufwand, diese Rolle nur für fünf Aufführungen zu
lernen, wäre doch sehr groß.
Glauben Sie, dass das viele
Reisen der im Opernbetrieb Beschäftigten wieder zurückkehrt?
Auftritte sind durch Zoom nun mal nicht zu ersetzen. Ich habe mir schon
damals, als ich Vater wurde, ein Auftrittszimmer zu Hause gewünscht, mit
dessen Hilfe ich virtuell auf jede Bühne dieser Welt komme. Ich bin in einer
etwas abgeklärteren Phase meiner Karriere, in der ich weiter viel reisen
werde, aber das extreme Hin und Her möchte ich mir nicht mehr antun.
"Die Krise hat viele Stilblüten getrieben"
Wie ging es
Ihnen bei Streams? Es ist schwer, die gleiche Leistung vor
einem leeren Saal abzurufen. Ich tue mir auch schwer, ohne Applaus aus einer
Partie wieder herauszukommen, weil ich diese Zäsur brauche. Ohne Beifall
steht man verlegen vor der Kamera.
Wie haben Sie das
letzte Jahr erlebt? Ich habe in den Jahren davor eine gute
Karriere hingelegt. Meine finanzielle Planung war jetzt nicht Spitz auf
Knopf genäht, aber ich bin mir bewusst, dass ich mich damit in einer
privilegierten Position befinde. Und ich hatte immer mal wieder online
Auftritte. Das war nicht jedem vergönnt.
Einige Ihrer
Kollegen haben gegen die Schließung der Opernhäuser geklagt.
Ich habe viele Gespräche geführt - meist hinter geschlossenen Türen - und
mit meinem Freund Ludovic Tézier eine europaweite Initiative gestartet, um
die Politik auf drohende kulturelle Verluste aufmerksam zu machen. Denn es
besteht die Gefahr, dass viele kleinere Institutionen wegbrechen.
Aber vor Gericht sind Sie nicht gezogen. Ich
glaube nicht, dass einer dieser Kollegen wirklich gerne mit den Politikern
getauscht hätte, die zu entscheiden hatten, wie mit den Zahlen umzugehen
ist. Wer zu früh lockert, an dessen Händen kann auch Blut klebenbleiben, um
es krass zu sagen. Ich kenne auch Kollegen, die das Virus für ein Komplott
halten, um bestimmte Leute an die Macht zu bringen. Die Krise hat viele
Stilblüten getrieben.
Verstehen Sie das?
Wenn man nach Monaten immer noch nicht weiß, wie es weitergeht, sorgt das
für eine starke Verunsicherung. Aber ich hoffe, dass wir von diesen Dingen
bald nur noch in der Vergangenheitsform reden. Ich fürchte nur, dass der
Nachwuchs nun gesehen hat, wie groß der Stellenwert von Kultur in unserer
Gesellschaft wirklich ist. Ich fürchte, dass sich viele Talente gegen die
Musik als Beruf entscheiden und uns verloren gehen.
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