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Opernglas, Juni/Juli 2020 |
Yeri Han |
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Mount Everest
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Nächstes Jahr singt Jonas Kaufmann erstmals den Tristan. Über den Weg zum Rollendebüt und seine neue »Otello«-Aufnahme sprach er mit Yeri Han.
Derzeit erscheint eine neue Studio-Aufnahme des »Otello« mit
Ihnen in der Titelpartie —eine Oper, die sehr von Leidenschaft und auch von
der Interaktion mit Kollegen lebt. Wie gelingt es Ihnen, diese Emotionalität
in der Studio-Atmosphäre abzurufen und zu transportieren?
Ich hoffe zumindest, dass es mir gelingt. Es hilft sehr, wenn man so
eine Oper bereits auf der Bühne gesungen hat, in meinem Fall sind es zwar
noch nicht viele, aber immerhin achtzehn Aufführungen, schätze ich. Ohne so
einen Erfahrungshintergrund ist man im Studio sicherlich recht verloren,
zumal wir nicht chronologisch aufnehmen, sondern in ganz unterschiedlichen
Reihenfolgen und Abschnitten. Dabei am Ende eine Rollengestaltung zu
„ernten", die einen großen Bogen vollzieht und aufzeigt, ist am
schwierigsten bei solch einer komplexen Produktion. So schön und lobenswert
es auch ist, wenn eine Studio-Aufnahme realisiert wird — der Plan, mit dem
das geschieht, ist im Grunde völlig verrückt: Man spielt jeden Tag die
unterschiedlichsten Stellen ein, je nachdem welche Orchesterbesetzung gerade
gefragt ist — wann sind die Trompeten da, welche Tage sind für den Chor
reserviert, können alle Kollegen an jenem Tag zu jener Uhrzeit anwesend
sein? Das sind teilweise richtige Balanceakte, bei denen es sehr hilft,
einen erfahrenen Dirigenten wie Antonio Pappano mit an Bord zu haben, so
abgeschmackt das auch klingen mag. Aber ich kenne kaum einen anderen
Dirigenten, der es so wie er schafft, innerhalb weniger Sekunden so viel
Energie aufzubringen, und — egal ob morgens um zehn oder abends um neun —
stets hundertprozentig da ist, hundert Prozent abruft, aber auch hundert
Prozent erwartet, sei es im alles entscheidenden letzten Take oder in der
allerersten Probe. Aber da dies nicht meine erste Aufnahme ist, habe ich
weniger Berührungsängste mit den Mikrofonen als jemand, der das nicht
gewohnt ist. Man vergisst mit den Jahren das Rundherum des Studios.
Nutzt man die Studio-Situation auch dazu, zusätzlich oder noch
mehr und gezielter mit bestimmten Stimmfarben herumzuspielen, als Sie es auf
der Bühne täten?
Darüber versuche ich mir vorab
eigentlich nie Gedanken zu machen. Ein Schauspieler sagt vorher auch nicht
seinen Text auf und überlegt sich bereits, wie seine Stimme dabei klingen
könnte. Er stellt sich vielmehr die Situation vor, den emotionalen Zustand,
und der Rest passiert ganz von allein, denn traurig, heiter oder böse zu
sein, hat unmittelbaren Einfluss auf die Stimmfarbe. Man sollte sich stets
bewusst sein, in welcher Situation die Figur sich gerade befindet, und diese
Gefühle nach Möglichkeit in sich selbst abrufen können. Damit erübrigt sich
jede Überlegung um Stimmfarben. Dass die nicht immer gleich sein können, ist
klar. Keiner meiner Auftritte gleicht dem anderen — das gibt es einfach
nicht.
Wo liegen für Sie der besondere Reiz, aber auf die
größte Herausforderung in einer Partie wie dem Otello, der nun kein positiv
besetzter Opernheld ist, sondern zunehmend erratisch und destruktiv
auftritt?
In jedem Menschen gibt es tief drinnen auch
die üblen Gedanken, und die muss man sich in solchen Momenten kurz bewusst
machen. Otello ist sicher ein Grenzfall — ich will schwer hoffen, dass ich
nicht all seine Eigenschaften und Fehler in mir trage (lacht), denn das sind
teilweise sehr wilde Gedankengänge, die in ihm abgehen. Ich will ihn
keinesfalls verteidigen, aber letzten Endes muss man das Stück auch einmal
aus seiner Sichtweise betrachten. Wenn man das tut, sieht man einen Muslim,
beziehungsweise einen Nicht-Christen, noch dazu einen dunkelhäutigen. Wobei
ich dazu sagen muss, dass ich diese Bezeichnung eigentlich falsch finde. Es
ist ganz köstlich — Shakespeare, der England nie verlassen hat, hat sich die
Geschichten von fernen Ländern, wie es heißt, immer am Hafen erzählen
lassen; und es soll in der Tat einen sizilianischen Feldherrn gegeben haben,
der in Venedig tätig gewesen ist, tatsächlich seine Frau umgebracht hat und
mit Nachnamen „Moro" geheißen haben soll. Mittlerweile geht man davon aus,
dass hier vermutlich das Missverständnis liegt, das Otello letzten Endes zum
„Mohr von Venedig" gemacht hat. Fest steht, dass Otello ein Außenseiter war
und Schwierigkeiten hatte, einen Platz in der damaligen venezianischen
Gesellschaft zu finden, sich aber durch seine Erfolge und Leistungen
allmählich in den Hierarchien nach oben arbeiten konnte. Belohnt wurde er
für seine Verdienste gewissermaßen mit der Frau, die, wie es heißt, auch
noch die „Weißeste aller Weißen", also die Reinste aller Reinen war. Aus der
Shakespeare'schen Vorlage weiß man, dass das keine einfache Angelegenheit
und ihr Vater mit dieser Verbindung mitnichten einverstanden war, aber das
spielt bei Verdi keine Rolle. Dennoch wird auch bei ihm deutlich, dass sich
da zwei totale Gegensätze zusammengetan haben, wie man schon am Ende des
ersten Aktes deutlich sieht, als dieser triumphale Feldherr, der soeben das
unglaubliche Kampfgetümmel niedergeschrien und alle nach Hause geschickt
hat, in einer wahnsinnig unbeholfenen Art versucht, Desdemona seine Liebe
zum Ausdruck zu bringen, unter Verwendung ganz eigenartiger Formulierungen,
indem er Kriegsschauplätze als Beispiele heranzieht. Der einzige
Kriegsschauplatz, von dem Otello überhaupt keine Ahnung hat, ist die Ehe. Da
ist er total blank, und dies ist vielleicht der Moment, der ihn sympathisch
erscheinen lässt, da er hier sehr unerfahren und unbeholfen agiert. Seine
Frau ist sein Statussymbol, der Inbegriff seines Erfolges. Unabhängig davon,
dass er sie wirklich liebt, trägt er eine permanente Angst mit sich herum,
mit ihr seinen Status und seine Ehre wieder verlieren zu können, sobald auch
nur der kleinste Zweifel an der Treue seiner Frau aufkommt. Sein
Lebenserfolg definiert sich so sehr über sie, dass er dabei völlig vergisst,
dass er sie aufrichtig liebt und er sich folglich von Jago einlullen lässt.
Plácido Domingo hat einmal gesagt, er schaue dem Jago nie in die Augen, denn
würde er das tun, müsste er die Lüge erkennen und die ganze Geschichte würde
nicht funktionieren. Ich verstehe total, was er damit meint.
Ab dem
zweiten Akt wird Otello auch stimmlich eine große Herausforderung — nicht
weil es so viele hohe Töne oder unglaubliche lange Phrasen zu singen gäbe,
sondern rein emotional betrachtet. Es gibt eigentlich fast keinen Moment und
keine Phrase, die nicht aufgeladen ist von dem ungeheuren Druck aus Hass,
Eifersucht und Rachegedanken. Otello versucht permanent sich zu beherrschen
und den wilden Ärger, den er in sich spürt, herunterzuschlucken und
aufgesetzt freundlich zu sein. Das wirkt sich wahnsinnig auf das Stimmliche
aus, und dieses unterschwellige Rumoren muss man auch hören, finde ich. Es
darf nicht einfach nur schön sein. Gleichzeitig muss man tunlichst
vermeiden, dass der Druck sich auch physisch auf die Stimmbänder auswirkt
und sie strapaziert. Das war auch der Grund, warum ich lange gezögert habe,
diese Partie zu singen, die zu Recht nicht nur bei mir, sondern auch bei
vielen anderen Kollegen als wahrer Mount Everest und Höhepunkt einer
Karriere gilt.
Da Sie schon den Begriff „Mount Everest"
verwenden, ist der Übergang zum nächsten Thema vielleicht nicht ganz so
abrupt: Ihr szenisches Rollendebüt als Tristan, das Sie 2021 in München
geben. Wie gestaltet sich Ihre Vorbereitung auf so eine Aufgabe?
Vor gut zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit, den zweiten Akt
konzertant zu singen, vor zwei Wochen hätte ich eigentlich auch den dritten
Akt in Boston und New York konzertant machen sollen und wollen. Im Frühjahr
2021 plane ich die gesamte Partie konzertant zu singen, um sie dann ab Mai
zu proben und im Juni erstmals auf die Bühne zu bringen. Insofern ist es
eine andere Vorbereitung als bei fast jeder Opernrolle, die ich bisher
gesungen habe — diese langsamen Schritte, mit denen man sich Stück für Stück
an die Partie annähert, denn es ist keine, die man sich zwei Tage vor der
ersten szenischen Probe einmal anschaut und dann sagt „passt schon". Dafür
ist sie zu komplex, zu lang, und sie lässt keinen Platz für auch nur einen
Fehltritt. Ein einziger Fehler kann das Ende des Abends bedeuten. Deshalb
muss der Tristan auch so präzise vorbereitet werden, damit man während der
Aufführung frei genug von Ängsten, Vorurteilen und Erfahrungen sein kann, um
diesen Menschen vollkommen zu verkörpern, ohne permanent eine angezogene
Handbremse zu spüren. Das ist jedenfalls die Idee dabei — wir werden sehen,
ob das funktioniert.
Bereitet man sich gezielt auch auf
den konditionellen Kraftakt vor? Man könnte sich natürlich
physisch fitter machen, um ja nicht aus dem Atem zu geraten angesichts
potenzieller Herausforderungen durch die Regie, aber das kann nur mit dem
Stück wachsen. Meine Technik habe ich noch nie einer Partie angepasst oder
sie geändert, um eine Oper singen zu können. Man passt sich stilistisch an,
aber seine Stimmbänder kann man nun einmal nicht austauschen. Es ist
richtig, dass man sich angesichts der Länge der Oper bemüht, sein Pulver
nicht sofort zu verschießen, anderseits weiß ich aber auch aus Erfahrung,
dass man, je mehr man sich zurückhält und den natürlichen Stimmfluss
unterdrückt in dem Glauben, damit Energie zu sparen, umso mehr Gefahr läuft,
das genaue Gegenteil zu erreichen: Die Stimme ermüdet im Laufe des Abends,
weil man sie nicht in natürlicher und bewährter Weise gewähren lässt,
sondern künstlich Einfluss nimmt. Auch konzentrationsmäßig bedeutet ein
»Tristan« einen langen Tag und langen Abend, aber genau deshalb bereitet man
sich so akribisch vor — damit man nicht in erster Linie darüber nachdenken
muss, was für eine Phrase gleich kommt, sondern sich ganz auf die
Interpretation fokussieren kann. Die Oper ist unglaublich schön geschrieben,
und gerade der dritte Akt in seiner komplexen Art, seiner Wirrnis und seinem
Irrsinn, der auch aus der Feder eines Psychologen hätte kommen können, hat
etwas sehr Besonderes, dem man sich einfach aussetzen muss. Da kann man
nicht kalkuliert jeden einzelnen Ton setzen, hier mehr drücken, da weniger.
Man muss zu einem gewissen Grad auch austesten, wo man wie laut singen muss
und wie leise man an anderer Stelle werden kann. Kirill Petrenko, den wir am
Pult haben werden, hat nicht den Ruf jemand zu sein, der Sänger aus dem
Graben heraus überfährt, im Gegenteil. Er lässt Orchester transparent
spielen, ohne ihnen gleichzeitig die Kraft und nötige Schlagkraft zu rauben,
was ja die große Gefahr ist, wenn man ein Orchester grundsätzlich
zurückgenommen spielen lassen will. Daran arbeitet er akribisch und ist
vermutlich noch viel vorbereiteter als wir Solisten.
Gibt
es Rollenvorbilder, die Sie in der Vorbereitung herangezogen haben? Oder
schauen Sie ganz auf sich?
Das ist immer sehr
schwierig. Natürlich gibt es Vorbilder, die ich gern höre, aber man läuft
dabei auch Gefahr, es dann genauso machen zu wollen. Wenn man eine Partie
neu einstudiert, ist es meiner Meinung nach nicht ratsam, sich zu häufig
andere Interpretationen anzuhören, weil man unterbewusst danach strebt,
diese zu imitieren. Wagner hat in der Partitur zahlreiche Vorgaben
hinterlassen. Wenn man feststellt, dass man mit einer davon so gar nichts
anfangen kann oder sich mit Tempo oder Dynamik nicht wirklich wohlfühlt,
kann man versuchen, für sich eine Referenzaufnahme zu finden und dort
Inspiration zu suchen, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals an diesen
Punkt gekommen zu sein, da ich bisher glücklicherweise immer genügend Ideen
für die Entwicklung einer eigenen Interpretation hatte. Als gestandener
Sänger sollte man nicht Weg A oder B gehen, nur weil er schon einmal
erfolgreich gegangen wurde. Jeder Sänger ist nun einmal individuell, und der
eine findet seine Stärken in der Diktion, der andere in der
Durchschlagskraft oder der Höhe, und noch ein anderer hat ein besonders
gutes Parlando oder eine schöne Wärme — von daher kann es gar nicht stets
gleich, sondern muss immer anders sein.
Sie sind sowohl
im dramatischen italienischen als auch im schweren deutschen Fach breit
aufgestellt — gibt es da überhaupt noch nächste Schritte, die für Sie
denkbar wären oder die Sie bereits für sich anvisieren, wobei die beiden
Siegfriede sicherlich ein Stichpunkt wären?
So viele nächste Schritte gibt es für mich gar nicht mehr. Im
italienischen Bereich gäbe es sicherlich einige Partien, die ich nie
gesungen habe — einige werden wohl auch nicht mehr kommen, da ich an ihnen
zu schnell vorbeigelaufen bin, andere werde ich noch machen, wenn es sich
zeitlich anbietet. Im deutschen Fach ist der Tannhäuser eine Partie, die
eigentlich noch vor dem Tristan hätte kommen sollen — er war auch schon
konkret geplant, aber dann gab es eine Änderung auf Seiten des Opernhauses,
sodass nun doch der Tristan zuerst kommt. Den Tannhäuser werde ich aber
definitiv nachholen, und er ist auch in konkreter Planung. Was die beiden
Siegfriede betrifft, habe ich mich noch nicht entschlossen. Ich habe schon
so viel gesungen, und vieles mit so viel Freude, dass ich mich immer wieder
fragen muss, warum ich manches davon nicht einfach lieber noch einige
weitere Jahre singe, bevor ich zu neuen Partien weiterziehe. Es wird auch
weiterhin Rollendebüts geben: Peter Grimes ist bereits „aufgelegt", Hermann
in »Pique Dame« wird mir immer wieder angeboten, und ich überlege schwer,
ihn tatsächlich zu singen. Einerseits ist er wunderschön, andererseits
kostet er aber auch so viel Lebenszeit, da man den russischen Text
einstudieren muss. Auch einen Eisenstein habe ich noch nie auf einer Bühne
gesungen, warum also nicht?
Corona beschäftigt derzeit
alle, der Kultur-Sektor zählt zu den besonders hart getroffenen Branchen.
Von vielen hört man, dass diese Zwangspause auch ihre schönen Seiten hat —
wie ist es Ihnen in dieser Zeit ergangen?
Ich bin in
der glücklichen Lage, ein schönes Haus mit Garten und eine Familie und ein
kleines Kind zu haben, das von dieser unverhofften freien Zeit massiv
profitiert. Das ist etwas, was ich sonst irgendwann hätte nachholen müssen.
Seit Jahren träume ich davon, einmal ein Sabbatical einzulegen — schöner
wäre natürlich gewesen, den Zeitpunkt selbst festlegen zu können und nicht
so plötzlich davon heimgesucht zu werden, aber unter den gegebenen Umständen
geht es mir natürlich verhältnismäßig gut. Das einzige, was mich umtreibt —
abgesehen davon, dass man früher oder später nach Beschäftigungen sucht, da
man nun einmal nicht monatelang immer wieder den Keller aufräumen kann — ist
die Frage: Wie geht es weiter? Wie schnell oder langsam nähern wir uns einer
Normalität an? Und wird diese Normalität die gleiche sein, wie wir sie
kennen? Ich hätte jetzt im Dezember eine Konzerttournee mit elf Konzerten in
ganz Europa machen sollen, die ebenfalls sehr auf der Kippe steht, da man
nicht vorhersagen kann, welche Normen bis dahin gelten werden und ob die
betreffenden Säle diese einhalten können. Ich gehe nicht davon aus, dass man
plötzlich wieder 2.500 Menschen in einen Saal lassen wird. Das erschwert es,
rosig in die Zukunft zu blicken oder nachts gut zu schlafen. Der Verdienst
ist wie bei so vielen anderen auch bei mir auf Null gefallen. Das ist bei
Freischaffenden ohne Festanstellung das immer vorhandene Risiko — so wie bei
Krankheitsfällen, wie ich ihn vor einigen Jahren ebenfalls hatte, als ich
einen Bluterguss auf den Stimmbändern hatte und fünf Monate lang nicht
singen konnte. Was mir Sorge bereitet ist nicht, ob ich wieder loslegen
könnte, sondern was ich dann vorfinde. Es wird viele Konzertveranstalter und
Häuser, aber auch Kinos und kleine Theaterkompanien geben, die geschlossen
haben werden. Und der nächste Schritt ist: Was passiert mit den Menschen,
die jetzt einige Monate ohne Arbeit waren? Werden sie dann das sein, was sie
vorher waren, nämlich Geiger, Cellist, Beleuchter, Regieassistent oder eben
Sänger? Oder haben sie sich in der Zwischenzeit in der Not andere Jobs
gesucht und wollen nicht wieder zurückkehren zum Kulturbetrieb und seinen
unwägbaren Risiken, der vielleicht von einem weiteren Shutdown getroffen
werden wird? Auch junge Menschen am Scheideweg, die jetzt die Entscheidung
treffen müssten, ob sie Musik studieren und Musiker werden wollen,
entscheiden sich im Zweifel womöglich doch eher für eine solide
Bankkaufmann-Lehre und wenden sich von der Kunst im Allgemeinen ab, weil sie
erleben müssen, dass die heutige Gesellschaft nicht bereit ist, diesen
Lebensbereich, der ganz nett ist, solange es uns gut geht, auch in schweren
Zeiten zu unterstützen. Ich fürchte, dass da viel wegbrechen wird. Unser
Kulturbaum ist schon seit Jahren in keiner Verfassung mehr, dass Äste, die
abgestorben sind, auch wieder nachwachsen. Sie bleiben weg, und das ist sehr
schade, denn meiner Meinung nach gibt es außer der Sprache und der Kunst
nichts, was Menschen so vereint. Wenn man sich um die Kultur nicht kümmert,
sondern allein um das Geschäft, dann weiß ich nicht, worüber wir uns in
Zukunft noch definieren sollen. In Anbetracht des Todes kann natürlich
niemand sagen: Unsere Kunst ist wichtiger. Aber ich habe immer mehr das
Gefühl, dass die Kunst viel weiter hinten angestellt wird als so manch
anderer, ebenfalls nicht „systemrelevanter" Sektor. Aber das zu ändern ist
leider nicht an mir. |
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