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Concerti, Sommer 2020 |
Von Teresa Pieschacón Raphael |
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»Muss ich immer stolz sein auf das, was ich kann?«
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Jonas Kaufmann ist nicht nur Startenor,
sondern kann Dirigierpulte bauen und hat auch schon mal vor Affen Mahler
interpretiert, wie er erklärt.
Mit seinem Debüt als Otello
in Verdis gleichnamiger Oper hat Jonas Kaufmann lange gewartet: Erst 2017
stand der Startenor in London erstmals in dieser Rolle auf der Bühne.
Antonio Pappano, der damals dirigierte, bezeichnete die Titelrolle einst
als „Mount Everest“ für Tenöre. Inzwischen hat Kaufmann eine erneute
Everest-Besteigung gewagt und den Otello auf CD eingespielt.
»Corona, Corona, Corona, jetzt sitzen wir alle daheim! Corona, Corona,
Corona – anstatt im Theater zu sein!«, trällern Sie in einem Video zu
fröhlichen Play-back-Klängen …
Ich hatte von Freunden und
ihrer Initiative, einem Nothilfe-Fonds für Sänger, gehört. Ich möchte sie
unterstützen und habe mir dafür ein paar Zeilen ausgedacht. Wenn ich gewusst
hätte, dass so viele Menschen zuschauen, dann hätte ich mich doch etwas mehr
bemüht …
Noch aus der Zeit vor Corona stammt ein anderes,
sehr amüsantes Video – aus einer Vorstellung des Otello in Convent Garden.
Jago steht bereits auf der Bühne, Sie noch in den Kulissen ...
...und da merke ich, dass ich mein Schwert vergessen habe! Die Szene ist
aus einer englischen Dokumentation, als ich in London mit Otello debütierte.
Zwanzig Minuten vor Vorstellungsbeginn war Tony Pappano ganz aufgeregt in
meine Garderobe gekommen und hatte die Kameraleute angefaucht: „Get out of
here! This guy is going to debut Otello, leave him alone!“ Nur wenig später
stand ich auf der Seitenbühne in der Kulisse, wartete auf meinen Auftritt,
fasste an meine Hüfte und dachte mir: Mist, das Schwert! Wo ist es?! Also
nichts wie hoch in die Garderobe, Schwert umbinden und dann direkt raus auf
die Bühne! Ich war, wenn man so will, emotional bestens auf die Partie
vorbereitet, abgekämpft und voller Schweiß, wie nach einer Schlacht.
Pappano sagt, die Otello-Partie verlange vom Interpreten auch
ein »gewisses Maß an Masochismus« .
Wenn man die Partie von
ihrer Länge her betrachtet, der Höhe der Töne, der Größe des Orchesters,
dann hat man nicht den Eindruck, dass sie eine der schwersten Tenor-Partien
ist. Auf dem Papier wirkt alles relativ normal. Der emotionale Faktor aber
macht die Partie interpretatorisch schwierig: die Doppelbödigkeit jeder
Aussage, die Ironie, der Hohn, der unterdrückte Zorn, besonders ab dem
zweiten Akt. Otellos Eifersucht ist pathologisch. Dank seiner Heldentaten
hat er Desdemona heiraten dürfen, sie hat ihn in einen gesellschaftlichen
Stand gehoben, den er als Nicht-Christ und Schwarzer nie erreicht hätte.
Dennoch bleibt alles sehr fragil. Beim leisesten Zweifel an der Treue seiner
Frau muss er um den Verlust seiner Ehre fürchten. Das treibt ihn in
Aggression und Paranoia. Er steht unter psychischem Druck, wie ein
Dampfkochtopf, der jederzeit explodieren kann. Aber auch im Piano
implodiert. Für den Interpreten, der diesen psychischen Ausnahmezustand,
diese Tragik wahrhaftig vermitteln will, ist es schwer, stimmlich dabei
gesund zu bleiben. Das Stück geht einem wörtlich an die Nieren.
Die Bühne formt den Künstler, aber ruiniert den Sänger, sagte
Alfredo Kraus.
Die Otello-Partie übt einen Sog aus, dem man
sich als Sänger kaum entziehen kann. Deshalb muss man aufpassen: Die
Emotionen dürfen einen nicht so weit davontragen, dass man die Kontrolle
über Stimme und Gesang verliert. Wenn man das schafft, kann man sich ganz
der Inspiration widmen. Dann ist es fantastisch, mit dieser Partie auf der
Bühne zu stehen.
Unter Kontrolle, so sagen Grafologen, aber
hat man nicht die eigene Handschrift. Ihre Unterschrift scheint aus zwei
großflächigen Dreiecken zu bestehen. Was sagt sie über Sie aus?
Ha! Da ich viele Autogramme gebe, ist sie mittlerweile von der
Geschwindigkeit, mit der ich das mache, geprägt. Fans insistieren, ich möge
meinen Namen doch ausschreiben. Ich entgegne immer: Entweder ich gebe ein
Autogramm oder ich unterschreibe. Für Letzteres händigt mir die Bank Geld
aus, für Ersteres nicht. Ihr müsst euch also entscheiden.
Auch wenn Ihre Unterschrift raumgreifend ist, besonders eitel oder abgehoben
wirken Sie nicht. Sie schafften es sogar kürzlich, in einer ZDF-Show einem
Busfahrer das Singen beizubringen!
Muss ich denn immer auf
das stolz sein, was ich gelernt habe oder kann? Ich habe irgendwann mal die
richtigen Lehrer getroffen, einige Entscheidungen gefällt. Es ist auch sehr
viel Schicksal dabei. Heute bin dankbar, dass ich einen Beruf habe, der
meine Leidenschaft ist, und mit dem ich auch Geld verdienen kann. Ich bilde
mir dennoch darauf nichts ein. Es ist ein zerbrechliches Gefüge, es könnte
ja auch morgen vorbei sein.
Mit erstaunlicher Offenheit haben
Sie auch über Niederlagen und Probleme mit der Stimme gesprochen.
Man lernt immer aus den Niederlagen und nur selten aus den Siegen. Eine
Fassade, die man sich aufbaut, kann man vielleicht ein paar Jahre aushalten.
Aber irgendwann will man wieder ganz man selbst sein.
Wie war
es denn mit Rao und Sipura, dem Gibbon-Pärchen aus dem Wiener Tiergarten,
dessen Patenschaft Sie 2018 übernahmen?
Die singen! Einfach
unglaublich. Stimmphysiologisch und genetisch sind sie den Menschen ja
ähnlich. Natürlich können die Tiere keinen Verdi oder Brahms singen. Aber
ihre Technik, die Stütze, erscheint ihnen so selbstverständlich, dass man
fast neidisch sein könnte. Kunst trägt dieses Missverständnis in sich, dass
es künstlich sein muss. Man manipuliert, schiebt, drückt. Als junger Sänger
hatte ich auch deshalb so viele Schwierigkeiten, weil ich einfach zu viel
wollte, alles überfrachtet habe. Ich musste erst einmal ein Selbstvertrauen
zu meiner eigenen Stimme fassen.
Es heißt, Sie hätten den
Affen ein Lied aus Gustav Mahlers Lied von der Erde vorgesungen. Wie haben
die denn reagiert?
Eigentlich gar nicht. Später dachte ich
mir, ich sollte sie nicht damit verschrecken oder in ihre Rituale
eingreifen. Denn was ist, wenn das Männchen das Weibchen nicht mehr versteht
oder umgekehrt? Bei den Tieren wurde mir bewusst, dass das Singen nicht
irgendeine erschaffene Kunstform ist, sondern dass es tief in uns Menschen
und in der Tierwelt verankert ist. Man will gehört werden und seine
Emotionen transportieren.
Sie haben ein sehr großes
Repertoire, das von Operette, Belcanto, Verismo bis hin zum Lied reicht.
Irgendwo stand zu lesen, dass Sie mit dem Dirigieren liebäugeln?
Dirigenten oder Pianisten sind manchmal neidisch auf die Möglichkeiten
des Sängers, Emotionen zu vermitteln. Der will aber umgekehrt das große
Ganze erfassen. Ich bin in der Hinsicht nicht schüchtern und mache manchen
Dirigenten Vorschläge. Das gefällt nicht jedem.
Für das
Dirigentenpult haben Sie bereits gesorgt. In einer NDR-Show haben Sie
kürzlich Ihr Heimwerker-Talent demonstriert.
Es hat richtig
Spaß gemacht ein Pult zu bauen, mit den Händen etwas zu erschaffen!
Eine Frage, die vielleicht manchen Konzertgänger umtreibt. Welches
sind die Gedanken unmittelbar vor dem Auftritt?
Wenn das
Stück verlangt, dass man sofort auf den Punkt sein muss, stimmt man sich
ein, um loszulegen. Wenn man Vorlauf hat, gibt es kein Ritual. Es ist ein
bisschen wie beim Sportler: Dehnübungen, Kiefer lockern, das passiert
eigentlich automatisch.
Und nach dem Auftritt?
Da kommt es darauf an, wie erfolgreich man war … Beim Otello kann ich
allerdings nicht von jetzt auf gleich den Stecker ziehen.
Solange Sie das Schwert nicht nach Hause mitnehmen …
Haha!
Das habe ich noch nicht getan! |
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