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NDR, 10.11.2020 |
Das Gespräch führte Petra Rieß |
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Jonas Kaufmann: "Viele andere Musiker kommen zu kurz"
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mit Podcast auf der Seite des NDR |
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Was tun als Nachwuchskünstlerin oder
-künstler in Zeiten von Corona? Wir haben den Tenor Jonas Kaufmann dazu
befragt.
Der November ist stiller als ohnehin schon: Museen
sind zu, es gibt keine Konzerte oder Opernaufführungen. Auch viele Advents-
oder Weihnachtskonzerte sind abgesagt oder stehen auf der Kippe. Auch der
Tenor Jonas Kaufmann hat eine Pause machen müssen.
Herr
Kaufmann, wie wird denn diese Pause des künstlerischen und kulturellen
Lebens in Ihrem Freundes- und Kollegenkreis diskutiert?
Jonas Kaufmann: Ja, das ist natürlich ein heißes Thema. Es
gibt natürlich ganz viele, die berechtigte Existenzsorgen haben, weil - ich
sag mal - neben der Hotelier- und Gastronomiebranche ja die Kulturbranche
der zweite große Zweig ist, der quasi immer wieder auf Null geschaltet wird.
Das macht es unglaublich schwierig. Und selbst im Sommer, in der Phase, in
der zumindest in weiten Teilen der Welt Konzerte möglich waren, wenn auch
vor reduziertem Publikum, kommen natürlich dann auch nur die Handvoll
Künstler zum Zuge, deren Namen so ziehen, dass - egal was passiert - Karten
verkauft werden können.
Und die vielen, vielen anderen Musiker, die
das genauso leidenschaftlich machen, kommen zu kurz. Und deshalb ist
natürlich die Stimmung allgemein extrem schlecht. Nicht, weil man das Gefühl
hat, einem Irrglauben aufzusitzen. Aber doch, weil man sich einfach
ungerecht behandelt fühlt. Warum kann ich mir ein Auto kaufen? Warum kann
ich mir einen Anzug kaufen? Warum kann ich in der Stadt flanieren und im
Möbelhaus und wo auch immer, aber ich darf nicht in ein Opernhaus und einen
Konzertsaal gehen. Wir Künstler empfinden das als sehr einseitig. Und die in
Aussicht gestellte Kompensation, die im Frühjahr nicht funktioniert hat und
die auch jetzt nur vielleicht funktionieren wird - und wenn, dann erst
nachträglich -, macht vielen Musikern große Sorgen. Ich mache mir persönlich
vor allem um den Nachwuchs sorgen: junge Künstler, die noch im Studium
stecken, die jetzt vielleicht am Ende der Ausbildung sind und die eine
Zukunft mit Familie sehen. Die merken plötzlich: Wenn ich diesen Beruf
ergreife, dann hab ich so wenig Garantien für mein Leben, dass ich gar keine
Familie ernähren kann - dann mach ich lieber einen anderen Beruf. Das wird
die Zukunft leider zeigen, dass viele momentan umschwenken und doch etwas
anderes machen, von dem sie glauben, dass die Gesellschaft es Ihnen mehr
anrechnet als die Kunst.
Haben Sie vielleicht einen Rat
gerade für die jungen Künstler, die am Anfang der Karriere stehen und noch
kein festes Engagement haben? Das ist ja oft keine Frage von Verstand,
sondern nur von Gefühl.
Kaufmann: Na klar,
das kann ich sehr gut nachvollziehen. Von meiner Seite ist der Rat
grundsätzlich schon immer gewesen: Wenn man dieses Brennen, dieses Verlangen
spürt, diesen Beruf zu ergreifen, dann muss man das unbedingt versuchen. Man
muss sich aber auch ein Limit setzen. Das heißt, ich muss mir von vornherein
überlegen: Womit bin ich zufrieden und womit bin ich nicht zufrieden? Wie
lange gebe ich mir, bevor ich mir eingestehe, dass ich dieses Limit nicht
erreichen werde? Das ist, glaube ich, ganz wichtig.
Jetzt haben wir
natürlich eine Ausnahmesituation, in der alles zum Halten gebracht ist.
Dementsprechend sind auch Vorsingen oder eben erste Engagements, erste
Schritte auf der Bühne oder eben im Orchester eigentlich nicht möglich.
Klar, dass man hier nun keinen besonderen Rat geben kann als den,
durchzuhalten und auf seine Möglichkeiten zu hoffen. Aber es ist vielleicht
auch eine Möglichkeit, sich noch mal durch den Kopf gehen zu lassen, was es
bedeutet, mit einem Instrument seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen.
Das muss man wollen.
Und ich glaube, fast alle, die ich in meiner
Karriere kennengelernt habe, wollen genau das, egal wie. Das ist nicht der
Punkt. Aber es gibt natürlich auch immer wieder Frustration. Die gab es auch
vor Corona. Aber jetzt wird letztlich die Möglichkeit genommen, wie Sie
richtig sagen, irgendeinen weiteren Schritt in der Karriere zu unternehmen.
Zu jungen Sängern sage ich immer: Es ist nichts, nur bei einer Agentur
vorzusingen, Ihr müsst die Chance bekommen - egal, ob für ganz wenig Geld
oder umsonst -, irgendwo aufzutreten. Und wenn Ihr auftretet, dann könnt ihr
Leute einladen. Und dann müsst Ihr hoffen, dass die Menschen, die dort
kommen, Eure Leistung erkennen und entsprechend den Namen kolportieren und
weitertragen.
Das ist in der Karriere viel wichtiger, als von Stadt
zu Stadt zu reisen und den einzelnen Agenturen vorzusingen und dann eine
dieser berühmten Karteileichen zu werden. Aber das ist leicht gesagt. Ich
hatte großes Glück. Bei mir sind eben sehr viele Schicksalsfaktoren
zusammengekommen, die mich in der Welle der Künstler nach oben gespült
haben. Da bin ich heute sehr dankbar für. Und ich weiß auch, wie fragil so
eine Karriere ist und wie dünn der Faden ist, an dem man nach oben gezogen
wird. Umso mehr muss man das genießen und auch entsprechend wertschätzen,
wenn man es dann geschafft hat.
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