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Opernring Zwei, Magazin der Wiener Staatsoper, September 2020 |
Text Andreas Láng |
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Der Sieg der Utopie
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Mit der Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis
französischem Don Carlos in der Kultstatus genießenden Inszenierung Peter
Konwitschnys kehrt nicht nur eine der besten Produktionen der letzten 20
Jahre zurück in den Spielplan, auch in puncto Besetzung funkelt die
Aufführungsserie schon in den Ankündigungen verheißungsvoll: Am Pult
Bertrand de Billy, der nach mehrjähriger Absenz endlich wieder an der
Staatsoper zu erleben sein wird und auf der Bühne eine Reihe von wichtigen
und spannenden Debüts respektive Rollendebüts (→ siehe auch Seite 17) –
allen voran Jonas Kaufmann, der mit der herausfordernden Titelrolle erstmals
eine Verdi-Partie an diesem Haus interpretieren wird. Mit ihm und dem
Dirigenten kam es schon vor Probenbeginn zu einem ausführlichen Gespräch. |
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Ein bekannter Bariton sagte einmal, dass
Verdis Opern von einer ähnlich humanistisch-philanthropischen Einstellung
getränkt seien wie jene von Mozart. Nur würde Mozart stets einen ganzen
Kosmos abbilden, Verdi hingegen bewusst nur auf einen Aspekt fokussieren.
Können Sie dem etwas abgewinnen?
JONAS KAUFMANN
Ich weiß nicht so recht. Heute gehen tatsächlich die meisten davon aus, dass
wir in jedem Werk Mozarts eher einem vieldeutigen großen Ganzen begegnen als
bei jenen von Verdi. Aber das gründet auch darin, dass Verdi vor Arrigo
Boito oft Pech mit den Librettisten hatte und außerdem in seinem doch sehr
umfangreichen Bühnenschaffen eine intensive stilistische Entwicklung
durchlief. Die Voraussetzungen waren daher andere als bei Mozart. Dass Verdi
ein Revoluzzer, ein Patriot war und für vieles gekämpft hat, ist
unbestritten – ob er aber diese Aspekte von Anfang an in seine Opern
hineingelegt hat, weiß ich nicht. Aber auch bei Mozart bin ich mir
diesbezüglich nicht so sicher. Er und Da Ponte schufen zum Beispiel Le nozze
di Figaro für ein ganz bestimmtes Publikum, sprachen hier Dinge an, die
hinter vorgehaltener Hand Common sense waren. Ich glaube aber nicht, dass
die beiden unterschwellig schon bewusst gegen den Mainstream die
Revolutionsfahne gehisst haben. Aber ich war ja nicht dabei.
BERTRAND DE BILLY Eine schwierige Frage. Auf jeden Fall hat Verdi
die großen Themen wie Liebe, Politik, Hass und so weiter sehr wohl immer im
Auge gehabt und nicht nur einen Aspekt. Allerdings deklinierte er diese nur
anhand eines Charakters. Dadurch scheinen für mich die Zielrichtungen bei
ihm immer sehr klar zu sein, klarer auf jeden Fall als bei der Zauberflöte,
die nun wirklich von unzähligen Seiten her beleuchtet werden kann. Ich
bewundere jeden Regisseur, der sich diesem Werk stellt.
Kommen
wir nun zu Don Carlos. Was lieben Elisabeth, Posa und Eboli am Infanten? Den
Zuschauern wird ja ein schwacher, beeinflussbarer, unkalkulierbarer Mensch
präsentiert – irgendetwas muss er aber offensichtlich an sich haben.
JK Diese Frage kann mit der üblichen vieraktigen
italienischen Fassung nicht beantwortet werden, da erleben wir in der Tat
von Anfang an einen nicht sehr anziehenden Charakter. In der fünfaktigen
Version sehen wir hingegen gleich zu Beginn mit Carlos und Elisabeth zwei
junge Leute die sich im Wald von Fontainebleau frei und ohne jede Konvention
kennen und lieben lernen, dann beglückt erkennen dürfen, dass sie sogar
füreinander bestimmt sind. Was kann es Schöneres geben? Als Zuschauer freut
man sich, ja fiebert geradezu mit diesen beiden liebenswerten Youngstern
mit. Unter dieser Prämisse erscheint der nachfolgende Schmerz und das Leid
Carlosʼ über den Verlust seiner Geliebten in einem ganz anderen Licht.
BB Richtig! Dieses zufällige Zusammentreffen der beiden
jungen Leute in diesem eigentlichen ersten Akt, determiniert in Wahrheit den
Fortgang der Handlung. Ich hatte mich einmal in London überreden lassen, die
vieraktige Fassung zu machen: Bis zum Schluss wurde ich den Eindruck nicht
los, dass etwas Wesentliches fehlte. Es war, als ob ich in einem Film die
entscheidenden ersten 15 Minuten versäumt hätte. Übrigens leidet auch die
dramaturgische Architektur darunter, wenn man den ersten Akt weglässt: In
dem letzten Duett Elisabeth/ Carlos zum Beispiel greift Verdi knapp vor
dem Schluss noch einmal die lyrische Stimmung des Beginns wieder auf.
Dadurch scheint sich ein Kreis zu schließen.
JK Die
beiden sind wieder zu jenen kindlichen Jugendlichen geworden, die sie am
Anfang waren als sie sich kennen lernen durften.
BB
Und – um auf Ihre Frage zurückzukommen – vielleicht ist es genau das, was
Elisabeth und auch die anderen an Carlos geliebt haben: Diese ungezwungene
Natürlichkeit, abseits des strengen Hofzeremoniells.
Nichtsdestotrotz fehlt die große Arie des Don Carlos, der Hit der
Titelfigur. Weil er bei allem Liebreiz doch keine entwickelte Persönlichkeit
ist?
JK So weit ich weiß, wollte Verdi das
Stück zunächst ja gar nicht Don Carlos nennen, außerdem plante er
ursprünglich im letzten Akt sehr wohl eine Arie für Carlos ein. Nur war der
Interpret der Uraufführung offenbar alles andere als eine Idealbesetzung und
so disponierte Verdi kurzfristig um und schrieb die berühmte Arie für den
Sopran. Und der Tenor darf seither an dieser Stelle hinter der Bühne stehen
und etwas frustriert zuhören (lacht). So gesehen ist der Don Carlos einer
der undankbarsten großen Partien für mein Stimmfach: Man müht sich ab, es
ist blutschwer – nicht zuletzt die wunderschönen Duette, derentwillen man
die Partie ja so gerne singt, liegen allesamt unangenehm im Passaggio. Der
Interpret weiß also am Ende des Abends sehr wohl, was er geleistet hat.
BB In Wahrheit, deckt die Partie des Don Carlos vom
Nemorino bis zum Otello so ziemlich alles ab …
JK …
das ist bei den Rollen in den französischen Opern im 19. Jahrhundert ja so
typisch: Es geht von ultra lyrisch zu ultra dramatisch und wieder zurück –
denken wir nur an einen Werther oder Des Grieux.
BB
Und beim Don Carlos kommt noch eine Dauer von fünf Stunden dazu –
Götterdämmerung ist auch nicht länger.
Man erlebt als Publikum –
hoffentlich – während einer Aufführung Katharsis-Momente. Inwieweit dürfen
sich Ausübende diesen hingeben, ohne das Ergebnis zu gefährden?
JK Es ist ganz richtig, dass man auf der Bühne darauf
achten sollte, sich tief im Inneren nicht gänzlich zu verlieren. Aber dieser
von allen tolerierte Betrug, den man am Publikum ausübt, indem man den
Zuschauern glauben macht, ein bestimmter Mensch zu sein, seine Gefühle zu
haben und dessen Worte aus sich heraus zu singen, geht letztlich so weit,
dass man ihn mitunter selber immer wieder glaubt. Zumindest geht es mir so.
Und wenn es in diesen Augenblicken auch den Bühnenpartnern so ergeht, sich
plötzlich ein perfekter Lauf ergibt, in dem alles zueinander passt, entsteht
eine ungeheure Energie, die einen über sich hinauswachsen lässt. Beim schon
angesprochenen Schlussduett von Carlos und Elisabeth habe ich oft dieses
Gefühl erlebt, als ob Verdi einen kleinen Blick in den Himmel freigegeben
hätte, in dem sich die beiden wieder zu treffen beabsichtigen … Auf diese
kostbaren Minuten freue ich mich bei jeder Don Carlos-Aufführung.
BB Im Musiktheater spielen eine große Anzahl an Parametern
zusammen, viel mehr als bei Konzerten. Und so sehe ich in der Oper nicht nur
eine bestimmte Vorstellung, sondern empfinde die Gesamtheit der Produktion
mit allen Proben und Vorstellungen als eine große Reise, bei der zum
Beispiel einmal der eine, dann die andere Höchstleistungen absolviert.
Gelegentlich kann es aber passieren, dass plötzlich alle in Bestform sind …
JK … das ist dann wie ein Rausch.
BB
Und man sieht keine Einzelleistungen mehr, man macht alles
gemeinsam. Es entsteht gewissermaßen ein Kammermusiksyndrom. Dies sind dann
jene Momente, die man im Leben sonst nie erlebt … vielleicht bei einer
Geburt.
Und wie legitim ist es, dem Affen Zucker zu geben, wenn
das Publikum nicht mitgeht?
BB Als Dirigent
kenne ich diese Versuchung nicht, weil ich das Publikum zwar spüre, aber
nicht sehe. Bei einer »Silvester-Fledermaus« bin ich einmal in der Volksoper
spaßhalber ausnahmsweise als Gefangener aufgetreten. Da stand ich auf der
Bühne … Aug in Aug mit den Zuschauern. Mein Lampenfieber war größer als bei
meinen wichtigsten Dirigaten, obwohl ich kein Wort zu sagen hatte.
JK Weil du es nicht gewohnt bist. Aber ich schaue ja auch
nicht in die einzelnen Gesichter. Dennoch spürt das Publikum immer und merkt
– warum auch immer – ob die Menschen im Auditorium dabei sind – oder eben
nicht. Und wenn ich die hundertprozentige Aufmerksamkeit noch nicht fühle,
versuche ich noch eins draufzulegen, versuche noch mehr Energie
hineinzulegen, bis ich alle erreicht habe. Dem Affen Zucker geben ist
vielleicht übertrieben, aber man reagiert ganz eindeutig auf das was
zurückkommt und versucht entsprechend zu dosieren und nachzuhelfen, wenn der
Funke einmal nicht überspringt. Zurück zu Don Carlos: Ist
der Schluss utopisch, so wie es auch Peter Konwitschny hier in der
Inszenierung zeigt?
JK Nun, Realismus sieht
anders aus. Mit einem Mal hört nicht nur Don Carlos die Stimme des
verstorbenen Karl V., sondern auch alle erschrockenen Anwesenden.
Irgendetwas scheint also nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Und dann ist
die Oper ganz plötzlich zu Ende. Fast ein bisschen überstürzt. Das ist Verdi
sicher nicht einfach so passiert!
BB Das wollte ich
ebenfalls gerade sagen: Eben noch erklingt deine Lieblingsstelle, dein Duett
mit Elisabeth und dann geht es Schlag auf Schlag, sodass ich gar nicht
richtig aus dieser positiven Duett-Stimmung herausfinde, die ja die pure
Hoffnung versinnbildlicht. So gesehen ist der Schluss durchaus utopisch,
denn zurück bleibt das Gefühl der Hoffnung.
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