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noe ORF, 17. August 2020 |
Felix Novak, noe.ORF.at |
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Kaufmann: „Publikum schmerzlich vermisst“
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Mit Jonas Kaufmann war am Sonntag einer
der Weltstars der Opernszene in Grafenegg (Bezirk Krems). Im Interview mit
noe.ORF.at sprach er über die Freude, wieder vor Publikum singen zu dürfen,
die schwierige Lage vieler Künstler und seine Bodenständigkeit. |
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Das Grafenegg Festival kann zwar heuer trotz
Pandemie stattfinden, das Programm ist davon aber dennoch betroffen. So
hätte Startenor Jonas Kaufmann am Sonntag in Grafenegg ursprünglich –
passend zum aktuellen Beethovenjahr – in einem konzertanten „Fidelio“
auftreten sollen. Im Frühjahr wurde umdisponiert. Stattdessen war Kaufmann
nun bei einem Schubert-Liederabend zu sehen und hören, der auch auf ORF III
übertragen wurde – gemeinsam mit seinem früheren Lehrer und jahrzehntelangen
Weggefährten Helmut Deutsch am Klavier.
„Es macht sehr viel aus, dass
ich ihn so lange kenne wie in meinem ganzen langen Karriereleben eigentlich
niemand anderen“, sagte Deutsch gegenüber noe.ORF.at. Das sei auf der Bühne
von großem Vorteil: „Man kann sehr viel vorausahnen. Man spürt, was er
machen wird. Es ist nahezu eine Art von Telepathie.“ Lieder wie der nun
aufgeführte Zyklus „Die Schöne Müllerin“ von Franz Schubert würden Kaufmann
besonders am Herzen liegen, sagte Deutsch: „Das spürt man sehr, wenn man mit
ihm arbeitet.“
Im Rahmen des Liederabends des Festivals Grafenegg
traf noe.ORF.at Jonas Kaufmann zum Interview:
noe.ORF.at:
Sie kennen Helmut Deutsch schon sehr lange – fast genauso lang kennen Sie
aber auch Schuberts „Schöne Müllerin“. 2009 brachten Sie dazu auch etwa eine
CD heraus. Ist dieser Liederzyklus überhaupt noch eine Herausforderung für
Sie?
Jonas Kaufmann: Es ist immer eine
Herausforderung. „Die schöne Müllerin“ hat viele Tücken, auch wenn es
natürlich ein großartiger Zyklus ist. Sie ist vielleicht weniger
offensichtlich tiefgründig als etwa eine „Winterreise“, hat aber doch sehr
viel Tiefgang. Sie erzählt die erste Hälfte des Stückes ins Positive. Die
Liebesbeziehung und diese schwärmerische und überschwängliche Freude des
Müllersburschen baut sich auf. Dann merkt er aber, dass es jemand anderen
gibt und am Ende des Zyklus fragt man sich, ob das alles nur Einbildung und
Schwärmerei war. Es ist ein unglaublich komplexer Zyklus, hat natürlich auch
seine musikalischen, stimmlichen Reize. Es ist relativ hoch – man muss eine
bewegliche Stimme haben – und es sind sehr viele Texte, man muss also auch
im Kopf noch fit sein. Ich habe mich in dieses Stück vor vielen Jahren
verliebt, damals noch mit großem Respekt und viel weniger
Leistungsfähigkeit. Auch heute noch entdecke ich immer wieder kleine Nuancen
und Veränderungen, die man jetzt erst so richtig genießen kann.
noe.ORF.at: Sie werden in wenigen Wochen beim
Sommernachtskonzert in Schönbrunn ohne Live-Publikum auftreten, in Grafenegg
gibt es sehr wohl Publikum. Macht das für Sie einen Unterschied?
Kaufmann: Es macht einen riesigen Unterschied. Ich schaue
immer in Richtung Publikum. Ich sehe die Reaktion, ich spüre das. Es ist
etwas, was man schmerzlich vermisst, wenn man es gewohnt ist. Wie so viele
Musiker habe ich versucht, in der Zeit des Lockdowns über das Internet
Konzerte zu streamen. Es ist so erschreckend, wie sehr einem die Reaktion
des Publikums fehlt. Man singt die letzte Note einer Arie und weiß einfach
nicht, was man tun soll. Ich weiß nicht einmal, wo ich meine Hände hingeben
soll. Ich kann mich ja schlecht virtuell verbeugen. Da ist ja niemand. Ich
musiziere in erster Linie für mich selbst, mir macht das unglaublich Spaß,
deshalb habe ich mir eingebildet, es würde alleine fast genauso viel Spaß
machen. Das ist total falsch. Ohne Publikum ist es nicht halb so schön.
noe.ORF.at: Wie sehen Sie denn die nächsten Monate für
Ihren Beruf und die Künstler- und Opernszene generell?
Kaufmann: Für mich persönlich ist es sicher ein bewältigbares
Problem. Wir haben das Glück, auch in Krisenzeiten immer wieder Anfragen zu
bekommen. Das Gros der Künstler ist aber weiterhin arbeitslos. Auch wenn wir
hoffen, dass im September die großen Opernhäuser wieder mit einem
einigermaßen normalen Betrieb starten, mit reduziertem Publikum. In
Österreich und Deutschland haben wir das Glück, dass wir so gute
Unterstützung vom Staat haben, deshalb können wir uns das leisten. Die
vielen kleinen Häuser und die vielen Häuser im Ausland, die nicht diese
Unterstützung haben, und vor allem die privaten Veranstalter stehen weiter
vor der Tür. Das ist eine Krise, die noch lange nicht zu Ende ist. Ich
fürchte, dass sehr viel, was jetzt wegbricht, nie wieder nachwächst. Das ist
sehr tragisch. Eine nächste Generation wird es sich wahrscheinlich dreimal
überlegen, Berufsmusiker zu werden, weil es die Möglichkeiten des Auftritts
gar nicht mehr so geben wird.
noe.ORF.at: Zum
Abschluss eine persönliche Frage: Ihre Fans bewundern, dass Sie trotz Ihrer
langen Zeit an der Spitze der Opernszene im Vergleich zu manchen
Berufskollegen immer noch bodenständig und sympathisch wirken. Wie machen
Sie das?
Kaufmann: Ob ich am Boden der Tatsachen
geblieben oder davongeschwebt bin, das kann ich selbst schwer beurteilen.
Ich kann es nur immer versuchen. Ich war mir nie zu schade, die Windeln
meiner Kinder zu wechseln und die Probleme der anderen zu beachten. Mein
Beruf ist ein absoluter Traum. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als
eine Passion auszuüben und darin Erfolg zu haben. Das heißt aber noch lange
nicht, dass ich besser bin als andere. Das ist das Allerwichtigste, dass
einem das bewusst ist. Dass es ein Geschenk Gottes oder des Schicksals ist,
woran man auch glauben möchte. Dass man vieles von dem, was man bekommt,
zurückgeben und mit anderen teilen muss. Ich nehme meinen Beruf, so sehr ich
ihn liebe, auch nicht so wichtig. Das Leben und die Beziehung zu meinen
Mitmenschen sind viel wichtiger. Sonst ist eines Tages die Karriere vorbei
und man weiß gar nicht, was man mit seinem Alltag anfangen soll. |
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