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Vogue, Oktober 2019 |
RÜDIGER STURM |
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CHARME UND SCHMÄH
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Der Startenor Jonas Kaufmann widmet Wien ein ganzes Album
Ob mit Wagner oder Verdi, Jonas Kaufmann wird als Tenor weltweit gefeiert.
Wenn der 50-Jährige jetzt ein Album mit Musik aus Wien veröffentlicht, dann
ist das nicht nur ein Beleg seiner Vielfältigkeit, sondern auch seines
Erfolgsgeheimnisses. Für Letzteres ist er sogar bereit, Schlaf zu opfern.
Auf Ihrem neuen Album feiern Sie die Musik der Stadt Wien.
Was liegt Ihnen so speziell an der Donaumetropole?
Vor
ein paar Jahren habe ich schon das Album Du bist die Welt für mich als
Liebeserklärung an Berlin veröffentlicht. Und Wien ist für mich immer schon
eine sehr wichtige musikalische Stadt gewesen, hier gibt es eben auch viele
Unterkategorien der populären Musik, wo sich Traditionen der Oper und
Operette erhalten haben. Der Walzer zum Beispiel war ja ursprünglich nur
eine Melodie für eine Operette. Da haben wir eine witzige Mischung aus Altem
und Modernem gefunden, aber alles mit dem gleichen Wiener Charme und Schmäh.
Als Gesangskünstler haben Sie alles erreicht, was man sich
erträumen kann. Sehen Sie noch Herausforderungen vor sich?
Ich glaube schon, dass es die gibt. Mich würde das Dirigieren brennend
interessieren, aber das muss man in Ruhe lernen. Die Frage ist auch: Braucht
man das? Wenn die Stimme lang genug hält, dass man bis Mitte, Ende 60 seine
Sachen singen kann, stellt sie sich gar nicht.
Und wenn
Sie diese Sachen nicht mehr singen können?
Die Kunst
ist, dass man während des Berufslebens etwas findet, das einen neben dem
Beruf erfüllt. Das sind Hobbys, aber ganz besonders die Familie. Auch würde
ich gern mein Wissen an die nächste Generation weitergeben. Ich bin bereit,
eines Tages den Staffelstab abzugeben, denn ich habe keine Angst, danach in
ein Loch zu fallen.
Wurden Sie im Lauf der Jahre als
Sänger besser?
Die Stimme wächst mit dem Körper. Es
gibt einen Alterungsprozess, durch den Leistungsspitzen vielleicht
irgendwann nicht mehr möglich sind. Gleichzeitig sammelt man einen Schatz an
Erfahrungen und wird dadurch entspannter. So reift die Stimme auf gute Art.
Natürlich muss ich mein Repertoire anders strukturieren. Manche Partien
kommen jetzt weniger in Frage, dafür kann ich Dinge in Betracht ziehen, die
früher fast unmöglich erschienen.
Was zum Beispiel?
Als ich etwa vor zwei Jahren als Otello debütierte, hatte ich vor dieser
Partie zu Recht großen Respekt. In der neuen Produktion der Bayerischen
Staatsoper dagegen fallen mir manche Phrasen, die ich als extrem schwierig
empfand, jetzt viel leichter. Auch bei La forza del destino in London, wo
ich früher an körperliche Grenzen ging, war es dieses Jahr einfacher.
Andererseits merke ich, dass das französische Genre, wo man plötzlich ins
Ätherisch-Schwebende geht, nur noch mit guter Vorbereitung funktioniert.
Sie sprachen von Ihrer Familie. Sie wurden dieses Jahr zum
vierten Mal Vater. Hilft das auch bei der Rolleninterpretation?
Vater zu sein bringt eine ganz andere Gewichtung in mein Leben. Dieses
Bestreben, die perfekte künstlerische Leistung zu bieten, hat sich extrem
relativiert. Das heißt nicht, dass ich meinen Beruf nicht ernst nehme. Aber
ich weiß: Ich kann selbst dann auf die Bühne und eine gute Leistung
abliefern, wenn ich vorher mit meinem Kind ins Krankenhaus muss, weil es
sich den Arm gebrochen hat. Mit Adrenalin funktioniert alles. Genau dieses
Wissen verschafft mir eine Lockerheit, die auch ein Geheimnis meiner
Karriere ist.
Und wie ist es mit dem Schlafmangel, den
man als frischgebackener Vater erlebt?
Wochenlang ohne
Schlaf, das wäre sicher ein Problem. Aber eine gewisse Zeit kann man das
aushalten. Man versucht sich einfach tagsüber eine Stunde hinzulegen.
Das Album „Wien" von Jonas Kaufmann erscheint am 11. Oktober bei
Sony.
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