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INTERVIEW RÜDIGER STURM
 
 
Oper ist nicht alles
Gibt es für einen Tenor von Weltrang ein Leben außerhalb von Mailänder Scala und New Yorker Met? Jonas Kaufmann über Popmusik, Husten und Work-Life-Balance.

Herr Kaufmann, auf Ihrem neuen Album hören wir nicht die großen Werke der klassischen Musik, sondern Operetten-Melodien aus Wien: Johann Strauß, Robert Stolz, Ralph Benatzky… Eine unerwartete Wahl.

Meine früheren Alben waren oft ‚Best of‘-Rundumschläge. Aber ich habe gemerkt, dass mir das nicht mehr so gefällt. Ich mag es heute lieber, mich auf eine Sache zu konzentrieren und die ein bisschen ausführlicher vorzustellen, als mir ständig aus allen Töpfen ein Sahnehäubchen herauszunehmen. So habe ich nämlich die Möglichkeit, ein paar Dinge einzustreuen, die nicht so Mainstream sind, aber im Rahmen des Rests Sinn ergeben. Und die Musik Wiens ist für mich immer schon sehr wichtig gewesen.

Ist es schwierig, sich ständig einen neuen Dreh für ein Album einfallen zu lassen?

Etwas ganz Neues zu finden ist tatsächlich schwer. Es gibt aber viele Pfade, die ich bisher nur berührt habe, jedoch nicht weitergegangen bin. Diese Pfade möchte ich noch gehen.

Wäre es auch denkbar, dass Sie sich der jüngeren populären Musik zuwenden?

Ich bin da grundsätzlich nicht abgeneigt. Aber meine Stärke liegt nun mal in der Stimme, und je weiter wir uns in die Neuzeit bewegen, desto weniger Repertoire gibt es, in dem es auf die Stimme wirklich ankommt. Meine Großeltern hätten gesagt: Das ist ja nur Rhythmus! Klar kann ich das machen, aber wozu? Es muss schon Sinn ergeben. Chansons sind noch sehr melodiös, aber danach wird es schwierig. Die stimmlichen Herausforderungen sind dann einfach begrenzt.

Dieses Jahr mussten Sie Auftritte absagen, weil Sie sich verschluckten und durch das Freihusten Ihre Stimmbänder übermäßig strapazierten.

Natürlich, die Stimme ist unwiederbringlich. Wenn ich sie falsch behandle, und sei es auch nur für kurze Zeit, dann verliere ich Qualität. Bis jetzt hat es aber sehr gut geklappt. Vor ein paar Jahren hatte ich zwar ein Problem, aber auch das hat sich wieder von allein gegeben, einfach indem ich mir Ruhe gegeben und die nötige Zeit gelassen habe.

In diesem Jahr sind Sie 50 geworden – angeblich ist dieser Geburtstag ein Scheidepunkt in der Karriere eines Sängers.

Früher hieß es, dass man mit 50 die Glanzzeit einer Stimme erreicht, aber es hat sich viel geändert. Die Lebenserwartung ist gestiegen, die Leute fühlen sich jünger. Plácido Domingo steht mit über 80 noch auf der Bühne. Es sieht also nicht so aus, als ob es diese magische Linie noch gebe. Ich will keinesfalls Schonhaltung einnehmen und mich aufs Altenteil vorbereiten. Aber ich möchte meinen Terminplan auch nicht so vollstopfen, dass ich das Leben nicht mehr genießen kann.

Ihr Kalender wirkt aber nicht gerade so, als würden Sie sich schonen.

Ja und nein. Die Lücken in meinem Terminplan werden schon jedes Jahr ein bisschen größer. Aber andererseits sind auch die Verlockungen sehr groß. Wer gibt schon gern etwas auf, das unglaublich vielversprechend ist? Nur weil er freihaben möchte? Da werfe ich meinen Vorsatz kürzerzutreten manchmal doch wieder über Bord. Aber meine Freizeit wird mir schon wichtiger. Wenn man nichts erlebt, weil man sich so sehr auf seine Arbeit konzentriert, dann hat man auch nichts zu erzählen. Ich brauche Erfahrungen, die ich abseits des Musikalischen sammle, um sie in meine Interpretation einzubringen. Das war schon immer mein Credo.

Und wie ist es mit negativen Erfahrungen? Stören die bei einem Auftritt nicht?

Damit hatte ich nie Schwierigkeiten. In dem Moment, wenn ich auf der Bühne stehe, ist alles vergessen – selbst wenn kurz vorher das Desaster zugeschlagen hat. Ich nehme keinen Zorn oder andere negativen Gefühle mit, sondern steigere mich voll und ganz in den Moment meiner Darbietung hinein. Hinterher holt einen das Leben natürlich wieder ein. Es ist eine vorübergehende Verdrängung, die bei mir aber tatsächlich ausgezeichnet funktioniert.

Auch die politische Weltlage ist voller Spannungsmomente. Soll Oper die auch verdrängen?

Mir ist klar, dass wir in der Oper teilweise eine heile Welt vorgaukeln. Und das ist auch gut so. Die Menschen, für die wir das machen, möchten in eine andere Welt entführt werden. In der Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre ist ja nicht zufällig die Unterhaltung unglaublich aufgeblüht. Und schauen Sie sich heute den Megaerfolg der TV-Serie „Game of Thrones“ an. Vor 20 Jahren hätten wir noch gelacht: Warum sollen wir uns im Hier und Jetzt über diese mittelalterlichen Sachen echauffieren? Aber heute flüchtet man sich vor unseren alltäg­lichen Problemen in solche Welten. Und gewissermaßen ist das auch die Kernkompetenz von Oper.

Ist das der Sinn einer Operninszenierung? Dass sie uns vom Hier und Jetzt loslöst?

Es ist wichtig, dass man diese Stücke aktualisiert. Aber wenn wir das auf eine Art und Weise tun, die nur abstößt und provoziert, dann fällt der Kern der Idee, nämlich die Unterhaltung, weg. Unterschwellige Systemkritik wie in Mozarts „Figaros Hochzeit“ oder Beethovens „Fidelio“ kann man herausarbeiten, ohne das Publikum vor den Kopf zu stoßen. Ich bin ein politischer Mensch. Aber wenn ich eine Opernrolle interpretiere, hat das nicht die oberste Priorität.

Funktioniert Oper denn noch als Unterhaltungsmedium? Junge Menschen holen sich ihr Entertainment doch eher auf YouTube.

Ach, die These, dass das Opernpublikum ausstirbt, weil hauptsächlich ältere Leute hineingehen, haben wir doch schon vor 50 Jahren gehört.

Stimmt sie also nicht?

Sagen wir es so: Wer älter ist, hat mehr Zeit und finanzielle Mittel. Wenn jemand passionierter Opernbesucher ist und gern Aufführungen in New York, Paris und Mailand sehen möchte, dann geht das natürlich ins Geld. Andererseits ist vor einigen Jahren die Idee mit den Live-Übertragungen im Kino oder im Streaming aufgekommen, und das funktioniert auch bei jüngeren Leuten. Es gibt auch immer wieder junge Menschen mit 15 oder 16, die so sehr dem Opernvirus verfallen sind, dass sie nur noch in diese Richtung denken. Allerdings wird sich die Opernwelt verändern. Deutschland ist das Land mit den meisten Opernhäusern weltweit, man wird sich konsolidieren müssen. Sprich: Kleine Häuser tun sich zusammen, bilden ein Ensemble und spielen mal da, mal dort. Nur an den fünf, sechs großen Opern dürfte es keine Probleme mit den Kartenverkäufen geben.

Die beiden ältesten Ihrer vier Kinder sind im Teenager-Alter. Würden die sich für Oper interessieren, wenn das nicht Papas Job wäre?

Ob ich aktiver Musiker bin oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern die Möglichkeit geben, Oper zu sehen. Meine Kinder würden sich vielleicht sogar mehr dafür interessieren, wenn ich Oper nur als Hobby hätte. So ist es halt das, was der Vater ständig macht. Meine Kinder mögen zwar Musik, gehen brav in Aufführungen oder hören sich meine Proben an. Aber ich glaube, sie tun das eher, weil sie dem Vater einen Gefallen tun und zeigen wollen, dass sie nicht ganz verachten, was er da tut.





 
 
 






 
 
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