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Crescendo, 28. Dezember 2019 |
Von Rüdiger Sturm |
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„Mit Adrenalin funktioniert alles.“
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„Wien“ ist der Titel des neuen Albums
von Jonas Kaufmann. Im CRESCENDO-Gespräch erzählt er, engagiert und
passioniert, dabei mit fast jugendlicher Unbefangenheit und Offenheit vom
Älterwerden, seiner Stimme und von Wien.
CRESCENDO: Bei Ihnen gibt es schon jetzt eine Flut von Projekten –
angefangen von einem Bildband anlässlich Ihres 50. Geburtstags in diesem
Jahr. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie all die Fotos sehen?
Dass ich
alt geworden bin. Solange alle um einen herum auch älter werden, fällt das
nicht auf, aber mit einer Rückblende von 20, 30 Jahren, wird’s schon sehr
offensichtlich. Wobei das sicher nicht der Sinn dieses Bildbandes war, das
ist eine sehr schön gestaltete Retrospektive. Und er hat die Erinnerung an
Projekte hervorgeholt, die mir viel bedeuten.
CRESCENDO:
Wie verhält es sich mit Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt, mit der Sie
am 18. November in München debütierten. War das auch so ein altes
Wunschprojekt?
Richtig, ich wollte das immer gerne machen, aber ich
war mir nicht sicher, ob das je geschieht, weil es nicht so häufig
inszeniert wird. Die Musik ist genial. Die Instrumente, die Klangfarben, die
Harmonien… Das ist irrsinnig revolutionär und gleichzeitig schön. Und der
Mann war damals Anfang 20, als er das schrieb, konnte also nicht die
Erfahrung eines Theaterpraktikers wie Richard Strauss haben. Das merkt man
sehr, und das ist teilweise auch unangenehm zu singen. Deshalb hätte ich vor
zehn Jahren nicht „hier!“ geschrien. Aber das Werk ist ein Herzensprojekt
von Kirill Petrenko, das er unbedingt machen wollte. Für mich ist das eine
tolle Gelegenheit.
CRESCENDO: Sie sind, wie gerade
erwähnt, jetzt 50. Wie ist die Stimme in diesem Alter?
Mit dem Alter
verändert sich die Stimme wie der ganze Körper. Das Gute daran ist, dass der
Erfahrungsschatz wächst, sodass man die Stimme auf gute Art reifen lassen
kann. Natürlich muss ich mein Repertoire entsprechend selektieren. Manche
Partien kommen jetzt weniger infrage, dafür kann ich Dinge in Betracht
ziehen, die früher fast unmöglich erschienen.
CRESCENDO:
Was zum Beispiel?
Als ich vor zwei Jahren als Otello debütierte,
hatte ich vor dieser Partie mit Recht großen Respekt. In der neuen
Produktion der Bayerischen Staatsoper dagegen fallen mir manche Phrasen, die
ich als extrem schwierig empfand, viel leichter. Auch bei Forza del destino
in London, wo ich früher an körperliche Grenzen ging, war es dieses Jahr
einfacher. Andererseits merke ich, dass das französische Genre, wo man
plötzlich ins Ätherisch-Schwebende geht, nur noch mit guter Vorbereitung
funktioniert. Ich spüre, dass meine Stimme das anstrengt. Das war früher
überhaupt nicht der Fall. Heute braucht die Stimme eher das Kräftige, dann
habe ich den Eindruck endlos singen zu können. Mit diesem Weichen, Zarten
muss ich inzwischen aufpassen, weil ich merke, dass ich damit meine Stimme
leichter ermüde.
CRESCENDO: Aber Sie können dieses
Repertoire noch singen?
Ja, das funktioniert noch, worüber ich sehr
froh bin. Es gab genug Sänger, die bereits mit 50 große Schwierigkeiten
hatten, ihr Repertoire zu halten und dann ins sogenannte Charakterfach
gegangen sind. Das ist mir bisher erspart geblieben, und es fühlt sich so
an, als würde das so bleiben.
CRESCENDO: Auf Ihrem
Album „Wien“, das ebenfalls zu Ihren aktuellen Projekten gehört, bieten Sie
ja Melodien aus der Donaumetropole. Das klingt eher nach
Entspannungsprogramm.
Das ist ein Trugschluss. Es gibt nur einen
grundlegenden Unterschied: In der Oper gilt es als Qualitätsmerkmal, wenn
man aus dem letzten Loch singt, sodass man das Gefühl hat, der platzt gleich
– gerade im Wagner-Bereich. Bei den Operetten-Melodien, die ich auf dem
neuen Album singe, würde das niemand akzeptieren. Es muss mit einem Lächeln,
leicht und locker aus der Hüfte kommen, obwohl Operette musikalisch schwer
und vielleicht sogar intensiver ist.
CRESCENDO:
Inwiefern?
In der Oper haben Sie Zeit, eine Sehnsuchtsgeschichte,
eine Todesgeschichte, eine Liebesgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen
über drei, vier, fünf Stunden hinweg verteilt auszubreiten.
Operettenmelodien dagegen sind viel kompakter. Hier versuchen Sie, alles –
übertrieben ausgedrückt – in wenige Takte hineinzupressen und diese Stimmung
auf den Moment zu treffen. Das ist am ehesten noch mit Liedern zu
vergleichen: Zwar haben Sie dort nur einen Partner am Klavier, in der
Operette hingegen ein ganzes Orchester, doch bei beiden Genres kann man sich
nicht verstecken, da muss man Farbe bekennen. Und bei Bühnenproduktionen von
Operetten müssen Sie einiges mehr können, als im gängigen Opern-Repertoire
gefordert ist: Dialoge sprechen, tanzen, improvisieren… Deshalb halte ich es
für eine der größten Sünden im Musikbusiness, Operette zu verachten und die
Abonnenten mit drittklassigen Produktionen abzuspeisen.
CRESCENDO: Aber wie kam dieses Wiener Projekt überhaupt zustande?
Vor ein paar Jahren habe ich das Album „Du bist die Welt für mich“
aufgenommen, als Hommage an die großen Komponisten, Textdichter und Sänger,
die zur Zeit der Weimarer Republik in Berlin all diese Evergreens geschaffen
haben. Im Fall meines „Wien“-Albums ist die Timeline sehr viel länger, sie
umfasst fast 100 Jahre, geht von Johann Strauss bis Georg Kreisler. Wien ist
für mich immer schon eine sehr wichtige musikalische Stadt gewesen. Und hier
gibt es eben auch viele Unterkategorien der populären Musik, wo sich
Traditionen von Oper und Operette erhalten haben. Da haben wir eine witzige
Mischung aus Altem und Modernem gefunden, aber alles mit dem gleichen Wiener
Charme und Schmäh.
CRESCENDO: „Wien“ ist vielleicht
kein so kommerzieller Selbstläufer wie eine CD mit Puccini-Arien…
Ich
mache nur Sachen, von denen ich unbedingt überzeugt bin – ohne kommerzielle
Hintergedanken. Ich will keinen Rundumschlag mehr wie bei meinem ersten
Album, wo ich Arien ohne großen Zusammenhang zusammengestückelt habe. Ich
will meinem Herzen folgen. Bislang hat diese Philosophie sehr gut
funktioniert. Deshalb gibt mir die Plattenfirma die Freiheit und sagt nicht
einfach „Wir brauchen ein Erfolgsalbum“.
CRESCENDO:
Das heißt, Sie genießen einen gewissen Starbonus?
Ich habe mich
früher immer gewehrt, den Begriff „Star“ zu verwenden, aber es gibt – so
traurig das ist – nur noch wenige Klassikkünstler, bei denen es sich für ein
Label lohnt, Aufnahmen zu machen. Da gehöre ich Gott sei Dank dazu. Deshalb
genieße ich eine gewisse Narrenfreiheit, wobei ich die nicht ausnutze, um
nur schräge und verrückte Sachen zu machen.
CRESCENDO:
Und welche Herausforderungen sehen Sie künftig vor sich? Sie haben ja fast
alle Genres und Repertoires gemeistert.
Es gibt vieles, was mich
reizt. Zum Beispiel würde es mich brennend interessieren zu dirigieren, aber
das muss ich in Ruhe lernen. Die Frage ist auch: Braucht man das? Wenn die
Stimme lang genug hält, dass man bis Mitte/Ende 60 seine Sachen singen kann,
stellt sich die Frage nicht.
CRESCENDO: Und wenn das
nicht mehr möglich ist?
Die Kunst ist, dass man sich während des
Berufslebens genug Dinge schafft, die einen neben dem Beruf erfüllen. Das
sind Hobbys, aber in allererster Linie die Familie. Auch würde ich gerne
eines tun: mein Wissen an die nächste Generation vermitteln. Bislang war
einfach keine Zeit dafür da. Ich bin bereit, eines Tages den Staffelstab
abzugeben, denn ich habe keine Angst, danach in ein Loch zu fallen.
CRESCENDO: Sie wurden zum vierten Mal Vater. Hilft das auch
bei der Rolleninterpretation?
Vater zu sein bringt eine ganz andere
Gewichtung in mein Leben. Dieses Bestreben, die perfekte künstlerische
Leistung zu bieten, hat sich extrem relativiert. Das heißt nicht, dass ich
meinen Beruf nicht ernst nehme. Aber ich weiß: Ich kann auch dann auf die
Bühne und eine gute Leistung abliefern, wenn ich vorher mit meinem Kind ins
Krankenhaus muss, weil es sich den Arm gebrochen hat. Mit Adrenalin
funktioniert alles. Genau dieses Wissen verschafft mir eine Lockerheit, die
man fürs Singen unbedingt braucht. |
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