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Klassikfavori, 26. APRIL 2018 |
SABINE WEBER |
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DER FALL TOSCA – IN HAMBURG MIT JONAS KAUFMANN UND ANJA HARTEROS GLÄNZEND GELÖST! KAUFMANN ERKLÄRT, WARUM
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Bis unters Dach ausverkauft! An der
Hamburgischen Staatsoper hat die letzte Tosca-Vorstellung der Saison am 17.
April auch für den Höhepunkt der neu ausgerufenen Italienischen Opernwochen
gesorgt. Mit Anja Harteros als Floria Tosca und Jonas Kaufmann als Mario
Cavaradossi. 2009 trafen sie erstmals an der Bayerischen Staatsoper
aufeinander. Seitdem sind sie im Duo das Operntraumpaar und garantieren für
ausverkaufte Vorstellungen. Derzeit sind sie in einer Andrea Chénier
Produktion am Wiener Staatstheater zu erleben – für die, die Karten
bekommen! Starsänger im Rausch! Aber auch sie brauchen ein normales Maß,
wie Jonas Kaufmann im Interview verrät.
Nach einem zweiten
Akt Tristan konzertant in Boston, zuletzt in der Carnegie Hall letzten
Samstag, mit Jetlag in die Rolle des Cavaradossis in Hamburg hinein
gesprungen und dann direkt weiter zu Andrea Chénier Proben nach Wien. Wie
verkraftet das denn Ihre Stimme?
Eigentlich gut. Wenn man
wenig schläft, ist das natürlich nie gut für die Stimme. Zuviel Schlafen ist
aber auch nicht gut. Man braucht ein ganz normales Maß. Wenn man viel reist,
ist es immer wichtig, dass man schaut, dass alles fit bleibt. Eher gesund
lebt, viel trinkt, ganz wichtig, viel Flüssigkeit, damit die Stimme bei den
Flügen nicht austrocknen kann. Ein Kollege, der in New York mit war und auch
in Boston, der hat am ersten Tag, glaube ich, fünf Minuten gesungen. Dann
war die Stimme zu geklebt. Das kommt davon, wenn die Schleimhäute
austrocknen. Und das ist nicht nach zwei Stunden vorbei. Wenn man nicht
darauf achtet, ist das auch nach 24 Stunden immer noch so. Aber man weiß das
eigentlich. Es gibt da auch so ein seltsames Objekt, eine Maske, die man
tragen kann …
Sie sitzen im Flugzeug mit einer Maske…?
Ja, im Flugzeug mit der Maske. Sie heißt Humidy Flyer. Das ist ein
Befeuchter, und der funktioniert wirklich toll, eine Maske mit einem
Keramikfilter unten dran. Und dieser Keramikfilter ist so feinporig, dass
wenn die Atemluft daran vorbei streicht, Feuchtigkeit hängen bleibt. Und
wenn man die länger aufhat, fängt das an Feuchtigkeit zu sammeln. Bei jedem
Zug, den man wieder einatmet, wird die Luft wieder befeuchtet . Man verliert
dann keine Feuchtigkeit mehr. Das ist ein enormer Unterschied. Man hat dann
vielleicht nach sechs Stunden Flug Druckstellen auf der Nase, … (lacht)
Aber das regelt dann die Maske am nächsten Tag nehme ich an …
Das macht dann die andere Maske, genau…!
Die Damen, die
am nächsten Tag für die Vorstellung auftragen… Ich habe mich gefragt, wie
viel Arbeit es einen Sänger kostet, sich als Einspringer in eine
Inszenierung einzuarbeiten. Obwohl wir es ja immer wieder erleben, dass es
funktioniert. Genau aus dem Grund, weil andere Sänger ihre Stimme schonen
müssen. Wie viele Tage haben Sie sich in die Cavaradossi-Rolle in Hamburg
eingearbeitet, oder haben Sie inzwischen eine eigene Cavaradossi-Hose im
Schrank?
Die Cavardossi-Hose habe ich nicht, aber es ist so,
dass man da anfängt, wo man das letzte Mal aufhört. Wenn es ein Stück wäre,
dass ich nie gesungen habe, wäre es sicherlich eine ganz andere Nummer, in
eine Produktion reinzugehen. Weil man nichts hat, womit man die Partie oder
die leeren Schuhe füllen kann, weil es sonst wochenlange Proben braucht, um
sich da rein zu finden und zu fühlen. Und die ganzen Details, Timing für die
einzelnen Phrasen, das geht nicht von heute auf morgen. Aber wenn man es oft
gemacht hat! Cavaradossi habe ich jetzt wirklich, wirklich oft gesungen. Und
diese Produktion auch, ich muss nachrechnen, vor ein paar Jährchen…
War das 2009 in Zürich?
Ja ganz genau…
War das denn genau dieselbe Produktion?
Mehr oder
weniger die gleiche Produktion, ein fast identisches Bühnenbild, etwas
schmäler das eine wie das andere. Wir haben Unterschiede festgestellt, einen
Unterschied erst nach der Vorstellung. Als der Spielleiter zu mir kam und
gesagt hat, aber Du hast doch dieses Gesicht nicht gemalt? Ich hab’s gemalt!
Aber wann, wann??? Immer da, wo ich es bis jetzt gemacht habe. Ich habe es
mir extra noch einmal dieser Tage genau angeguckt, weil ich mich auch
gefragt hatte, wann war denn das, wann habe ich das denn gemalt? Darauf hin
habe ich einen Clip bei Youtube gefunden, wo ich die letzten Striche mache,
genau dann fängt nämlich die Arie an. Ich habe also genau im Vorspiel der
Arie gemalt. Aber jetzt sollte ich malen, bevor der Schließer kommt. Deshalb
hat mir der Schließer noch einmal eine Kreide in die Hand gedrückt, weil der
dachte, der hat bestimmt seine Kreide vergessen, weil der hat ja nix gemalt.
Und ich habe mich gewundert, warum drückt der mir eine Kreide in die Hand,
was will er, ich habe doch eh eine in der Hand, kommt ja eh noch… Also das
sind kleine Sachen. Es ist oft leider so, wenn es zu gut geprobt ist, dann
wirkt es einstudiert im Sinne, wir haben es abgesprochen und lassen es jetzt
so laufen, wie wir es immer gemacht haben. Dann ist es aber nicht mehr
natürlich. Ich habe jetzt gerade wieder mit dem wunderbaren Otti Schenk
geprobt, der seine eigene Produktion vom Jahre „Schnee“ … boh, wie alt ist
die…? Ich glaube, Mitte der 70er Jahre, wieder aufnimmt. Und der sagt genau
diese alten Weisheiten. Jetzt fragt er mich, wie man gehen soll? Dann soll
man das halt wieder probieren. Die Unsicherheit ist das, was ich suche, man
soll’s ja eben nicht genau machen. Je öfter wir es machen, desto schlimmer
wird es ja eigentlich. Letztendlich ist es das, man muss alles können, man
muss alles wissen. Eine 100% Sicherheit auf der Bühne, die kriegt man ja
eigentlich nur durchs Proben. Aber auf der anderen Seite muss man dann alles
vergessen und aus der Sicherheit heraus spontan neu entwickeln. Und insofern
ist so ein Einspringen oder das Übernehmen so einer Galaaufführung ohne
Proben eigentlich was sehr Gutes. Das sind alles Sänger, die das Stück
beherrschen, die Jahrelang Erfahrungen auf der Bühne haben, die sich kennen.
Mit Anja Harteros habe ich unendlich viele Produktionen, auch Tosca gemacht.
Auch mit Franco Vasallo habe ich in einigen Produktionen zusammen
gearbeitet. Es ist ein altes Team auf neuem Boden, und das funktioniert
meistens sehr, sehr gut.
Funktioniert das besser bei
bestimmten Inszenierungen? Robert Carstens Inszenierung beansprucht ja keine
besondere Deutungshoheit, sondern biete eher ein Forum zum Spielen…
Es gibt Produktionen, die sind sehr, sehr anders, als die Geschichte vom
Textdichter und Komponisten gedacht war. Das macht teilweise auch Sinn. Aber
es ist dann sehr schwer, neue Elemente hinein zu bringen. Es soll je etwas
ganz anderes sein. Das ist dann schwierig, man will ja auf der einen Seite
neues Land gewinnen und Neues ausprobieren. Und man möchte auf der anderen
Seite auch das, was einem persönlich am wichtigsten ist, an einem Charakter,
an einer Partie, aber nicht verlieren. Das passiert aber trotzdem immer
wieder, wenn wir Stücke haben, wo der Sinn komplett verändert wird. Dann
kann ich auch nicht sagen, ich höre ja, was die anderen singen, ich weiß ja,
was kommt. Dann kann ich natürlich reagieren, nein, ich weiß es nicht, ich
bin dann komplett unvorbereitet. Da wird es schwer, solche Sachen spontan zu
gestalten. Dann muss man wahrscheinlich eine große Wiederaufnahme machen,
wie man das nennt. Und sich bestenfalls mit dem Regisseur noch einmal
treffen, um diesen neuen Weg zu finden. In der Theaterpraxis, wenn ein
Opernhaus sich überlegt, eine Galaaufführung zu machen, dann werden sie eine
Produktion nehmen, in der das entsprechend relativ einfach ist.
Ich habe mich gefragt, ob im letzten Akt, wenn Tosca Ihnen kurz vor
der Exekution vorspielt, wie Sie jetzt hinzufallen haben, damit das richtig
gelingt, ob das etwas Spontanes war, also improvisiert war. Oder gehörte das
zur Regie?
Das muss man bei Anja immer einrechnen. Wenn sie
Lust hat zu spielen, dann spielt sie, das ist wahnsinnig schön! Das war
spontan! Im Prinzip entspricht das natürlich genau dem Charakter, den sie
spielt. Und es geht in diesem Moment um einen Kontrast. Tosca erzählt
Cavaradossi, Du wirst jetzt hingerichtet, aber es ist nur ein Fake, mach’
Dir keine Sorge… Aber er hört die Nachtigall trapsen. Dafür kennt er das
Regime und Scarpia lang genug, als dass er glaubt, dass das gut gehen kann.
Er glaubt ihr nicht?
Ich glaube, er glaubt ihr
nicht. Aber er lässt sie gewähren. Er will ihr nicht im letzten Moment die
Stimmung verderben. Warum würde er sie sonst immer wieder auf eine andere
Spur bringen? Komm, reden wir noch einmal, sag’ noch einmal etwas, was Du
sonst so sagst, ich höre Deine Stimme so gern. Reden wir noch einmal über
die Liebe… Man spürt, er hat Angst, er will es ihr nicht zeigen. Aber in
Wirklichkeit ist es für ihn eindeutig ein Abschied. Und es ist natürlich
toll, wenn die Sopranistin in ihrer Rolle, als Sopranistin, als Diva, so
alles spielt. Dass in dieser Ausnahmesituation die Schauspielerin plötzlich
durchbricht, das ist herrlich! Und Cavaradossi weiß gar nicht, was er mit
ihr anfangen soll. Er möchte ja mit ihr lachen. Auf der anderen Seite ist
ihm alles andere als lustig. Das ist etwas, was Puccini wirklich gut
hinbekommen hat, verschiedenen Gefühlsebenen, die sich überlagern,
widersprechen, aber gleichzeitig stattfinden und sich auch durchdringen… Und
alles in Dialogen.
Tristan gilt ja als eine der schwersten
Partien. Otello haben Sie wieder im Visier nächste Spielzeit. Ist
Cavaradossi dazwischen Honig für die Stimme?
So einfach ist
die Partie jetzt auch nicht. Aber es ist nicht mehr so, dass ich mir sage,
ich muss in Bestform sein, damit ich diese Rolle überstehe. Das ist beim
letzten Otello so gewesen. Das ist beim nächsten Otello in München
wahrscheinlich nicht mehr ganz so spannend. Natürlich, diese Partie, solche
Partien sind überfrachtet mit ihrem Ruf der ultimativen Killerpartie. Es ist
mir beim Otello in London auch alles andere als leicht gefallen. Das hatte
auch mit vielen anderen Dingen zu tun. Wir hatten unglaublich heiße Kostüme.
Die Premiere war der heißeste Tag seit 150 Jahren Wetter-Aufzeichnung in
London. Das hat es uns nicht leichter gemacht. Grundsätzlich liegt die
Schwierigkeit aber gar nicht so sehr im stimmlichen, sondern im Charakter
dieser Partie, dieser Bestie, sage ich mal platt, dieser Urtriebe und
Instinkte, die da immer wieder durchbrechen. Und dass man das zur Geltung
kommen lässt, und stark macht, und gleichzeitig nicht auf die Stimme
überträgt. Dementsprechend sein Instrument erwürgt. Beim Tristan ist es ein
bisschen anders. Da ist es weniger das Brachiale als vielmehr das
Ekstatische. Aber es ist auch so wie beim Otello, dass die Musik einen zu
etwas treibt und verleitet, bei dem man vorsichtig sein muss. Ich habe zur
Kollegin Camilla Nylund, gesagt, die in den USA dabei war und das großartig
gemacht hat, dass es wie ein Höhenlauf ist, bei dem man immer wieder
hochspringt. Und man weiß, dass wenn man nur einmal reißt, wie im Sport
auch, dann ist es vorbei. Weil dann brauche ich nicht mehr weiter zu laufen.
So ist es da auch. Da gibt es so viel Stellen, wo einem die Stimme
wegbrechen kann, dann kannst du Heimgehen! Und brauchst den Rest des Aktes
nicht mehr zu versuchen. Weil dann ist es vorbei. Das ist auf der einen
Seite riskant und Furcht-einflößend. Auf der anderen Seite aber auch
unglaublich, ein Rausch letztlich, in den man sich hinein steigert. Es geht
also nicht nur dem Publikum so, auch wir werden mitgerissen. Das ist hoch
emotional. Und in einem Akt Tristan, da habe ich so viel zu singen, wie in
zwei mit Cavaradossi.
Sind solche Starauftritte wie in
Hamburg für Ihr Image wichtig?
Wie soll ich jetzt darauf
antworten. „Nicht-Auftreten“ ist sicherlich nicht das Ideal für einen
Künstler und seine Karriere. Nur an wenigen Plätzen, das ist auch sehr
schwierig vertretbar. Wenn wir in einer Zeit leben, wo die Leute gern um den
Globus reisen, und einen Flug nicht so sehr als Strapaze, sondern als
Abenteuer ansehen, da ist es schon so, dass man immer wieder versuchen muss,
an Plätzen aufzutreten, wo man sonst nicht erscheint. Die Hamburgische
Staatsoper ist so ein bisschen ein weißer Fleck gewesen. Ich glaube, mein
letzter Auftritt hier war 2001. Das ist sehr lange her. Und insofern war es
mir schon sehr wichtig. Es ist ein berühmtes, wichtiges Opernhaus, vor allem
für Deutschland, aber auch international gesehen. Und es wäre sehr schade,
wenn man das links liegen lässt. Es ist natürlich für ein Publikum viel
schöner, wenn man regelmäßig viele Aufführungen hat. Das sind schon sehr
viele Häuser, die sich das auch wünschen. Wenn man ganz ehrlich ist, gibt es
eine Handvoll Häuser, die international wichtig sind. Wichtig meine ich auch
im Sinne der Karriere, der Erhaltung der Karriere. Klar, ein Carlos Kleiber
hat gesagt, er ist nur gekommen, wenn der Kühlschrank leer war. Ich glaube
nicht, dass das der Weg ist, den ein Sänger gehen kann. Aus verschiedenen
Gründen, auch, weil er weiß, dass er mit 80 eben nicht mehr auf der Bühne
steht. Und zweitens, weil die Stimme eine regelmäßige Pflege und auch
Training braucht. Ob ich jetzt zuhause singe, damit ich in zwei Jahren
wieder einen Auftritt habe oder zweimal pro Woche eine Aufführung habe, ist
letztendlich vom Aufwand her nicht dasselbe. Aber es ist auch nicht so, wenn
ich nichts zu tun habe, dass ich Däumchen drehe. Der Bedarf an Auftritten
ist groß, viel größer, als ich es jemals abdecken kann. Das ist einfach so.
Es gibt genug Städte, in denen ich noch nie war, in denen ich wahrscheinlich
auch nie auftreten werde. Und es gibt genug lokales Publikum, das mir
deswegen böse ist, dass ich ausgerechnet zu ihnen nie komme. Aber ich kann
es nicht ändern. Ich glaube schon, dass ich relativ viel tue und ich relativ
reiselustig bin. Aber es gibt irgendwo Grenzen. Bevor ich eben noch ein
anderes Theater am Ende der Welt erschließe, sollte ich doch wenigsten an
den großen deutschen Bühnen aufgetreten sein. Und nachdem die Auftritte
2001, ich muss noch mal nachschauen, sehr lange her sind, auf jeden Fall
deutlich vor Beginn der internationalen Karriere, war das sehr fair, dass
ich da mal vorbei geschaut habe. Ob das richtig ist, ob ich ohne diesen
Auftritt in Hamburg nicht wäre, was ich bin, vielleicht, vielleicht für
manche Leute. Das kann man eigentlich nur am Ende der Karriere, oder kann
sich ein Geschichtsschreiber überlegen, ob es das Wichtigste war oder
weniger wichtig.
Luciano Pavarotti hat mal gesagt, es gäbe
zwei Rollen, die er nie singen könnte, Giordanos Andrea Chénier und Verdis
Otello. Füllen Sie die Lücke in seiner Bio aus oder ist das rein zufällig…
Ja und nein. Es sind zwei der wichtigen Partien. Andrea Chénier ist ein
süchtig-machendes, opulentes Werk, das sicherlich auch einige Schwächen hat.
Giordano hat sicherlich nicht die Qualität in jeder kleinsten musikalischen
Nummer durchgehalten. Aber trotzdem ist es ein absolutes Sängerfest. Und
Otello ist sowieso was es ist. Die Klimax des Verdi-Fachs. Für jeden Tenor,
der sich in diesem Fach bewegt ein absoluter Meilenstein. Pavarotti hatte
eine traumhaft schöne Stimme, keine Frage, aber er hatte ein doch
limitiertes Fach, nicht so wie Alfredo Krauss. Er hat kein deutsches Fach
angefangen, kein französisches. Das heißt, es gibt nicht nur diese Partien,
die er nicht angefasst hat. Ob er es jetzt konnte oder wollte. Es gab
sicherlich genug französische Partien, die er gut hätte singen können. Aber
auch Manon Lescaut hat er vergessen. Manon Lescaut von Puccini ist ebenfalls
eine unglaublich schwere Partie. Das sind, glaube ich, die drei großen
Stücke, wo ein Tenor sehr genau wissen muss, was er tut. Alles andere,
selbst Aida, ist weniger exponiert, weniger dramatisch in vielerlei Hinsicht
als diese drei Partien. Ich habe von Ihrem Spruch noch nie gehört. Also ist
es keine Absicht, die ich in den Kalender geschrieben habe. Er ist
vielleicht auch ein bisschen eine andere Art Tenor. Ein Placido Domingo hat
sich ein viel breiteres Repertoire erarbeitet, immer wieder neue Opern, und
als der Tenor ausblieb, hat er sich bei den Nachbarn bedient. Das ist eine
ganz andere Einstellung zu dem Beruf. Eher moderner. Es gab eine Phase, in
der man sich spezialisiert hat, in der man einfach eine Anzahl von Partien
studiert und sie rauf und runter gesungen hat. Das war in den 20ger und 30er
Jahren, als die Leute noch mit eigenen Kostümen gereist und überall das
gleiche Stück gegeben haben. Wo es in dem Sinne keine Inszenierungen gab.
Aber da war trotzdem das Repertoire breit gefächert. Da hätte man nie
gesagt, nein, das ist der italienische Tenor, der kann den Bajazzo, der kann
doch niemals den Lohengrin singen und umgekehrt. Das hat sich eigentlich
erst in den 1970er Jahren, entwickelt, dass man sagt, entweder das oder das,
aber man kann nicht alles gleichzeitig machen. Heute geht man wieder zurück.
Heute gibt es immer mehr von diesen „Ausnahmen“, die fächerübergreifend
viele Partien singen, und gut singen können!
Hat sich das
Tenorfach also heute wieder angeglichen und vereinheitlicht? Die Voix mixte
bei den Franzosen, der Tenore di forza, Tenore di grazia, die Stentorstimme…
Das ist auch verwirrend. Eigentlich muss man doch gut singen, eine Partie
musikalisch gut ausdrücken. Oder?
Na klar, man muss das gut
singen können. Und man muss ein bisschen von allem haben. Man kann natürlich
nicht den Franzosen plötzlich ‘durchstemmen’ an den Stellen, wo diese Voix
mixte oder die Weichheit gefragt ist. Diese Weichheit brauchen Sie im
Lohengrin aber auch. Oder diese Weichheit im Chénier! Come un bel dì di
maggio, diese letzte seiner Arien, wunderbar weich im ersten Teil. Genau das
braucht man hier auch, wenn man es hat. Wenn man eine gesunde Stimme hat,
dann hat man auch die Möglichkeiten des Farbspektrums, und eben nicht nur
das ‘an’ und ‘aus’, was es ja auch immer wieder gibt, dass eine Stimme eben
voll da ist oder gar nicht. Dann hat man natürlich nur eine Chance Karriere
zu machen, wenn man sich auf ein ganz spezielles Repertoire beschränkt. Wo
eben genau dieser Stimmklang, den man als einziges produziert, gefragt ist.
Das ist, glaube ich, eher die Lösung für die Nische. Das bedeutet nicht,
dass jeder, der gesund singt, Mozart und Wagner gleichzeitig singen können
muss. Das meine ich damit nicht. Es gibt kleinere und größere Stimmen,
dunklere, hellere Stimmen, anders gelagerte Stimmen. Aber nicht mehr die
Fächer, wie man sie früher ganz kategorisch hatte. Ich kann mich erinnern,
als ich Student war, habe ich den Kloiber gekauft, das Opernlexikon, wo
genau gestanden hat, ein lyrischer Koloratursopran hat zu singen bam, bam,
bam. Da konnte man hingehen und sagen, ich will einen Vertrag für lyrischen
Koloratursopran. Deshalb muss ich diese und jene Partie nicht singen. Oder
ihr bezahlt mich extra, in diesem deutschen System, wo es für jedes
Stimmfach ein Engagement gab. Und wenn man über sein Fach hinaus gesungen
hat, musste man eben zusätzlich engagiert oder bezahlt werden. Oder man hat
gesagt, tut mir leid, kann ich nicht. Mit gutem Recht, dann muss es jemand
anders machen. Ich weiß allerdings noch zu meiner großen Enttäuschung, als
ich meinen ersten Vertrag bekommen habe, da stand da eben nicht leichter
lyrischer Tenor, was ich gerne gehabt hätte, sondern Tenor für Oper,
Operette, Musical und nach Individualität! Also alles!
Eine
Greencard für den Einsatz an allen Fronten!
Letztendlich hat
mich das geprägt. Und es ist immer so geblieben…
Aber
Operette doch nicht, das kommt vielleicht mal später… ?
Aber
das werde ich wieder machen, das glaube ich schon! Operette ist ein
wahnsinnig schweres Fach, und so schön, das kommt bestimmt. Leider gibt es
so schöne Opernpartien, dass man doch sagt, ach dann mache ich noch die und
die und lässt die Operetten noch ein bisschen liegen. Ich hoffe, aber nicht
zu lange… |
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