|
|
|
|
|
Die
Bühne, April 2018 |
im Gespräch mit Martin Kienzl |
|
|
Der Triumph der Liebe
|
|
JONAS KAUFMANN. Der Startenor gibt sein Wiener Partiedebüt als Andrea Chénier, der Glanzrolle in Umberto Giordanos
gleichnamiger Verismo-Oper.
Seit der Mailänder Uraufführung von
1896 zählt die die Oper tragende Titelrolle von Andrea Chénier zu den
begehrtesten und attraktivsten Aufgaben im Fach des Tenore lirico spinto.
Nachdem Jonas Kaufmann vor drei Jahren in London sein Rollendebüt gab, singt
er die Partie nun erstmals in Wien. Über den Reiz und die Tücken der Partie
sprach er mit Martin Kienzl.
BÜHNE: Was hat Sie an
der Rolle des Andrea Chenier gereizt?
KAUFMANN: Für
einen Tenor, der das italienische Fach singt, ist der Chénier so aufregend
und reizvoll wie für einen Sopran die Tosca - das sind Partien, von denen
man träumt, sie eines Tages zu singen. Nicht nur die Titelpartie hat mich
gereizt, sondern die ganze Oper. Das ist pure Emotion, die weit über die
Opernwelt hinaus wirken kann. Nicht umsonst hat die Callas-Aufnahme von „La
mamma morta" im Film Philadelphia Hunderttausende erreicht und bewegt, die
nie ein Opernhaus von innen gesehen haben. Giordanos Musik ist Verismo pur.
Darin liegt der große Reiz und zugleich auch eine Gefahr: Das Stück ist
derart geladen mit Emotion, dass man aufpassen muss, nicht vom Sog der Musik
fortgerissen zu werden. Das ist halt die besondere Herausforderung bei Opern
des Verismo: völlige Hingabe, ohne die Kontrolle zu verlieren.
BÜHNE: Können Sie sich erklären, warum die Oper bis heute
nicht fest im Weltrepertoire verankert ist? Ihre Münchner Premiere war die
Erstaufführung am Nationaltheater - was man kaum glauben kann. Die
Produktion, in der Sie jetzt in Wien singen, kam nur zustande, weil damals
Pläcido Domingo zur Verfügung stand - der Operndirektor Egon Seefehlner
erklärte, dass er diese Oper „ohne ihn nicht gemacht hätte".
KAUFMANN: Ich denke, dass Andrea Chénier sehr wohl einige Zeit im
Weltrepertoire verankert war, und zwar in der goldenen Ära, als es für diese
Oper Tenöre wie Mario del Monaco, Richard Tucker, Franco Corelli, José
Carreras und Placido Domingo gab. Insofern gehörte sie doch zum festen
Bestand einiger Häuser. Aber nun braucht es für den Chénier nicht nur einen
Tenor, der die Titelpartie schultern kann, sondern auch absolut
gleichwertige Kollegen in allen Rollen. Deshalb sehe ich den Aufführungen an
der Wiener Staatsoper auch mit großer Vorfreude entgegen. — Vor Kurzem
hatten wir in Barcelona Sondra Radvanovsky als Maddalena, Carlos Älvarez als
Gérard und Anna Tomowa-Sintow als Madelon; sie war die Madeleine der
Scala-Produktion von 1985, an der Seite von José Carreras. José war bei der
dritten Aufführung in Barcelona im Publikum, und so kamen nach der
Aufführung backstage zwei Chénier-Generationen zusammen.
BÜHNE: Wie stark ist der Einfluss Ihrer Beschäftigung mit dem
realen André Chénier auf Ihre Interpretation der Rolle?
KAUFMANN: Gerade bei Opern mit derart präzisem historischem
Hintergrund ist das Studium der realen Geschichte ein wesentlicher Teil der
Vorbereitung; da sollte man schon wissen, wie die Verhältnisse vor, während
und nach der Französischen Revolution waren. Aber ich denke nicht, dass die
Figur des historischen Chénier einen großen Einfluss auf meine
Interpretation hat. Giordanos Oper ist ja kein Porträt der realen Figur,
sondern die Dramatisierung und Emotionalisierung eines zeitlosen Ideals,
nämlich der sozialen Gerechtigkeit. In diesem Sinne ist das Stück durchaus
aktuell: Nach wie vor leben Eliten auf Kosten der Armen, verbrauchen und
verschwenden bedenkenlos, wofür Menschen in einem anderen Teil der Welt für
wenig Geld sehr hart arbeiten müssen.
BÜHNE:
Beneiden Sie manchmal in dieser Oper Ihren Bariton-Kollegen, der seine
revolutionäre Wut offener ausleben kann als Chénier, der immer noch die
Contenance des Dichters und Idealisten wahrt?
KAUFMANN:
Ich beneide den Bariton vor allem um seinen Monolog „Nemico della patria"!
Was für eine starke Szene! In der Wiener Premiere mit Domingo, die Sie
vorhin angesprochen haben und die damals im Fernsehen übertragen wurde, hat
das Piero Cappuccilli derart intensiv gestaltet, dass sich das Publikum gar
nicht mehr beruhigen konnte. Das war ein echter Showstopper.
BÜHNE: Wie sehen Sie den Schluss — ist da eines der schönsten
Liebesduette der Opernliteratur auch als triumphale Todes-feier zu deuten?
KAUFMANN: „Schönste Liebesduette" klingt so nach
Wunschkonzert, viel zu harmlos für das, was man da hört. Dieses finale Duett
ist für meine Begriffe eine der größten Szenen der Verismo-Literatur,
schlichtweg mitreißend und überwältigend. Und der Text in dieser Szene ist
Programm: „La nostra morte é il trionfo dell'amor" — unser Tod ist der
Triumph der Liebe!
BÜHNE: Sie haben mittlerweile
viel Pucciniund Verismo-Rollenerfahrungen. Mit welchen dieser Partien lässt
sich Andrea Chénier vokal am ehesten vergleichen bzw. wo liegen die
Unterschiede? Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Rolle?
KAUFMANN: Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit der Rolle
— zuerst in London, dann in München und zuletzt in Barcelona — kann ich nur
sagen: Schön, dass es sie gibt und dass ich sie singen darf! Von den
stimmlichen Anforderungen her würde ich die Partie am ehesten mit Des Grieux
in Manon Lescaut und Otello vergleichen. Der große Unterschied zu Otello
besteht darin, dass beim Chénier positive Emotionen wie Liebe, Leidenschaft
und Idealismus im Vordergrund stehen, während es beim Otello ab dem zweiten
Akt kaum eine Phrase gibt, die nicht mit Misstrauen, Abscheu, Zorn und Hass
geladen ist. Das macht es noch schwerer, die Balance zwischen Hingabe und
Kontrolle zu halten.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|