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Mannheimer Morgen, 24. Juni 2018 |
Eckhard Britsch |
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"Beim Fliegen kann man abstürzen"
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Der Weltstar hatte nur wenig Zeit für das
Gespräch; er steckte mitten in der Probenarbeit mit der Deutschen
Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz für zwei repräsentative
Operngala-Auftritte in Wien und Stuttgart. Aber er ist entspannt, wundert
sich ein wenig, ausgerechnet in Ludwigshafen über den Münchner „Parsifal“ zu
plaudern und sagt am Ende: „Es war mir eine Freude“. Dieser Zeitung und
ihrem Mitarbeiter mindestens ebenso.
Herr Kaufmann, am 28.
Juni ist „Parsifal“-Premiere. Steht ganz München in froher Erwartung Kopf,
zumal Georg Baselitz das Bühnenbild macht?
Jonas Kaufmann:
Ja, ich habe auch schon gelacht mit dem Schorsch, ich kenne ihn seit vielen
Jahren ganz gut, da habe ich ihm gesagt, er solle sich nicht einbilden, ich
würde auf dem Kopf stehend singen, das schaffen wir dann doch nicht, sonst
müssten wir mit dem Spiegel arbeiten, um den Effekt zu erzeugen. Aber, auch
wenn das (auf dem Kopf stehende Motive zu malen, Anm. d. R.) sein
Markenzeichen ist, wird das sicher eine ganz andere Optik. Es ist toll, so
einen großartigen Künstler dabei zu haben, der dem Ganzen seinen Stempel
aufdrückt.
Wie fühlen Sie sich als „reiner Tor, der erst
durch Mitleid wissend wird“?
Kaufmann: Na ja, nachdem ich ja
weiß, wie es ausgeht, kann ich im ersten Akt ruhig den Toren mimen, für den
sich spätestens mit dem Kuss der Erkenntnis alles ändert. Ich freue mich
sehr, das wieder zu machen, die letzte Produktion war in New York vor drei
oder vier Jahren, ich habe seitdem den Parsifal nur einmal konzertant
gesungen, bin also sehr gespannt. René Pape ist wieder mit dabei, ein alter
Hase in Sachen Gurnemanz.
Ist „Parsifal“ die ultimative
Partie für einen jugendlichen Heldentenor?
Kaufmann: Weiß
ich nicht, kann man schwer sagen, es gibt viele großartige Partien. Ich bin
ein totaler Fan dieses Stückes, bin schier süchtig nach dieser Musik, aber
es ist trotzdem eher eine Stehoper für den Tenor, wenn man bedenkt, dass er
im ersten Akt nach geschätzten 40 Minuten erst auf die Bühne kommt, und dann
fünf, sechs Sätze singt. Er bleibt auf dieser Bühne bis zum Ende des Aktes.
Eine knappe Stunde, nachdem er aufgehört hat zu singen, ist er immer noch
da, das ist schon ungewöhnlich. Im zweiten Akt ist es anders, da hat er mehr
zu singen, im dritten Akt ist es wieder sehr, sehr auseinandergezerrt, das
macht es ein bisschen kompliziert. Man wird von dieser Musik gefangen
genommen und selber mitgetragen und vergisst dabei fast, dass man eigentlich
Akteur auf der Bühne ist und irgendwie die Stimme am Laufen halten muss.
Plötzlich kommt der nächste Einsatz und man ist überrascht davon. Deshalb:
Es ist eine sehr ungewöhnliche Partie. Also, wenn’s ins Heldische geht, ist
man wahrscheinlich mit dem Tannhäuser besser bedient oder mit dem Lohengrin.
Um stimmprotzerisch unterwegs zu sein, ist der Parsifal wahrscheinlich nicht
so geeignet. Aber ist trotzdem sehr, sehr schön.
Ihre
Zusammenarbeit mit Kirill Petrenko: einfach oder schwierig?
Kaufmann: Klar, das ist herausfordernd, aber in einem sehr positiven Sinne,
ich kenne keine Handvoll von Dirigenten, die so sind wie er, wahnsinnig
präzise, sehr drängend, sehr genau wissend, was er will, der nicht aufgibt
zu proben, zu üben, weil er noch mehr Details fordert, und der trotzdem im
Moment der Aufführung Spaß hat und loslässt. Und das ist wirklich, wirklich
toll. Auch ich bin irgendwo ein Perfektionist, ich kenne aber auch
Dirigenten, die relativ früh zufrieden sind. Bei denen ist man dann sich
selbst überlassen ist und es wird schwierig, sich weiter zu steigern. Es
gibt auch Dirigenten, die sehr perfektionistisch in den Proben sind, die
dann genau so fast verbohrt in der Aufführung sind und keine Fehler
verzeihen. Was dann schade ist, denn eine Aufführung sollte für alle Freude
machen, aus der dann extra Energie entsteht und den Funken überspringen
lässt. Langer Rede, kurzer Sinn: Kirill Petrenko ist ein wunderbarer
Dirigent.
Und die szenische Zusammenarbeit mit Pierre Audi?
Kaufmann: Wahrscheinlich ist er nicht engagiert worden, weil er ein sehr
komplizierter Regisseur wäre, der immer mit verrückten, wilden, sehr
bestimmenden Sachen ankommt. Denn wenn man jemanden als Bühnenbildner hat
wie Baselitz, braucht man eher jemanden, der dieses Kunstwerk bespielt, und
nicht jemanden der sagt, das machen wir alles ganz anders. Insofern ist die
Zusammenarbeit sicher auf der umgänglichen Seite.
2006 sangen
Sie den Parsifal erstmals, damals in Zürich. Hat sich Ihr Zugang zu dieser
Figur seither geändert, erweitert, vertieft?
Kaufmann: Ja,
in den zwölf Jahren hat sich natürlich viel getan. Man sagt das immer so
dahin, dass Wagners Werke - und gerade der Parsifal - einfach Zeit brauchen,
übrigens auch als Zuhörer. Man muss sich hineinhören, man ist anfangs
irritiert auch ob der Länge, gerade der erste Akt Parsifal kann ja je nach
Dirigent über zwei Stunden gehen, doch wenn man sich in diese Welt
hineingehört hat, dann kommt es einem plötzlich vor wie 30 Minuten. Das geht
einem als Sänger ganz genauso, dieser Sog hilft auch uns auf der Bühne über
den langen Abend hinweg.
Motiviert Sie die Traumbesetzung
zusätzlich?
Kaufmann: Die Interaktion spielt eine große
Rolle, man inspiriert sich gegenseitig, man wird beflügelt. Hätte man das
Gefühl, allein auf verlorenem Posten zu sein, würde man sich wahrscheinlich
nicht so anstrengen. Es ist natürlich ein unbewusstes Anstrengen, es ist ja
kein Wettbewerb nach dem Motto „ich kann länger, ich kann lauter“, sondern
es ist einfach ein Beflügelt-Sein durch das, was man um sich erlebt, und
dann gibt man deshalb gerne und bereitwillig noch mehr.
Sie
interessieren sich für Archäologie. Sind Sie auch ein musikalischer
Ausgräber?
Kaufmann: Jein. Also es ist nicht so, dass ich
überall aktiv suche und forsche, aber ich war jetzt ein paar Mal in Neapel,
dort gibt es zwei ganz großartige Archive, das ist schon faszinierend. Ich
habe mehrere Tage darin verbracht, mir alte Kirchenwerke angesehen oder
vollkommen unbekannte Opern. Aber es warten noch einige Klassiker auf mich,
die ich noch nicht gemacht habe, vielleicht komme ich später dann auf
Ausgrabungen zurück. Mal sehen.
Vom „Student Prince“ bei den
Heidelberger Schlossfestspielen zum jetzigen Weltstar. Wie gehen Sie mit der
Höhenluft um?
Kaufmann: „Student Prince“, das war 1997, also
schon lange her. Höhenluft? Ach so lange man einfach nur wächst, und die
Füße dadurch immer am Boden behält, ist das kein Problem. Beim Fliegen
allerdings kann man abstürzen.
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Link zur Webseite mit dem Interview |
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