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Berner Zeitung, 13.10.2016 |
Interview: Peter Wäch |
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Süsses Leben, bittere Pause
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Jonas Kaufmann ist auf dem Zenit seines Schaffens. Der Jahrhunderttenor aus München lässt auf seinem Album «Dolce Vita» die ganze Bandbreite seiner geschmeidigen Stimme erkennen. |
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Herr Kaufmann, Sie haben einen
Bluterguss auf den Stimmbändern und müssen pausieren. Wie hat sich das
bemerkbar gemacht?
Jonas Kaufmann: Als ich
spürte, dass meine Stimme nicht so richtig funktionieren wollte, hielt ich
das für den Beginn eines Infekts. Die ärztliche Untersuchung ergab dann
einen anderen Befund: Die Nebenwirkung eines Medikamentes hatte beim Singen
ein Äderchen auf dem Stimmband platzen lassen.
Wie lange
müssen Sie pausieren?
Das kann niemand voraussagen und hängt
vom Heilungsprozess ab. Es ist möglich, dass in zehn Tagen alles wieder in
Ordnung ist oder dass es noch länger braucht. Man kann sich nur in Geduld
üben. Jedenfalls ist an Singen erst wieder zu denken, wenn das Hämatom vom
Körper vollständig resorbiert ist.
Ist das von aussen
sichtbar?
Wie bei einem blauen Fleck am Arm erkennt man auch
hier an der Farbe, wie weit die Heilung fortgeschritten ist. Das ist der
gleiche Prozess, mit dem Unterschied, dass es am Stimmband winzige
Verletzungen sind, vergleichbar mit Besenreisern an den Beinen.
Klingt leider vorerst nach Dolcefarniente. Wo beginnt für Sie das
süsse Leben in Italien?
In einer Espressobar. Ich bin ein
grosser Fan von Kaffee und Dolci. Dieser Moment, wenn der Espresso wie
dickflüssige Schokolade in die Tasse rinnt, gehört morgens einfach dazu.
Deshalb habe ich zu Hause alles, was man für einen guten Espresso braucht.
Aber eine gute Espressobar in Italien hat dann noch dieses besondere Flair.
Sie sind seit Ihrer Jugend mit Italien verbunden und attestieren
dem Land eine magische Anziehungskraft. War ein Album wie «Dolce Vita» schon
länger geplant?
Ja, doch wie bei den meisten
Plattenprojekten richtet sich der Zeitpunkt der Veröffentlichung nach den
Erfahrungswerten der Plattenfirma. Und offenbar ist der Start der neuen
Saison für Klassikaufnahmen optimal.
Sie singen Kompositionen
von Lucio Dalla über Leoncavallo bis hin zu Ernesto de Curtis. Im Gepäck
haben Sie auch Evergreens, die für einstige Startenöre geschrieben wurden.
Wie kam es zur Auswahl?
Ich hatte eine persönliche Hitliste,
aber die war wesentlich länger. Dafür hätte man zwei CDs gebraucht (lacht).
Wie sind Sie bei der Selektion vorgegangen?
Wir
konzentrierten uns nicht auf eine bestimmte Epoche oder nur neapolitanische
Lieder. Wir wollen vielmehr die ganze Skala von Evergreens des 20.
Jahrhunderts zeigen, quasi von Caruso bis «Caruso», also von Enrico Caruso
und «Mattinata» bis zu Lucio Dallas «Caruso». Und dazwischen
unterschiedliche Hits wie «Volare» und «Parla più piano».
Sie
sind mit Ihrer Italien-Affinität und den Auftritten an der Scala der beste
Beweis für einen deutschen Tenor, der es im Süden geschafft hat. In was sind
sich Münchner und Mailänder ähnlich, was trennt sie?
Uiii,
das ist eine heikle Frage. Ich möchte mir nicht anmassen zu sagen, das ist
typisch München und das ist typisch Mailand.
Aber Sie kennen
beide Städte ausgesprochen gut.
Als gebürtiger Münchner habe
ich natürlich eine enge Beziehung zu «Monaco di Baviera», und auch
künstlerisch ist München mittlerweile mein Mutterschiff. Einige Jahre war es
das Opernhaus Zürich. Seit meinem Debüt als Lohengrin im Jahr 2009 ist es
eben die Bayerische Staatsoper. Aber ich habe auch in Mailand wunderbare
Erfahrungen gemacht.
Sie haben dort öfters die Scala-Saison
eröffnet.
Die Eröffnungspremieren mit Bizets «Carmen» und
Wagners «Lohengrin» waren natürlich für mich eine ganz grosse Ehre. Aber
meine Liebe zur Scala geht weiter zurück.
Wie weit?
Meine allererste Opernproduktion in Mailand fand 1997 statt. Das war mit
Mozarts «Così fan tutte» und dem grossen Giorgio Strehler als Regisseur. Es
war seine allerletzte Inszenierung, er starb kurz vor der Premiere. Und von
ihm habe ich etwas Wesentliches gelernt.
Was denn?
Man darf nie den Autopiloten auf der Bühne anstellen, sondern muss jeden
Moment so spontan, so frisch, so flexibel sein, als würde man die Rolle zum
ersten Mal spielen. Das hat sich in meinem Kopf förmlich eingebrannt. Der
Soloabend an der Scala 2015 gehört zu den schönsten Momenten in meinem
Berufsleben.
Die Italiener haben Sie spätestens da adoptiert.
Natürlich hoffte ich, dass die Mailänder mich als deutschen
Puccini-Sänger akzeptieren würden. Immerhin hatte ich dort ja schon «Tosca»
gesungen. Aber auf eine derartige Begeisterung war ich nicht gefasst. Das
war ein Glücksgefühl, das ich nicht vergessen werde.
Sie sind
auf dem Zenit Ihres Schaffens. Ist das auch eine Belastung, oder überwiegt
die Leidenschaft am Gesang?
Leidenschaft, Liebe und Freude
sind ganz klar stärker als jede Art von Druck und Belastung. Aber ich muss
zugeben: Je höher man kommt auf der sogenannten Karriereleiter, desto dünner
wird die Luft und desto höher der Druck.
Und alles wird
sofort auf sozialen Medien ausgeschlachtet . . .
Im
Zeitalter von Smartphones, wo dein Konzert schon am nächsten Tag auf Youtube
gepostet wird, braucht es in der Tat gute Nerven in unserem Beruf.
Wenn Sie fünf Jahre vorausschauen: Wo sehen Sie sich da?
In einem schönen Opernhaus, in einer guten Inszenierung mit wunderbaren
Kollegen und einem Regisseur und einem Dirigenten, die das Beste aus uns
herausholen.
Sind das eher seltene Momente?
Es gibt solche Konstellationen, nicht allzu oft zwar, aber wenn es sie gibt,
spürt man, welch ungeheure Kraft Oper haben kann, wie sehr diese so oft
totgesagte Kunstform immer noch die Menschen bewegt.
Wann
dürfen wir Sie wieder in der Schweiz erleben an einem Konzert oder in einer
Oper?
Hoffentlich bald wieder. Aber Sie werden verstehen,
dass ich keine Nachrichten vorwegnehmen kann, die Opernhäuser oder
Konzertveranstalter annoncieren möchten.
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