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NZZ, 13.5.2016 |
von Marco Frei |
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Dieser Beruf ist nicht weichgespült
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Er ist Tenor – und ihm glückt, was zuvor nur wenigen gelungen ist: Jonas Kaufmann wird im italienischen Fach ebenso gefeiert wie als Wagner-Sänger. Wie schafft man es ganz nach oben an die Spitze? |
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Herr Kaufmann, bei einem Meisterkurs, den
der legendäre Wagner-Sänger Hans Hotter in den neunziger Jahren bei den
Strauss-Tagen in Garmisch leitete, wurden Sie ziemlich gerupft. Heute
gehören Sie zu den führenden Sängern unserer Zeit. War Hotters harte Kritik
rückblickend eine gute Schule, oder ist eine solche Pädagogik heute
überholt?
Vielleicht beides. Es gibt ja einige berühmte
Beispiele, denken Sie nur an Elisabeth Schwarzkopf: Ihre Meisterkurse
endeten meistens mit Tränen, aber manche haben auch profitiert. Ja, heute
geht man nicht mehr mit jungen Menschen auf diese Art um, aber ehrlich
gesagt: Unser Beruf ist nicht weichgespült. Wer nicht wirklich stark ist,
ein grosses Selbstbewusstsein hat und auch einmal Nein sagt, ist schnell
wieder weg. Auch ich beisse mir heute manchmal auf die Zunge, wenn bei einem
jungen Sänger zu viele Faktoren für eine gute Karriere nicht vorhanden sind.
Sagt man etwas, oder lässt man es bleiben? Das ist schwierig. Man muss es
klar sagen: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es nicht zu der
Karriere reicht, die der- oder diejenige sich erträumt.
Sollte
man auch klar sagen, dass der Preis für eine solche Karriere die Entbehrung
im Privaten ist?
Dieses Leben wirft auch seine Schatten, ja.
Natürlich muss ich meinen Kalender zücken, um mich mit Freunden zu treffen,
und auch eine Beziehung benötigt Zeit für das Miteinander. Ich stelle aber
immer wieder fest, wie sehr mich das gemeinsame Musikmachen erfüllt und mir
Energie schenkt. Auch das kann gefährlich sein, weil man in einen Strudel
gerät, der einen stets mit Glücksmomenten versorgt. Das kann Raubbau an der
Gesundheit betreiben, ohne dass man es merkt.
Mussten Sie
deswegen Anfang dieses Jahres Auftritte absagen und pausieren?
Nein, das hatte medizinische Gründe. Ich hatte ein Problem mit der Atmung,
und die Ärzte rieten mir dringend an, dies vollständig auszuheilen. Das habe
ich gemacht.
An der Staatsoper in München, Ihrer Heimatstadt,
gestalten Sie am Pfingstmontag Ihren ersten szenischen Walther von Stolzing,
die Tenor-Hauptrolle in Wagners «Meistersingern von Nürnberg». Viele Tenöre,
deren Stimme ähnlich baritonal grundiert ist wie die Ihre, meiden diese zum
Teil sehr hoch liegende Partie. Wie stehen Sie zu der Rolle?
Seit einer Umstellung in meiner Gesangstechnik 1996 habe ich in der Tat eine
dunklere Stimmfarbe. Aber nur weil ich dunkler klinge, heisst es nicht, dass
ich keine hohen Töne singen kann. Ausserdem ist Stolzing im Grunde nicht
sehr hoch gesetzt. Es kommt zwar ein hohes C vor, das ist allerdings mehr
ein Laut – ein Schrei, den man so hoch wie möglich singen soll. Das Problem
ist mehr, dass die Rolle im Passaggio-Bereich liegt – dem Registerwechsel.
Ich habe den Stolzing erstmals 2006 in Edinburg gesungen, konzertant.
Kürzlich habe ich mir einen Mitschnitt aus Edinburg angehört und war positiv
überrascht. Sicherlich werden jetzt manche Details anders sein, zumal in
München mit Generalmusikdirektor Kirill Petrenko ein Dirigent am Pult steht,
der in der Dynamik wahre Wunder vollbringt. Er schafft es, unerhörte Farben
aus dem Orchester herauszuholen.
Was schätzen Sie als Sänger an
Petrenko, der ja vor seiner Berufung zum künftigen Chef der Berliner
Philharmoniker vor allem als Operndirigent auf sich aufmerksam gemacht hat?
Das sind viele verschiedene Faktoren: Er hat eine positive Ausstrahlung,
freut sich über die Kreativität auf der Bühne. Und Petrenko ist ein
Perfektionist, aber kein Pedant. Er arbeitet sehr genau, würde selbst noch
fünf Minuten vor der Aufführung weitere Details herausarbeiten, wenn man ihn
liesse. In diesem Sinne ist er nicht zu «beruhigen». Am Abend aber ist er
mit dem zufrieden, was auf der Bühne geschieht – selbst wenn er noch weit
mehr im Kopf hat. Und er ist sehr aufmerksam, hört ganz genau zu, schaut und
spürt. Für mich gibt es unter den heutigen Dirigenten nur wenig
vergleichbare Beispiele, etwa Antonio Pappano (den Musikdirektor des
Londoner Royal Opera House Covent Garden und Leiter der Accademia Nazionale
di Santa Cecilia in Rom, Anm. d. Red.). Bei Pappano habe ich das Gefühl,
dass er Sänger auf Händen tragen kann, ohne seine eigene Idee zu vergessen.
Allerdings trennt die beiden der Zugang zum italienischen
Opernrepertoire, das für Sie selbst ja eine wichtige Rolle spielt. Petrenkos
Belcanto-Debüt 2015 mit Gaetano Donizettis «Lucia di Lammermoor» war,
gelinde gesagt, ausbaufähig. Ist das nicht gerade die besondere Stärke von
Pappano?
Klar, das ist Pappanos Repertoire. Aber er ist auch in
einem anderen Umfeld aufgewachsen. Pappano ist der Sohn von italienischen
Auswanderern, der Vater war selber Tenor und Gesangslehrer. Als Kind hat er
das ganze italienische Opernrepertoire gehört. Er kann das aus dem Bauch
heraus musizieren. Mag sein, dass Petrenko diese Musik vielleicht noch nicht
im Blut hat, aber er wird mit Sicherheit dahin kommen. Wenn er Wagner und
Richard Strauss dirigiert, ist das jedenfalls ausserordentlich
beeindruckend.
Als Petrenkos Vorgänger Kent Nagano, der heutige
Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, noch in München wirkte,
haben Sie unter seiner Leitung Wagners Lohengrin gesungen. Sind die
Unterschiede zwischen diesen beiden Künstlern eigentlich wirklich so gross,
wo doch beide einen besonderen Schwerpunkt auf das spätromantisch-moderne
Repertoire legen?
Das ist eine schwierige Frage. Von Nagano gab
es eine Äusserung, die mir gar nicht gefiel. Er könne sich nicht mit so
niederen Arbeiten beschäftigen wie dem Einsatzgeben oder sich um das
kümmern, was auf der Bühne geschehe. Er sei damit beschäftigt, den
Orchesterklang zu formen. Ich fand das sehr schade für den
Generalmusikdirektor eines grossen Opernhauses. Mit dieser Einstellung
sollte man vielleicht nicht unbedingt Oper machen. Petrenko ist immer mit
den Augen oben, verfolgt alles sehr genau.
Der Bariton Christian
Gerhaher arbeitet allerdings gern mit Nagano zusammen.
Und das
ist gut und richtig! Bei Nagano hält man sich mehr an Absprachen, und ich
kenne Kollegen, die genau das grossartig finden. Vielleicht weil sie nicht
so sehr den spontanen Moment mögen. Ich mag es, wenn etwas im Augenblick der
Aufführung entsteht. Petrenko lebt für den Moment auf der Bühne, was eben
nicht heisst, dass alles mechanisch genau sein muss. Mich stimmt es sehr
traurig, dass Petrenko der Oper den Rücken kehrt, wenn er zu den Berliner
Philharmonikern wechselt.
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