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Die Presse, 26.05.2015 |
von Wilhelm Sinkovicz |
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„Fidelio“: Beethovens Wahrheit
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Über die Herausforderung, einem Werk wie „Fidelio“ gerecht zu werden, standen Jonas Kaufmann (Florestan) [und Claus Guth (Regie)] Rede und Antwort. |
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Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Partie des
Florestan? Was macht die Partie schwierig, unangenehm, heikel?
Jonas Kaufmann: Die Partie ist zwar kurz, doch wegen der großen Szene im
zweiten Akt gehört sie zu den anspruchsvollsten Rollen in meinem Fach. Im
heiklen Schlussteil haben sich schon viele Tenöre versungen. Deshalb war ich
auch eher zurückhaltend, als Helmut Rilling sie mir angeboten hat, für eine
Serie von konzertanten Aufführungen beim Rheingau Musikfestival, in der
Stuttgarter Liederhalle und beim Beethovenfest in Bonn. Doch zu meiner
großen Freude wurde meine Stimme an den heiklen Stellen nicht enger, sondern
ging immer mehr auf. Das ist jetzt schon 13 Jahre her.
Beethoven
gilt allgemein als Komponist, der für Singstimmen recht instrumental
geschrieben hat.
„Er hat nix von Stimmen verstanden“, wird oft
lapidar behauptet. Doch dem könnte man entgegenhalten, dass eine emotionale
Extremsituation nicht einfach so mit links gesungen werden kann. Florestans
Vision vom rettenden Engel – „Zur Freiheit, zur Freiheit, ins himmlische
Reich“ – und die sich immer höher schraubenden Phrasen „Et vitam venturi“
der Chorsoprane in der „Missa solemnis“ haben für meine Begriffe eines
gemeinsam: Hier ist das Mittel der „Verzweiflung durch Unsingbarkeit“ Teil
des Konzepts. Nicht zu vergessen die große Arie der Leonore in der
Urfassung: Das ist dramatische Koloratur vom Allerschwierigsten! Die
Änderungen, die Beethoven an dieser Arie vorgenommen hat, sind eindeutig der
Theaterpraxis geschuldet.
Die Diskrepanz zwischen der Tatsache,
dass es hier gilt, einen seit Langem eingekerkerten Mann zu verkörpern, der
aber eine sehr kräfteraubende Arie gleich zu Beginn des zweiten Akts zu
bewältigen hat – wie geht man damit um?
Es ist wie bei allen
Extremsituationen auf der Bühne: Man muss im Vollbesitz seiner stimmlichen
und musikalischen Mittel sein, um diese Situationen und Figuren gestalten zu
können. Florestans „Gott! Welch Dunkel hier!“ ist eben kein Realismus,
sondern Opernrealität: Nicht der körperliche Verfall soll hier zu hören
sein, sondern der Seelenzustand des Verzweifelten, seine ekstatische Vision
von Rettung und Befreiung. Genauso ist der erste Ton dieser Szene, das aus
dem Nichts kommende, immer stärker und dringlicher werdende „Gott!“ der
Aufschrei der gequälten Seele – aber eben kein naturalistischer, sondern ein
musikalischer Aufschrei, der größte stimmlich-technische Kontrolle
erfordert. Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem Crescendo gearbeitet habe.
Jedenfalls hat es lang gedauert, bis es so klang, wie ich mir es vorgestellt
habe. Nur sollte das Publikum bei solchen Phrasen nicht denken: „Toll, wie
der das kann!“, sondern immer mit der dargestellten Person fühlen. Und das
ist die große Herausforderung in unserem Beruf: Ganz in eine Figur
hineinzuschlüpfen und trotzdem immer die Kontrolle darüber zu haben, was man
als Sänger und Darsteller tut. Karajan nannte das „kontrollierte Ekstase“.
Wie teilen Sie sich Ihre Aufgaben übers Jahr ein – gibt es Rollen,
die man quasi zur Entspannung der Stimme singt zwischen heldischeren,
schwierigeren Aufgaben?
Grundsätzlich sehe ich zu, dass ich mein
Repertoire so vielseitig wie möglich gestalte: Oper und Lied, Wagner und
Verdi, Massenet und Strauss, dramatisch und weniger dramatisch. Das hält
mich in jeder Hinsicht flexibel, sprachlich, stilistisch, musikalisch und
auch stimmlich. Auch innerhalb meiner Konzerte achte ich auf eine gute
Mischung. Zum Beispiel bei meiner Tournee mit den Tenorschlagern von Richard
Tauber und Joseph Schmidt: Statt den ganzen „Puccini-Lehár“ von „Dein ist
mein ganzes Herz“ bis „Freunde, das Leben ist lebenswert“ hintereinander zu
schmettern, habe ich dazwischen Stücke gesungen, die ganz intime, zärtliche
und leise Töne erfordern, wie z. B. „Schatz, ich bitt dich, komm heut’
Nacht“ oder „Frag nicht, warum ich gehe“. Das kann man nicht ins Publikum
schmettern, und deshalb habe ich für diese chansonartigen Evergreens ein
Mikrofon benutzt. Was nicht zwangsläufig heißt, dass die leisen Stücke
leichter sind als der „Puccini-Lehár“. Easy Listening, ja – aber nicht
unbedingt Easy Singing! Doch die Mischung so unterschiedlicher Stücke hält
die Stimme geschmeidig, davon bin ich überzeugt.
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