Bunte, 44/2015
Interview: Claus Dreckmann
 
 
Warum sind Tenöre so erotisch?
JONAS KAUFMANN spricht darüber, wie es ist, Objekt der Begierde zu sein - und über seine zwei größten Krisen
 
Auf Klassikfans übt er eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus: Jonas Kaufmann, 46. Das smarte Aussehen paart sich bei dem Startenor mit einer Ausnahmestimme. Gerade wurde er mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet - zum sechsten Mal
BUNTE verrät er, warum er manchmal gern "Objekt der Begierde" ist und was die Tenorstimme so erotisch macht. Wer daran zweifeln sollte, kann sich davon auf Kaufmanns neuer CD "Nessun Dorma-The Puccini Album" überzeugen...

Sie singen Puccini, Verdi, Wagner, Strauss Johann, Strauss Richard, Schubert, Massenet, Mahler, Lehar... Wie schaffen Sie es, so unterschiedlichen Komponisten auf höchstem Niveau gerecht zu werden?

Wenn Zuhörer finden, dass ich unterschiedlichen Stilen und Sprachen gerecht werde, dann freut mich das sehr. Ich möchte diese Vielseitigkeit so lange pflegen, wie es mir stimmlich möglich ist, und ich denke, dass es gerade diese Mischung von teilweise sehr unterschiedlichem Repertoire ist, die die Stimme flexibel hält. Jedenfalls habe ich immer wieder festgestellt, dass eine Wagner-Partie davon profitiert, wenn ich vorher Verdi oder Puccini gesungen habe - und umgekehrt.

Welche Musik ist Ihnen lieber: Puccini oder Wagner?

Ich möchte keine von beiden missen. Sowohl Wagners wie auch Puccinis Musik haben eine ungeheure Sogkraft, der man sich als Hörer kaum entziehen kann. Beide Komponisten haben sehr auf die sinnliche Wirkung ihrer Musik gesetzt, beide haben es meisterhaft verstanden, das Seelenleben ihrer Figuren sinfonisch zu illustrieren. Wobei Puccinis Werke sicher noch "filmischer" sind. Nicht umsonst assoziiert man mit seinen Opern oft Filmmusik. Er hat Bilder mit Musik gemalt.

Die ewige Streitfrage: Wie wichtig ist das Aussehen eines Sängers?

Dass im Zeitalter von Opernübertragungen im Kino und Fernsehen und auf DVD das Aussehen von Sängern wichtiger geworden ist, erscheint mir logisch, und wenn Sänger deswegen mehr auf ihre Figur achten, dann ist das nur okay. Wenn aber
erstklassige Sänger durch mittelmäßige ersetzt werden, weil Erstere weniger "telegen" sind, und wenn mehr nach optischen als nach stimmlichen oder musikalischen Kriterien besetzt wird, dann ist für mich die Schmerzgrenze erreicht. Und grundsätzlich sind die Kriterien der optischen Glaubwürdigkeit in der Oper ja andere als im Film. Eine 15-jährige Butterfly oder eine l7-jährige Salome kann es im Film geben als Schauspiel-Double für eine erfahrene Sängerin, aber nicht live auf der Bühne.

Nervt es Sie, als Startenor immer auch "Objekt der Begierde" zu sein? Oder ist das ein Klischee von vorgestern?

Es nervt mich dann, wenn es nur um mein Aussehen geht und nichts mit meiner Stimme und Darstellung zu tun hat. Nicht nur in Aufführungen, auch in Konzerten möchten wir Sänger doch in erster Linie wegen unserer Leistung geschätzt und begehrt werden. Wenn ich als Sänger und Darsteller "Objekt der Begierde" bin, dann nehme ich das als Kompliment.

Was macht die Erotik der Tenorstimme aus?

Das haben sich schon Philosophen wie Ernst Bloch gefragt, der den Tenor als "singendes Erotikon" beschrieben hat. Hat es in erster Linie damit zu tun, dass die romantischen Liebhaber meist für die Tenorstimme geschrieben wurden? Dem müsste man entgegenhalten, dass viele berühmte Tenöre optisch nicht gerade der Typ des Latin Lover waren. Also muss es doch in erster Linie mit dem Klang zu tun haben, vor allem mit der Klangentfaltung in der Höhe.

Gibt es bei modernen Inszenierungen Grenzen? Würden Sie aussteigen, wenn Ihnen etwas total gegen den Strich geht?

Die Grenze wäre dann erreicht, wenn Musik und Text in keiner Weise respektiert werden und der Regisseur nur darauf abzielt, einen Skandal zu provozieren, um möglichst viel Aufmerksamkeit von der Presse zu bekommen. Dann würde ich versuchen, dem etwas Konstruktives entgegenzusetzen. Natürlich gibt es Situationen, da ist man derart genervt, dass man am liebsten aussteigen würde. Aber wer aussteigt, kann nichts mehr ändern, geschweige denn retten. Deshalb bin ich sehr dafür, immer erst das Gespräch mit dem Regisseur zu suchen, um zu schauen, ob man nicht doch einen gemeinsamen Weg findet.

Können Sie sich vorstellen, einmal ohne das große Publikum, den großen Applaus zu leben?

Ganz bestimmt! Ich war ja zweimal so weit, dass ich überlegen musste: Wie wäre das Leben ohne Bühne? Das war während meiner Anfängerkrise in Saarbrücken, wo mir auf der Bühne in einer kleinen Partie die Stimme wegblieb, und im Juni 2012, als ein Infekt derart hartnäckig war, dass ich zwei Monate Auszeit nehmen musste. In beiden Fällen habe ich mir gesagt: Wenn es mit dem Singen nicht mehr geht, dann machst du halt etwas anderes.

Sie haben erneut einen ECHO Klassik gewonnen. Können Sie sich über solche Preise noch freuen?

Aber ja! Solche Auszeichnungen sind die Anerkennung meiner Arbeit. Wer würde sich darüber nicht freuen?









 
 
  www.jkaufmann.info back top