Tages Anzeiger, 10.10.2014
Von Susanne Kübler
 
 
«Wie Kaugummi im Kopf»
Jonas Kaufmann zum Mitsummen: Der Startenor entdeckt auf seiner neuen CD die leichte Muse und singt über Diwanpüppchen und ein Stelldichein im Mondenschein.
 
Wer hätte das gedacht: Jonas Kaufmann singt Schlager.

Ach, das hat mir immer so ein bisschen in der Nase gesteckt. Ich bin ja damit aufgewachsen, meine Grossmutter hat diese Melodien permanent gesungen. Sie kannte ein paar Opernarien, auf Deutsch – «Che gelida manina» hiess da «Wie eiskalt ist dies Händchen». Und ansonsten eben solche Operettenschlager. Ich habe mich immer schon gewundert, warum die so total aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind.

Und jetzt wollen Sie sie da wieder reinbringen?

Das geschieht von selbst! Diese Melodien kleben wie Kaugummi im Kopf, die gehen überhaupt nicht mehr raus. Im Aufnahmestudio haben alle ständig vor sich hingesummt. Ich bin übrigens auch nicht der Erste oder Einzige, der diese Musik singt; Anna Netrebko oder Piotr Beczala tun das auch. Und in der italienischen Tradition – von Caruso über Gigli bis Pavarotti – gehörte die leichtere Muse immer dazu.

Aber es braucht schon ein wenig Mut, sich damit einem Publikum zu präsentieren, das Sie für Ihren Wagner liebt.

Ich habe einmal bei einem Open-Air-Konzert «Dein ist mein ganzes Herz» als Zugabe gesungen, und das hat toll funktioniert. Die Leute waren wirklich berührt, nicht nur die älteren, die das vielleicht von früher kannten.

Berührt? Oder amüsiert? Viele Texte dieser Schlager kann man heute nur noch ironisch hören.

Die waren ja auch so gemeint. Denken Sie an «Im Traum hast du mir alles erlaubt» oder das «Diwanpüppchen» – da wurde exakt der Grenze entlang ausprobiert, wie weit man gehen kann. Das war offenbar en vogue damals, dass man mit einem Augenzwinkern kleine Frivoli­täten eingebaut hat; man hat durch die Blume alles gesagt, ohne es wirklich zu sagen. Später hat sich das dann erübrigt, die Texte wurden konkreter, aber eben auch weniger charmant.

Die Sänger dieser Schlager damals waren oft auch Filmstars: Richard Tauber, Joseph Schmidt.

In der Anfangszeit des Tonfilms lag es eben nahe, dass man Musik einbeziehen wollte. Und da gab es diese Tenöre, die jeden Sonntagvormittag im Radio gesungen haben und deren Stimmen viele Tausend Leute kannten: Denen konnte man im Film ein Gesicht geben. So wurden sie das, was man heute Hollywoodstars nennen würde; manche gingen ja auch tatsächlich nach Hollywood, nachdem die Nazis sie vertrieben hatten.

Haben Sie selbst auch Filmambitionen?

Nicht wirklich. Aber es kamen immer wieder Angebote, und jetzt habe ich tatsächlich mal eine winzige Rolle übernommen: In Michael Sturmingers Film «Casanova Variations» mit John Malkovich, der soeben in Spanien Premiere hatte. Es gibt darin viele musikalische Nummern, und ich spiele einen Widersacher von Casanova. Das war eine sehr schöne und witzige Erfahrung, und ich könnte mir vorstellen, mal eine grössere Rolle anzunehmen, wenn ich die Zeit finde. Aber mein Hauptgeschäft wird das sicher nicht.

Gibt es denn noch Herausforderung in Ihrem Hauptgeschäft? Als Tenor haben Sie alles erreicht, was man erreichen kann.

So würde ich es nicht sagen, ich habe schon noch Ziele. Aber manche Dinge müssen reifen. Ich kann nicht sagen: Ich würde gern den Tristan singen, also mache ich das gleich morgen. Man muss allem seine Zeit lassen.

Und diese Zeit vertreiben Sie sich mit Experimenten?

Genau, da unterhalte ich mich einfach auf andere Weise. Das Schlimmste wäre ja, dass es einem langweilig würde, weil man immer dasselbe macht. Oder man den Eindruck hat, immer dasselbe zu machen.

Was bedeuten denn diese Ausflüge in andere Genres für die Stimme?

Es gibt ja offenbar die verbreitete Meinung, dass man als Opernsänger wie ein Opernsänger klingen muss, sobald man den Mund aufmacht. Aber ich habe natürlich auch die Stimme, mit der ich meinen Kindern Schlaflieder vorgesungen habe, oder jene, mit der ich eine Melodie vor mich hermurmle. Das wäre ja schlimm, wenn ich das jedes Mal in voller Lautstärke machen müsste. Nun ging es darum, diese weicheren, leichteren Stimmen auch öffentlich zu verwenden – das war gar nicht einfach zunächst, aber es hat sich schnell eingespielt.

Stichwort eingespielt: Sie haben ebenfalls kürzlich die «Winterreise» auf CD herausgebracht, mit dem Pianisten Helmut Deutsch. . .

. . . der im Studium in München mein Professor war. Wir kennen uns jetzt fröhliche 23 Jahre.

Hier wird das «immer Gleiche» nicht langweilig?

Ich sage es gern immer wieder: Das Lied ist die Königsdisziplin für einen Sänger. Da ist man ganz auf sich selbst gestellt, kann also – positiv formuliert – alles selbst bestimmen. Man kann auch spontan gestalten, weil man sich anders als bei grossen Besetzungen nicht an vorherige Absprachen halten muss. Wenn man dann einen Pianisten an der Seite hat, der einen gut kennt und den gleichen Geschmack hat, kann der einen selbst während einer Aufführung noch mit neuen Ideen versorgen.

Und negativ formuliert?

Ist man total beobachtet. Das Publikum merkt es sofort, wenn man auch nur für einen Moment aus der Rolle respektive der Interpretation fällt. Auf einer Opernbühne kann man auch mal 15 Sekunden privat sein, wenn man es braucht und gerade ein anderer im Zentrum steht; bei einem Liederabend geht das nicht.

A propos Oper: Das Zürcher Opernhaus war mal eine Art Heimat für Sie. Gibt es Chancen für eine Rückkehr?

Hmm, ich fürchte eher nicht. Es gibt zwar immer wieder Annäherungsversuche und Gespräche, aber wenn ich die ganz grossen Häuser bedienen will, also die Met, die Scala, Covent Garden, Paris, Wien, München, ein bisschen Berlin und Salzburg – dann ist das Jahr opernmässig voll. Ich versuche ja viele Konzerte zu machen, und da käme Zürich sicher infrage, vielleicht auch für zwei oder drei Aufführungen eines Stücks. Aber für eine Neuproduktion reichts zeitlich wahrscheinlich nicht mehr.







 
 
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