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Abendzeitung, 14.11.2014 |
Robert Braunmüller |
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Jonas Kaufmann über Puccinis "Manon Lescaut" in der Regie von Hans Neuenfels an der Bayerischen Staatsoper
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Warum Anna Netrebko hinwarf |
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Jonas Kaufmann verteidigt Regisseur Hans
Neuenfels und erklärt, warum Anna Netrebko aus der Neuinszenierung von
Puccinis „Manon Lescaut“ ausgestiegen ist
Am Samstag
knistert die Luft in der Bayerischen Staatsoper. Um 19 Uhr beginnt die
Premiere von Puccinis „Manon Lescaut“. Anna Netrebko ist zwei Wochen vor der
Premiere ausgestiegen, weil sie sich mit dem Regisseur Hans Neuenfels nicht
über die Deutung der Titelrolle einigen konnte. Kristine Opolais übernimmt
die Partie, Jonas Kaufmann singt den Des Grieux, Bayreuths neuer
„Lohengrin“-Dirigent Alain Altinoglu hat die musikalische Leitung. Alle
Vorstellungen sind seit langem ausverkauft.
AZ: Herr
Kaufmann, wie haben Sie den Ausstieg von Anna Netrebko aus der Inszenierung
erlebt?
JONAS KAUFMANN: Ich denke, dass
einfach die Chemie nicht gestimmt hat. Ich kenne Hans Neuenfels schon lange.
Es schockiert mich nicht, wenn er manchmal hinter einer Fassade
verschwindet. Denn ich weiß, wie viel Geist, Wissen und Theatererfahrung
dieser Mann besitzt. Dazu kam die Sprachbarriere: Anna Netrebko und
Neuenfels konnten sich nur mit Hilfe von Übersetzern verständigen. Da kommt
leicht einmal nicht herüber, was man eigentlich sagen möchte – und zwar in
beiden Richtungen.
Auch Sie haben in Neuenfels’ Bayreuther
„Lohengrin“ nur ein Jahr gesungen.
Das hatte nichts mit der
Inszenierung zu tun. Die Probenphasen für die Wiederaufnahme im folgenden
Jahr wurden so verändert, dass ich für die Proben andere Aufführungen hätte
absagen müssen. Das war der Grund für meinen Ausstieg.
Mag
Ihre Kollegin vielleicht kein Regietheater?
Anna Netrebko
hat damit kein grundsätzliches Problem. Sie hat ja auch in Martin Kusejs
„Macbeth“ gesungen. Sie ist für viel Verrücktes zu haben. Aber in dieser
Produktion hat sie sich nicht zu 100 Prozent wohlgefühlt.
Lief für Sie alles glatt?
Anna Netrebko und ich hatten
Probleme mit der Akustik des Bühnenbilds, die letztendlich gelöst wurden.
Bis zum Schluss wurden einzelne Szenen neu gestaltet. Die Bayerische
Staatsoper ist mein Stammhaus. Ich wollte mir nicht nehmen lassen, den Des
Grieux hier zu präsentieren.
Nun mit einer neuen Partnerin –
Kristine Opolais.
Das ist ein Glücksfall. Sie war in New
York für eine Wiederaufnahme von „La Bohème“ engagiert und wurde vom
Intendanten freigegeben. Ich habe mit Kristine Opolais in Puccinis „Manon
Lescaut“ in London gesungen. Die Rolle passt ihr wie ein Handschuh. Und sie
gibt auf der Bühne alles.
Hätte Nikolaus Bachler nicht früher
eingreifen müssen?
Der Intendant sammelt alle Ingredienzien
für die Aufführung und bringt sie an einen Tisch. Wenn er in jede Suppe
spuckt, könnte er gleich selbst singen, dirigieren und inszenieren. Er muss
allen Beteiligten vertrauen. Natürlich kommt irgendwann der Punkt, an dem
ein Intendant auch „Stop!“ rufen muss. Das hat Nikolaus Bachler auch
gemacht. Aber ich verstehe, dass er gezögert hat, in einen künstlerischen
Prozess einzugreifen. Die Kunst muss sich weiterentwickeln, nicht nur im
Kreis um sich selbst drehen.
In Neuenfels’ Bayreuther
„Lohengrin“ waren Ratten der Aufreger. Kommen in „Manon Lescaut“ auch Tiere
vor?
Tiere nicht. Aber seltsame Gestalten. Aber damit
rechnet eigentlich jeder, der Hans Neuenfels kennt. Die Inszenierung ist
eher reduziert, mit gelegentlich befremdlichen Elementen. Man kann das mögen
oder nicht mögen. Aber es hilft, wenn der Zuschauer mal verschnaufen möchte,
ehe er sich wieder auf Puccinis Gefühlswelt fallen lässt.
Um
welche Gefühle geht es da?
Die Leidenschaft von Des Grieux
für Manon geht bis zur Selbstzerfleischung. Er ist ihr verfallen, fast wie
ein Süchtiger. Dabei wird er von ihr ständig zurückgewiesen, betrogen,
verlassen und hintergangen. Trotzdem kehrt er wie ein Hünchen brav zu ihr
zurück. Das hat etwas Pathologisches, aber es ist auch etwas, das im Leben
vorkommt. Da kenne ich Opernfiguren, die sich unwahrscheinlicher verhalten.
Erkennen Sie sich da wieder?
Jeder von uns war
mal über beide Ohren verliebt und hatte das Gefühl, er könne im Leben alles
erreichen, wenn nur dieser geliebte Mensch da wäre. Das steckt in jedem von
uns. Aber so krankhaft einer Frau verfallen war ich noch nie.
Warum kommt Des Grieux von Manon nicht los?
Sie hat
viel Charme. Wenn sie die Angel auswirft, spürt sie genau, wenn ein Mann
zubeißt. Dann zieht sie gnadenlos an. Puccini war noch jung, als er diese
Oper komponierte, aber er muss in seinem Privatleben schon einige
Erfahrungen gemacht haben. Diese Manon ist unglaublich realistisch.
Am Beginn soll sie ins Kloster gesteckt werden.
Ihr
Vater dachte, nach einem allzufrühen und allzu lasterhaften Lotterleben sei
es das Beste, bevor das Mädchen noch schwanger wird. Des Grieux, den sie bei
der Rast auf einer Poststation kennenlernt, ist ihre letzte Chance. Sie
nimmt, was kommt. Aber sie liebt ihn am Ende des Tages dennoch. Im zweiten
Akt, wenn sie im Luxus lebt, erinnert sie sich doch an ihn.
Hans Neuenfels blendet gern kommentierende Texte in seinen Inszenierungen
ein. Auch bei „Manon Lescaut“?
Es gibt einen deutschen
Zwischentext zum Intermezzo. Allerdings sollte man wissen, dass ein
ähnlicher Text vor dem Zwischenspiel in den Noten steht. Wie das Publikum
früher davon erfahren hat, weiß ich nicht, vielleicht stand das auch in den
alten Textbüchern.
Rechnen Sie mit Buhs für den Regisseur?
Irgendwie schon. Ich habe vor fünf Jahren die Premiere von „Lohengrin“
in der Inszenierung von Richard Jones in München gesungen. Da gab es
hinterher auch sehr heftige Publikumsreaktionen. Aber schlimmer wird es
gewiss nicht werden.
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