Max Joseph, Magazin der Bayerischen Staatsoper
Interview: Thomas Voigt
 
Anja Harteros und Jonas Kaufmann gelten weltweit als Traumpaar der Bühne. Thomas Voigt traf die Sopranistin und den Tenor vor der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis La forza del destino. Ein Dialog über das Schicksal, Partnerschaft auf der Bühne und die Erotik des Singens.
 
"Wie Bonnie und Clyde"
MAX JOSEPH Gleich ein Härtetest: Wie lässt sich in wenigen Sätzen die Handlung von Verdis La forza del destino beschreiben?

ANJA HARTEROS Am Anfang gibt's eine Leiche.

JONAS KAUFMANN Eine Situation fast wie im Don Giovanni.

AH Stimmt, beide Male stirbt der Papa.

JK Der nicht will, dass seine Tochter mit "so einem" was anfängt.

AH Aber im Gegensatz zu Don Giovanni stellt der alte Marchese nicht den Vergewaltiger seiner Tochter, sondern überrascht seine Leonora dabei, wie sie mit einem Mischling durchbrennen will.

JK Dieser Mann heißt Alvaro. Und dass der Alte stirbt, ist diesmal nicht Mord, sondern ein Unfall. So steht es zumindest im Text. Alvaro lässt seine Waffe fallen, und beim Aufprall löst sich ein Schuss, der ausgerechnet den Marchese trifft.

AH Leonoras Bruder Carlos aber glaubt, dass die beiden den Alten auf dem Gewissen haben.

JK Deshalb sind sie fortan auf der Flucht. Wie es das Schicksal will, werden Carlos und Alvaro im Kriegsgetümmel dickste Freunde, natürlich ohne sich zu erkennen. Dass das Ganze nicht gut ausgeht, kann man sich denken.

MJ Sind Il trovatore und La forza del destino nicht Geschwister? Beide Stücke spielen in Spanien, beide Male heißt die Protagonistin Leonora, beide Male handelt es sich um eine tragische Familiengeschichte, aus der es kein Entrinnen gibt.

JK Deshalb finde ich es gut, dass wir hier in München beide Opern innerhalb kurzer Zeit machen. Im November ist die Wiederaufnahme des Trovatore, und gleich danach geht's weiter mit den Proben für Forza.

MJ Ist La forza del destino ein Rückschritt in Verdis künstlerischer Entwicklung?

AH Vielleicht dramaturgisch wegen deutlicher Längen im Vergleich zu Trovatore, aber nicht musikalisch. Da gibt es
derartige Schätze, bei den Arien genauso wie in den Ensembles.

JK Seit Beginn des Verdi-Jahres habe ich mich immer wieder mit der großen „Schicksals-Arie" des Alvaro beschäftigt. Das ist eine der anspruchsvollsten und tollsten Szenen, die Verdi für Tenor geschrieben hat, und ich finde, dass sie in Verdis Schaffen musikalisch ganz stark nach vorne weist, nämlich in Richtung von Don Carlo und Aida.

MJ Was bedeutet für Sie Schicksal? Ist alles vorbestimmt? Was macht jemanden zu dem, was er ist?

JK Natürlich gibt es so etwas wie Mächte und Kräfte, gegen die keiner ankommt. Die sogenannten Schicksalsschläge kennen wir alle. Doch wenn jemand an so etwas wie Schicksal glaubt, glaubt er nicht an sich selbst. Deshalb halte ich viel mehr von dem Spruch „sein Schicksal selbst in die Hand nehmen".

AH Du sprichst jetzt von Karriere?

JK Nicht nur! Aber wenn wir es am Beispiel Karriere diskutieren wollen: Diese setzt sich aus vielen Komponenten
zusammen, und dazu gehört auch das Glück. Wenn ein Künstler schicksalsgläubig ist und sagt: „Ich kann ohnehin nichts beeinflussen, es ist ja alles, was mir widerfährt, schon von Gottes Hand geplant", dann entzieht er sich für meine Begriffe der Eigenverantwortung. Ich denke schon, dass es so etwas wie Schicksal gibt, aber es gibt genauso oft auch Situationen, die man einfach aktiv nutzen muss, eben die viel zitierten „Chancen".

AH Das sagt jetzt der Tenor, der auf dem totalen Höhenflug ist. Dir hat der liebe Gott eine tolle Stimme gegeben, du siehst super aus, bist begehrt - nein, du hast das natürlich alles selbst erarbeitet, klar!

JK (lacht laut)

AH Natürlich musstest du auch arbeiten, aber die meisten müssen noch viel mehr arbeiten, um nur die Hälfte dessen zu schaffen, wenn überhaupt. Also, Schicksal: Viele fangen ja an, an das Schicksal zu glauben, nachdem etwas Schlimmes passiert ist, längere Krankheit, Verlust eines geliebten Menschen oder Ähnliches. Und in solchen Situationen fragt sich jeder: Warum passiert mir das, womit habe ich das verdient?

JK Da spielen auch Glaube und Aberglaube stark mit hinein. Not lehrt beten, heißt es, und das bewahrheitet sich immer nach besagten Schicksalsschlägen. In manchen Teilen der Erde ist der Begriff „Schicksal" ja derart belastet, dass man ihn nicht beim Namen nennen darf. Zum Beispiel darf man in Italien nach wie vor Verdis Oper nicht mit vollem Namen aussprechen Man sagt nur „La: forza del" und möchte nicht „destino" in den Mund nehmen, denn das allein könnte einem schon Pech bringen. Aber für mich ist Schicksal nicht nur etwas Negatives. Das Wort beinhaltet auch unverhofftes Glück.

AH Ich habe früher genauso gedacht wie du, aber inzwischen bin ich überzeugt, dass wir vieles nicht in der Hand haben.

JK Ich denke, unsere Standpunkte sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Glaube an die göttliche Vorsehung in Ehren, aber es darf nicht zu einem Fatalismus führen, nach dem Motto: Alles ist vorbestimmt, ich kann ja doch nichts machen. Also unreflektiertes Sich-Fügen ins Schicksal, als Ausrede für Untätigkeit - das kann ich nicht akzeptieren.

AH Antrieb ist schon gut. Aber auch das ist eine Art Begabung, das ist manchen mehr gegeben als anderen.

MJ Da sind wir in der Begabungsdiskussion. Ist Begabung wirklich zu 100 Prozent ein Geschenk der Natur?

AH Ja, definitiv!

JK Ich glaube schon, dass es eine Kombination ist. Es gibt mit Sicherheit sehr viele Menschen, die von Natur aus wesentlich mehr begabt sind für unseren Beruf als wir -nur haben sie nie Kontakt zur klassischen Musik gefunden, geschweige denn die Chance gehabt, in diesem Metier etwas zu werden. Um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Zu werden, was man ist, ist eine Kombination von Geschenken der Natur und den Lebensumständen, in denen man groß geworden ist. Auf unseren Beruf bezogen: Du kannst vom lieben Gott das schönste Instrument bekommen haben, aber es hilft dir gar nichts, wenn du nicht lernst, damit Musik zu machen.

AH Man kann mit Fleiß sehr viel erreichen, aber man kann nicht fehlendes Talent durch Fleiß erwerben. Entweder bist du begabt oder nicht.

MJ Ein Beispiel für den positiven Begriff von Schicksal: Sie beide haben sich künstlerisch gefunden.

AH Na, da wird mir ja ganz warm ums Herz. (lacht)

MJ Wo haben Sie sich kennengelernt?

JK Wie hatten unser gemeinsames Debüt in Frankfurt, in Cosi fan Cutte.

AH Und du warst fürchterlich! Total arrogant! Aber gesungen hast du gut. - Nein, Jonas hat der Erfolg gut getan. Als es
richtig losging mit seiner Karriere, da fiel jede Pose von ihm ab. Weil er dort angekommen war, wo er hingehört.

MJ Als nächste gemeinsame Oper kam die Lohengrin-Inszenierung in München. Da waren Sie ein Herz und eine Seele. Zumindest beim Singen.

JK Ich denke, da haben wir im gleichen Moment gespürt: So kann es sein, wenn man sich gegenseitig inspiriert und sich gemeinsam immer mehr steigert. Wenn man Anja Harteros neben sich hat, die auch technisch alles umsetzen kann, dann kann man auch mal riskieren, die wunderbaren Piano-Phrasen in den Don Carlo-Duetten so leise und innig wie möglich zu singen. Und wennjemand dazu noch dieselbe Freude an solchen Feinheiten hat, dann ist das schon etwas Außergewöhnliches, und das überträgt sich auch aufs Publikum.

AH Die Freude, das Gönnen-Können - und auch das Vertrauen! Bei Jonas hab ich immer das Gefühl, dass er nie seinen Stiefel durchzieht, sondern immer auch für mich da ist. Und so etwas ist selten in unserem Beruf. Umso desillusionierender ist, wenn man bei Proben einen Zustand von Spannung erreicht, wie zum Beispiel im 2. Akt von Don Carlo, und den Moment erreicht, wo es wirklich knistert - und dann fährt der Regisseur dazwischen und sagt: „Mehr nach links!" Das ist der Interruptus schlechthin.

JK Ich denke, dass unser Instinkt für emotionale Spannungen sehr ähnlich ist, deshalb schaffen wir in solchen Schlüssel-Szenen wie im 2. Akt von Don Carlo auch diese Bilder, die eben nicht allein der Regie zu verdanken sind. Und wenn jemandem diese Art von Emotion zuwider ist und er nachdrücklich dagegen arbeitet, dann hat man eben einen Partner neben sich, der einen versteht. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Gott sei Dank sind wir beide in der glücklichen Lage, dass wir unsere Arbeitsbedingungen positiv beeinflussen können. Wir können, um zum Thema zurückzukommen, unser Schicksal durchaus selbst gestalten und auch aktiv beitragen zu unserem Glück. Und die guten Intendanten begreifen auch, dass das auch ein Schlüssel zum Erfolg ist.

MJ In La forza del destino haben Sie ja leider nicht so viel miteinander zu tun: nur ein kurzes Duett vor dem Unfall und dann erst wieder beim finalen Terzett, wenn Leonora schon im Sterben liegt.

JK Dazwischen sind wir auf der Flucht. Das ist bei uns wie bei Bonnie und Clyde: Wenn man uns zusammen sieht, hat man uns auch schon erwischt. Und bei aller Liebe zu Anja: In dieser Oper ist für mich der Baritonpartner viel wichtiger. In München habe ich das Glück, einen der großartigsten Baritone der Zeit an meiner Seite zu haben: Ludovic Tézier.

AH Ich bin sehr gespannt auf diese Neuproduktion, meine erste Arbeit mit Martin Kušej. Und ein bisschen Bammel habe ich schon. Ich habe seinen Don Giovanni in Salzburg gesehen, und offenbar liebt er es, die Sänger körperlich vorzuführen, und das ist, ehrlich gesagt, nicht so mein Ding.

JK Ich habe mit Martin Kušej vor fünfzehn Jahren Fidelio in Stuttgart gemacht, damals noch als Jaquino, und ich war beeindruckt, wie er es immer wieder geschafft hat, uns von Dingen zu überzeugen, die auf den ersten Blick nicht plausibel wirkten. Danach habe ich einige Inszenierungen von ihm gesehen, besonders stark fand ich seine Produktion von Franz Schrekers Die Gezeichneten.

MJ Zurück zum Gesang: Inwiefern gehört zur musikalischen Harmonie auch die Sinnlichkeit?

AH Gutes Singen ist Erotik, und das nicht nur beim Liebesduett! Jonas ist ein hocherotischer Typ, das ist für eine Partnerschaft auf der Bühne wunderbar. Und wenn er davon auch ein kleines bisschen spürt, was mich angeht, fände ich das ganz klasse.

JK (mit der Stimme von Horst Schlämmer) Wir spreschen dann später, Schätzelein!

AH Bei einem gemeinsamen Don Giovanni in New York sagte René Pape zu mir: „Du hast eine so erotische Stimme!" Das habe ich mir gemerkt, weil es mir so gut getan hat, und darum gebe ich es gerne auch weiter.

JK Früher hat man das „Leib-Anschluss" genannt, dass man eben auch aus dem Bauch heraus singt, wenn nicht aus noch tieferen Regionen. Sowohl technisch wie auch emotional. Geist, Seele und Körper sind halt beim Singen derart verbunden, wie man es vielleicht nur noch von intensiven erotischen Erlebnissen kennt. Deshalb verlangt. das Singen ja auch einen gewissen Exhibitionismus. Denn solche Erlebnisse werden normalerweise ja eher zu zweit genossen und nicht vor Millionen von Zuschauern.

AH Stimmt. Aber es kann auch eine sehr verinnerlichte Sache sein, ich singe auch gern mit dir ohne Zuschauer.

JK Ich möchte noch etwas sagen zum sogenannten Regietheater. Ich habe erlebt, dass sich Kollegen gegen ein Regiekonzept gewehrt haben, ohne eine Alternative vorzuschlagen. Und ich finde: Mit bloßer Verweigerung kommt man da nicht weiter. Sondern nur, indem man etwas anderes vorschlägt. Man sollte eben auch selbst kreativ werden, und in den meisten Fällen funktioniert es. Auch da kann man sein Schicksal sehr wohl selbst in die Hand nehmen.






 
 
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