Rondo Magazin, Februar 2013
Von Barbara Doll
 
Jonas Kaufmann - Wagner heißt nicht immer: laut 
 
Eines hat der Tenor Jonas Kaufmann früh begriffen: „Man ist weder unverletzlich noch unersetzlich.“ So lässt es sich entspannter singen, auch auf der neuen Wagner-CD.
 

RONDO: Wie bringt man sich denn in einem Aufnahmestudio in Wagner-Stimmung?

Jonas Kaufmann: Da bekommt man schon allein durchs Zuhören das richtige Maß an Adrenalin. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin trifft als Opernorchester eben sofort die richtige Stimmung. Und ich war total begeistert vom Aufnahmesaal! Das war der Große Sendesaal des Ostdeutschen Rundfunks in Berlin-Köpenick; ein halb verwildertes Gelände mit verwaisten Häuserblocks. Der Saal ist total eingewuchert und man kann gar nicht zu den Fenstern raus sehen. Aber die Akustik: genau für diesen Zweck gemacht. Kein trockener Studiocharakter, aber auch kein Konzertsaal. Fünf oder sechs leicht ansteigende Sitzreihen, man sitzt im Kreis zueinander und macht für sich Musik – faszinierend.

Auf Ihrer neuen CD singen Sie Arien aus Rienzi, Lohengrin, der Walküre, Siegfried, den Meistersingern, Tannhäuser sowie die fünf Wesendonck-Lieder. Ausschließlich Wagner …

Ich wollte keine Querbeet-Aufnahmen mehr machen, sondern mich auf ein Gebiet konzentrieren. Sonst kann man später vieles nicht mehr aufnehmen, weil die Hälfte schon auf irgendwelchen Samplern drauf ist. Und bei Wagner wollte ich auch nicht die Sachen, die ich schon aufgenommen habe, nochmal einspielen. Bei aller Verehrung für manche späten Aufnahmen wie die von Glenn Gould: Soweit sind wir noch nicht, dass ich meine Interpretation jetzt radikal verändern müsste. Vieles ist auch Neuland – Partien wie Siegfried und Tannhäuser, die ich mir auf der Opernbühne noch nicht zutraue …

… auf CD aber schon?

Ja, schon. Denn wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich nicht mehr ans Singen, sondern nur noch ans Spielen und versuche, in diesen Charakter reinzuschlüpfen. Da gibt es dann Partien, die einen emotional so fordern, dass man über die Grenzen seiner gesunden stimmlichen Möglichkeiten hinausgehen und sich dabei richtig schaden könnte. Das sehe ich bei Siegfried und Tannhäuser. Weil es dramatische Partien sind, weil gegen sehr viel Orchester zu singen ist. Im Aufnahmesaal kann man das besser abwägen als auf der Opernbühne. Deshalb gibt’s da ein paar Jahre Vorlauf. Die Partien werden beide kommen – aber vielleicht erst in sechs, sieben Jahren.

Was für einen Prozess muss die Stimme bis dahin durchlaufen?

Ganz konkret kann man das schwer sagen. Zusammengefasst ist es: Erfahrung. Einerseits, dass man sich auf der Bühne trotz großer Emotionen nicht total verausgabt. Andererseits, dass man mit der Zeit lernt, mit weniger Aufwand mehr Klang zu erzeugen.

Also ein ganz automatischer Prozess?

Ja, wenn man sie „machen lässt“ und ihr immer wieder neue Aufgaben stellt, entwickelt sich so eine Stimme ganz automatisch.

Welche Aufgaben sind das?

Das Repertoire Schritt für Schritt erweitern. Momentan gibt’s für mich bei Verdi Nachholbedarf, überhaupt im italienischen Fach – zum Beispiel Il trovatore, Un ballo in maschera, La forza del destino. Da erweitert man die Stimmmöglichkeiten und kommt dann wieder auf Wagner zurück.

À propos: Wie viel Belcanto liegt denn in Wagner?

Ich glaube, es liegt überall was drin. Wagner hat ja selbst propagiert, dass er seine Opern in italienischer Art gesungen haben möchte, mit Weichheit und Legato. Im Orchester hat er diese großen Phrasierungen ständig gemacht. Aber bei den Gesangspartien hat er immer wieder Ruhezonen eingebaut, weil er offenbar gemerkt hat, dass die Sänger nicht über die Phrasen drüber kommen. Lohengrin ist wohl die italienischste seiner Opern: Da ist alles eine Spur melodiöser, süßer, zarter. Da geht einem wirklich das Herz auf!

Wie hat sich Ihr eigenes Wagner-Klangideal im Lauf der Zeit entwickelt?

Als Schüler und Student habe ich natürlich immer Wagner-Aufnahmen gehört und bin – wie alle anderen – der Tendenz verfallen: je kräftiger, je lauter, je bombastischer, desto besser. Erst als ich angefangen habe, die Wagner-Partien wirklich einzustudieren, habe ich gemerkt, wie stark er differenziert hat. Wie oft er piano und pianissimo schreibt, wie oft er die Stimme
fast allein lässt, nur mit ein, zwei Holzblasinstrumenten. Wagner heißt nicht immer: laut.

Und wie hat sich das äußere Bild des Wagner-Tenors verändert?

Einer der berühmtesten Wagner-Tenöre, Lauritz Melchior, wurde „das wandelnde Sofa“ genannt. Im Neu-Bayreuth Wieland Wagners kam nach dem Krieg der Typus des Sänger-Darstellers, im Fach des
Heldentenors ideal verkörpert von Wolfgang Windgassen. Mitte der 1970er Jahre hatte man einen Peter Hofmann, bei dem die Erscheinung die Hälfte seiner Wirkung ausgemacht hat. Und dann
kommt man schon in einen gefährlichen Bereich, weil dieses Type-Casting bei Wagner irgendwann nicht mehr funktioniert. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass die Anforderungen ans Wagner-
Singen über die Jahrzehnte gewachsen sind.

Warum?

Weil sich die Instrumente so stark verändert haben. Die Flöten, die Trompeten, überhaupt die Blechbläser; und die Streicher spielen nicht mehr auf Darm-, sondern auf Stahlsaiten. Für den Sänger bedeutet das, dass er mehr leisten muss, denn die Stimme hat sich ja nicht verändert. Wir sind vielleicht ein paar Zentimeter größer geworden und haben ein bisschen mehr Resonanzraum. Aber technisch machen wir eigentlich seit 100 Jahren das Gleiche. Man könnte fast sagen: Der Mozart-Tenor von früher ist heute der Rossini-Tenor, der Verdi-Tenor ist
der Mozart-Tenor, und der Wagner-Tenor ist der Verdi-Tenor. Und wer ist der Wagner-Tenor? Der muss dann neu geschaffen werden! Da muss man gut mit dem Orchester zusammenarbeiten,
damit keine Forte-Dauerbefeuerung stattfindet.

Aber nochmal zurück zum äußeren Erscheinungsbild: Kann Schönheit auch hinderlich sein?

Na klar. Weil sie so sehr in den Vordergrund treten kann, dass man das Gefühl hat, das wäre jetzt die musikalische Leistung. Aber es ist natürlich auch so, dass wir diese Art von Leuten gerade im Opernbereich suchen – wegen des Mangels an Fantasie im Publikum. Wer liest denn heute noch Bücher? Alle gucken Filme und surfen im Internet. Dementsprechend müssen wir versuchen, in der Oper nicht nur durch Scheinwerfer und Maske eine Illusion hervorzurufen. Und deshalb spielen auch Aussehen und körperliche Fitness eine immer größere Rolle. Aber: Es darf nicht das erste Argument sein.

Herrliche Längen

Auf seiner Wagner-CD singt Jonas Kaufmann die Gralserzählung aus Lohengrin in Originalfassung mit zweiter Strophe. Wagner selbst hat diese Strophe aus der ursprünglichen Partitur gestrichen. An Liszt schrieb er, das Publikum würde sonst an Aufmerksamkeit verlieren. Auch Jonas Kaufmann findet, dass die Verlängerung der Gralserzählung im Gesamtzusammenhang der Oper keinen dramaturgischen Sinn ergibt. Musikalisch und inhaltlich sei sie aber umso interessanter: Es gibt Reminiszenzen an Elsas Arie und Lohengrins Auftrittschor aus dem ersten
Akt. Außerdem werden Geschichte und Bedeutung des Schwans detailliert erklärt.






 
 
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