RONDO:
Wie bringt man sich denn in einem Aufnahmestudio in Wagner-Stimmung?
Jonas Kaufmann: Da bekommt man schon allein durchs Zuhören das
richtige Maß an Adrenalin. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin
trifft als Opernorchester eben sofort die richtige Stimmung. Und ich war
total begeistert vom Aufnahmesaal! Das war der Große Sendesaal des
Ostdeutschen Rundfunks in Berlin-Köpenick; ein halb verwildertes Gelände
mit verwaisten Häuserblocks. Der Saal ist total eingewuchert und man
kann gar nicht zu den Fenstern raus sehen. Aber die Akustik: genau für
diesen Zweck gemacht. Kein trockener Studiocharakter, aber auch kein
Konzertsaal. Fünf oder sechs leicht ansteigende Sitzreihen, man sitzt im
Kreis zueinander und macht für sich Musik – faszinierend.
Auf
Ihrer neuen CD singen Sie Arien aus Rienzi, Lohengrin, der Walküre,
Siegfried, den Meistersingern, Tannhäuser sowie die fünf
Wesendonck-Lieder. Ausschließlich Wagner …
Ich wollte keine
Querbeet-Aufnahmen mehr machen, sondern mich auf ein Gebiet
konzentrieren. Sonst kann man später vieles nicht mehr aufnehmen, weil
die Hälfte schon auf irgendwelchen Samplern drauf ist. Und bei Wagner
wollte ich auch nicht die Sachen, die ich schon aufgenommen habe,
nochmal einspielen. Bei aller Verehrung für manche späten Aufnahmen wie
die von Glenn Gould: Soweit sind wir noch nicht, dass ich meine
Interpretation jetzt radikal verändern müsste. Vieles ist auch Neuland –
Partien wie Siegfried und Tannhäuser, die ich mir auf der Opernbühne
noch nicht zutraue …
… auf CD aber schon?
Ja,
schon. Denn wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich nicht mehr ans
Singen, sondern nur noch ans Spielen und versuche, in diesen Charakter
reinzuschlüpfen. Da gibt es dann Partien, die einen emotional so
fordern, dass man über die Grenzen seiner gesunden stimmlichen
Möglichkeiten hinausgehen und sich dabei richtig schaden könnte. Das
sehe ich bei Siegfried und Tannhäuser. Weil es dramatische Partien sind,
weil gegen sehr viel Orchester zu singen ist. Im Aufnahmesaal kann man
das besser abwägen als auf der Opernbühne. Deshalb gibt’s da ein paar
Jahre Vorlauf. Die Partien werden beide kommen – aber vielleicht erst in
sechs, sieben Jahren.
Was für einen Prozess muss die Stimme
bis dahin durchlaufen?
Ganz konkret kann man das schwer
sagen. Zusammengefasst ist es: Erfahrung. Einerseits, dass man sich auf
der Bühne trotz großer Emotionen nicht total verausgabt. Andererseits,
dass man mit der Zeit lernt, mit weniger Aufwand mehr Klang zu erzeugen.
Also ein ganz automatischer Prozess?
Ja, wenn man
sie „machen lässt“ und ihr immer wieder neue Aufgaben stellt, entwickelt
sich so eine Stimme ganz automatisch.
Welche Aufgaben sind
das?
Das Repertoire Schritt für Schritt erweitern. Momentan
gibt’s für mich bei Verdi Nachholbedarf, überhaupt im italienischen Fach
– zum Beispiel Il trovatore, Un ballo in maschera, La forza del destino.
Da erweitert man die Stimmmöglichkeiten und kommt dann wieder auf Wagner
zurück.
À propos: Wie viel Belcanto liegt denn in Wagner?
Ich glaube, es liegt überall was drin. Wagner hat ja selbst
propagiert, dass er seine Opern in italienischer Art gesungen haben
möchte, mit Weichheit und Legato. Im Orchester hat er diese großen
Phrasierungen ständig gemacht. Aber bei den Gesangspartien hat er immer
wieder Ruhezonen eingebaut, weil er offenbar gemerkt hat, dass die
Sänger nicht über die Phrasen drüber kommen. Lohengrin ist wohl die
italienischste seiner Opern: Da ist alles eine Spur melodiöser, süßer,
zarter. Da geht einem wirklich das Herz auf!
Wie hat sich Ihr
eigenes Wagner-Klangideal im Lauf der Zeit entwickelt?
Als
Schüler und Student habe ich natürlich immer Wagner-Aufnahmen gehört und
bin – wie alle anderen – der Tendenz verfallen: je kräftiger, je lauter,
je bombastischer, desto besser. Erst als ich angefangen habe, die
Wagner-Partien wirklich einzustudieren, habe ich gemerkt, wie stark er
differenziert hat. Wie oft er piano und pianissimo schreibt, wie oft er
die Stimme
fast allein lässt, nur mit ein, zwei Holzblasinstrumenten.
Wagner heißt nicht immer: laut.
Und wie hat sich das äußere
Bild des Wagner-Tenors verändert?
Einer der berühmtesten
Wagner-Tenöre, Lauritz Melchior, wurde „das wandelnde Sofa“ genannt. Im
Neu-Bayreuth Wieland Wagners kam nach dem Krieg der Typus des
Sänger-Darstellers, im Fach des
Heldentenors ideal verkörpert von
Wolfgang Windgassen. Mitte der 1970er Jahre hatte man einen Peter
Hofmann, bei dem die Erscheinung die Hälfte seiner Wirkung ausgemacht
hat. Und dann
kommt man schon in einen gefährlichen Bereich, weil
dieses Type-Casting bei Wagner irgendwann nicht mehr funktioniert. Ich
bin aber auch davon überzeugt, dass die Anforderungen ans Wagner-
Singen über die Jahrzehnte gewachsen sind.
Warum?
Weil sich die Instrumente so stark verändert haben. Die Flöten, die
Trompeten, überhaupt die Blechbläser; und die Streicher spielen nicht
mehr auf Darm-, sondern auf Stahlsaiten. Für den Sänger bedeutet das,
dass er mehr leisten muss, denn die Stimme hat sich ja nicht verändert.
Wir sind vielleicht ein paar Zentimeter größer geworden und haben ein
bisschen mehr Resonanzraum. Aber technisch machen wir eigentlich seit
100 Jahren das Gleiche. Man könnte fast sagen: Der Mozart-Tenor von
früher ist heute der Rossini-Tenor, der Verdi-Tenor ist
der
Mozart-Tenor, und der Wagner-Tenor ist der Verdi-Tenor. Und wer ist der
Wagner-Tenor? Der muss dann neu geschaffen werden! Da muss man gut mit
dem Orchester zusammenarbeiten,
damit keine Forte-Dauerbefeuerung
stattfindet.
Aber nochmal zurück zum äußeren
Erscheinungsbild: Kann Schönheit auch hinderlich sein?
Na
klar. Weil sie so sehr in den Vordergrund treten kann, dass man das
Gefühl hat, das wäre jetzt die musikalische Leistung. Aber es ist
natürlich auch so, dass wir diese Art von Leuten gerade im Opernbereich
suchen – wegen des Mangels an Fantasie im Publikum. Wer liest denn heute
noch Bücher? Alle gucken Filme und surfen im Internet. Dementsprechend
müssen wir versuchen, in der Oper nicht nur durch Scheinwerfer und Maske
eine Illusion hervorzurufen. Und deshalb spielen auch Aussehen und
körperliche Fitness eine immer größere Rolle. Aber: Es darf nicht das
erste Argument sein.
Herrliche Längen
Auf
seiner Wagner-CD singt Jonas Kaufmann die Gralserzählung aus Lohengrin
in Originalfassung mit zweiter Strophe. Wagner selbst hat diese Strophe
aus der ursprünglichen Partitur gestrichen. An Liszt schrieb er, das
Publikum würde sonst an Aufmerksamkeit verlieren. Auch Jonas Kaufmann
findet, dass die Verlängerung der Gralserzählung im Gesamtzusammenhang
der Oper keinen dramaturgischen Sinn ergibt. Musikalisch und inhaltlich
sei sie aber umso interessanter: Es gibt Reminiszenzen an Elsas Arie und
Lohengrins Auftrittschor aus dem ersten
Akt. Außerdem werden
Geschichte und Bedeutung des Schwans detailliert erklärt.