Hallo?
Hier ist Jonas Kaufmann.
Guten
Tag, Herr Kaufmann! Wo sind Sie gerade?
Ich sitze in Kostüm
und Maske in der Garderobe mit meinem iPad und rufe übers Internet an.
Ich höre über Lautsprecher, was auf der Bühne passiert, weil ich den
nächsten Auftritt erwischen muss. (stellt den Garderoben-Lautsprecher
leiser)
Spreche ich gerade auch ein bisschen mit
Parsifal?
Jein. Es ist schon so, dass ich wo ich gehe und
stehe diesen Text und diese Melodien im Kopf habe. Der Parsifal ist ein
Stück mit sehr eingängigen Melodien, die sind wie Ohrwürmer.
Und charakterlich?
Es ist ja eine, ich sag mal:
unmenschliche Rolle. Parsifal ist am Anfang ein völlig unbeleckter Tor,
der durch Kundrys Kuss von einer Sekunde auf die andere zum Allwissenden
wird. Der sofort sehr schlau daherredet und jeder Situation gerecht
wird. Das ist nichts, was man im täglichen Leben nachmachen kann. Mir
ist das so zumindest noch nicht passiert. (lacht)
An der
Scala haben Sie mit „Lohengrin" begeistert, jetzt mit „Parsifal" an der
Met, beides archaische Heldentypen. Wie viel Held steckt in Ihnen?
Ach, ein bisschen Held schon. Vielleicht ist es aber auch das falsche
Wort. Meine Heldentat besteht nur darin, dass ich den Spagat schaffe,
ein relativ erfolgreiches Berufsleben zu gestalten und gleichzeitig eine
intakte, glückliche Familie zu haben. (lacht)
Sie leben
in München, haben aber in einem halben Jahr 28 Auftritte in neun Orten.
Wo bleibt da die Familie?
Ich versuche, mein Leben besser zu
organisieren. Dazu gehört, dass die sogenannte Quality-Time mit der
Familie im Kalender auftaucht wie ein Pflichtprogramm, so wie jede
Aufführung. Ich bemühe mich außerdem, Reisen so zu organisieren, dass
ich zwischen längeren Aufenthalten in fremden Städten eine Zeit frei
habe. Wenn ich zur Tür reinkäme und die Kinder fragen würden: ,Wann
musst du wieder gehen?" - da wüsste ich, dass ich zu viel unterwegs bin.
Manchmal sind Sie wochenlang an einen Ort gebunden.
Jetzt in New York haben wir das Glück, dass die Schulen unserer Kinder
zugestimmt haben, dass sie hier zur Schule dürfen. Ich bin mit der
ganzen Familie für zwei Monate hier. Das hilft sehr, weil man da noch
mehr zusammenwächst. Die Erfahrungen, die die Kinder hier machen, geben
ihnen einen unheimlichen Entwicklungsschub.
Sie setzten
im vergangenen Jahr krankheitsbedingt mehrere Wochen aus. Hatten Sie
Angst um Ihre Stimme?
Nein, ich hatte keine Angst, es war ja
auch nichts Bedrohliches. Ich war mir sicher, dass das wieder weggeht -
ich war nur sehr überrascht, wie lange es gedauert hat.
War Ihre Familie froh, Sie mal für sich allein zu haben?
Das
ist sehr positiv angekommen, keine Frage. Am Anfang war ich natürlich
sehr nervös und wohl auch unleidig. Aber dann habe ich es genossen und
meine Familie mit mir - weil ich ganz normalen Alltag gelebt habe. Das
war sehr angenehm, da könnte man sich dran gewöhnen.
Gab
es keine Reibereien, weil Papa plötzlich nonstop zu Hause war?
Ich habe ganz gut gelernt, dass man nicht als zweites Elternteil
nach
Hause kommt und dann versucht, die Kinder in anderer Weise zu erziehen.
Das hat keinen Sinn, man muss einfach sehr gut eingespielt sein und sich
abgesprochen haben, wer für welchen Bereich zuständig ist - und sich
dann auch zurücknehmen. Letztlich lastet das meiste doch auf den
Schultern meiner Frau.
Wissen Ihre Kinder, dass Sie ein
Weltstar sind?
Meine Tochter schon, die ist alt genug, und
die Jungs sind da sehr locker, das ist angenehm. Ich möchte nicht, dass
die Kinder Respekt vor mir haben, weil ich irgendetwas Besonderes
erreicht habe, sondern einfach nur, weil ich ihr Vater bin. Man tut
ihnen auch keinen Gefallen, wenn man sie sich zu sehr im Familienruhm
sonnen lässt. Das ist ein Grund mehr zu sagen: Wir sind relativ normal
und machen keine Extravaganzen.
Mit Ihrem Aussehen sind
Sie eher der klassische Latin Lover. War es schwer, an Wagner-Rollen zu
kommen?
Ich glaube nicht, dass irgendwo steht, dass ein
Siegfried oder Tannhäuser oder wer auch immer blond gelockt sein muss.
Das ist einfach nur ein altes Klischee. Im Gegenteil, es ist eher
umgekehrt, als Deutscher wird man international eher in die deutsche
Opernecke gesteckt.
Wie stehen Sie zu Wagners
umstrittenem ideologischem Hintergrund?
Ich denke, wir
würden diesen Mann und sein Talent noch viel mehr schätzen, wenn er
einfach nur komponiert hätte und sich ansonsten aus all den anderen
Dingen rausgehalten hätte. Das ist natürlich ein Wermutstropfen, den die
Person Wagner hat, keine Frage. Ich versuche immer, die Privatperson
Wagner von dem Komponisten und seinem Werk zu trennen. Da er aber einer
der bekanntesten deutschen Komponisten ist, wäre es falsch, seine Musik
wegen seiner persönlichen ideologischen Einstellung zu verbannen.
Im Parsifal geht es ja-sehr verkürzt- um religiöse Erlösung.
Ist das noch zeitgemäß?
Wenn man diese Musik hört, versteht
man, warum der Mensch glaubt, hofft, bangt, an etwas festhält. Die Musik
ist so tiefgründig, so emotional, so stringent, so soghaft, das ist
wirklich faszinierend und phänomenal. Sie ist so stark, dass jeder
Nichtgläubige genauso viel Freude daran hat wie einer, der an diese
Geschichte glaubt.
Wie halten Sie es mit der Religion?
Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ich bin gläubig... (im
Hintergrund klopft es, Kaufmann ruft: „I'm coming!") Nun steht einer vor
der Tür, um mich auf die Bühne zu holen. Jetzt muss ich Sie lassen ...