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Crescendo, 30. Januar 2013 |
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Der Kaufmann von München
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Foto: PetraStadlerCom / Decca |
Jonas
Kaufmann zählt weltweit zu den derzeit bedeutendsten Tenören. Die ganz
großen Häuser reißen sich um den Bühnenstar – vor allem im Wagner- und
Verdi-Jahr. Mit crescendo plauderte der Sänger über seine Engagements,
Kantinengespräche unter Kollegen und über seine Erfahrungen mit weiblichen
Fans.
crescendo: Herr Kaufmann, kürzlich hielt ich die DVD
von Monteverdis „Ulisse“ in Händen. In der Aufführung sangen Sie 2002 den
„Telemaco“ – eine Nebenrolle. Heute sind Sie in Mailand, weil Sie an der
Scala den Lohengrin singen. Es hat sich schon was verändert in den letzten
zehn Jahren, oder? Jonas Kaufmann: Naja, ich habe auch vor zehn
Jahren schon an der Scala gesungen. 2004 hatte ich mein Debüt in London,
2006 in New York. In Deutschland singe ich in der Tat aber erst seit etwa
vier Jahren auch an den großen Häusern, wie München oder Berlin.
Gab es für Sie so etwas wie den „Durchbruchmoment“? Mein
Debüt an der MET hat meine Karriere noch einmal sehr angeschoben. Das hat
mich fasziniert, aber auch irritiert: Alle Welt schaut nach New York – und
wer es da schafft, hat plötzlich auch in Europa einen anderen Stellenwert.
Vor einigen Jahren habe ich hier an der Scala in Bizets „Carmen“ gesungen.
Das war eine weltweite Live-Übertragung. Dass das hohe Wellen schlagen
würde, konnte ich mir vorstellen. Die Sache in New York war aber eine ganz
normale Repertoirevorstellung, ohne Fernsehen oder sonstige
Liveberichterstattung. Und trotzdem hat es international so viel bewirkt.
Das finde ich nach wie vor besonders beeindruckend.
Tauscht
man sich auf Ihrem Qualitätslevel im Kollegenkreis untereinander aus, nach
dem Motto: „Du, ich muss nächsten Monat den Florestan singen, und da gibt es
ja diese schwierige Kerkerszene.“ Oder ist so etwas tabu? Dass es
ein Tabu ist, würde ich nicht sagen. Aber die internationale Garde der
Sänger gehört ja keinen festen Ensembles an. Deswegen gibt es diese
typischen Kantinengespräche unter Künstlern kaum noch. Natürlich trifft man
sich, tauscht sich dann aber nicht unmittelbar über Technik aus. Wenn mich
mal jemand fragt, gebe ich gerne preis, wie ich bestimmte Dinge mache.
Meistens fragen aber keine Tenorkollegen, sondern Sänger aus anderen
Fächern. Ich bin übrigens heilfroh über jeden Tenor, der auf dem gleichen
Niveau wie ich arbeitet. Das ist wie bei einer Autofirma: Die träumt
vielleicht davon, mit ihren Produkten den ganzen Weltmarkt bedienen zu
können. Doch sie würde schnell merken, dass sie damit an Kapazitätsgrenzen
stößt und die Qualität der Produkte sinkt, die dadurch in kürzester Zeit bei
den Kunden nicht mehr gefragt wären. So ist es auch bei mir: Wenn ich alles
annehmen würde, was mir angeboten wird, und dann auch noch versuchte, andere
Kollegen auszustechen, hätte ich in zwei Jahren stimmliche
Qualitätsprobleme. Mehr noch als die Schädigung der Stimme ist dann der
geschädigte Ruf ein Problem. Um eine schlechte Aufführung zu kompensieren,
muss ich bestimmt fünf, sechs gute machen. Wenn dann die Stimme Probleme
macht, kommt einem das wie eine Ewigkeit vor.
Kommt man in
Ihrer Position manchmal an einen Punkt, an dem das normale psychologische
Rüstzeug nicht mehr ausreicht? Ach, das merkt man oft selber gar
nicht. Ich bin im Bühnenumfeld sehr nervenstark und habe keine Probleme mit
Aufregung und Druck. Vor einer Aufführung schließe ich mich nicht drei
Stunden in der Garderobe ein und bete mein Mantra. Lieber gehe ich, kurz
bevor es losgeht, mit den Chorkollegen noch einen Kaffee trinken. Es kommt
aber vor, dass man einige Tage nach einer großen Belastung etwas reizbarer
ist als sonst. Dann sucht sich wohl das unbewusst eben doch stärker
strapazierte Nervenkostüm ein Ventil.
Wie so ein
Kantinenbesuch aussehen kann, ist in einem Videoclip auf Ihrer Webseite
dokumentiert. Dort sitzen Sie im Bühnenoutfit – üppig mit Kunstblut
überströmt – zu Tisch und essen Schnitzel oder so etwas. Das
kommt vor. Vielleicht nicht gerade ein Schnitzel, weil das lange braucht,
bis es verdaut ist und daher schnell ermüdet. Aber Kuchen oder etwas
anderes, das einem schnell wieder Energie gibt, wird gern genommen. Die
Begebenheit, die Sie meinen, hat wohl bei einer „Tosca“-Aufführung
stattgefunden, bei der ich den Cavaradossi singe. Ich habe in dieser Oper
immer Pause, nachdem ich auf der Bühne gefoltert und inhaftiert worden bin.
Danach gehe ich gern einen Kaffee trinken oder eine Kleinigkeit essen und
bin dann eben noch voller Theaterblut – was aber in der Opernkantine keinen
stört.
Sie sind ja nicht nur ein großartiger Tenor, sondern
viele Frauen sehen in Ihnen auch einen attraktiven Mann. Kommt es vor, dass
Damen vor der Garderobentür auflauern? Nein! (Räuspert sich) Es
gibt natürlich Ausnahmen. Man kann niemals nie sagen. Aber eine Oper ist
schon etwas anderes als ein Popkonzert, ganz generell gesprochen, auch was
die Besucher der Veranstaltung betrifft. Bei den Rockevents gibt es die
Backstage-Pässe, die Fans daran hindern sollen, vor der Höhle des Löwen auf
und ab zu gehen. Bei uns ist es noch stringenter. Es gibt Backstagelisten,
und wer da nicht drauf steht, kommt mit Sicherheit auch nicht rein. Es hat
aber schon Konzerte gegeben, nach denen ich mich in meine Garderobe
geflüchtet und zugesperrt habe. Da waren der Gang und alle anderen Bereiche
brechend voll mit Fans. Dem stelle ich mich gern draußen, wo etwas mehr
Platz ist. Im Normalfall gibt es immer vier oder fünf Leute, die sich nach
einem Auftritt mit mir unterhalten wollen.
2013 ist Wagner-
und Verdi-Jahr. Für Sie bedeutet das sicher Hochbetrieb?
Allerdings! Ich habe meinen Kalender ganz danach ausgerichtet. Bis auf eine
Ausnahme habe ich bislang ausschließlich Verdi und Wagner auf der Agenda.
Was halten Sie denn von dem Medienrummel, der um die Jubiläen
gemacht wird. Ist das nicht etwas inflationär geworden in den letzten
Jahren? Ich glaube nicht. Namen wie Verdi und Wagner haben zu
den jeweiligen Jubiläen schon immer großartige Sonderveranstaltungen
hervorgerufen. Es gibt andere Komponisten, wie etwa Mahler, die erst in den
letzten Jahrzehnten so richtig von der breiten Masse wahrgenommen wurden.
Und da finde ich es doch sehr legitim, wenn man in Fällen wie diesen
Jubiläen auch groß feiert.
Klingt Wagner in Russland
eigentlich anders als hier? Einer Ihrer neuen CDs ist ja ein Mitschnitt der
„Walküre“ aus dem St. Petersburger Mariinsky-Theater. Im
Spitzenbereich agieren die Künstler weltweit. Valery Gergiev zum Beispiel
leitet nicht nur das Mariinsky-Orchester sondern auch andere internationale
Ensembles. Daher hat sich im Zuge der Globalisierung die internationale
Weltklasse interpretatorisch angenähert. Doch gerade bei der Aufnahme die
Sie erwähnen, hören Sie eine besondere Süffigkeit der Kontrabässe und Celli
bei den melancholischen Stellen. Ich finde, das ist relativ eigenständig für
das Mariinsky-Orchester. Es gibt also auch noch das Lokalkolorit.
Es gibt Leute, die sagen, Wagners Musik sei immer dann am besten,
wenn gerade keiner singt. Oh, ich weiß, was Sie meinen. Diese
Leute stören sich häufig an den langen Parlando-Stellen. Oder an Sängern,
die mit aller Gewalt versuchen, ein viel zu lautes Orchester zu übertönen.
Die Orchesterinstrumente haben sich seit Wagners Zeit deutlich
weiterentwickelt. Unsere Stimmen aber nicht. Wenn also ein heutiger Musiker
alles aus seinem modernen Instrument herauskitzelt, wo in der Partitur „ff“
steht, gibt es Probleme. Wenn er aber das Bewusstsein dafür hat, dass ein
Fortissimo für Richard Wagner etwas ganz anderes war als für uns heute, dann
kann man einen wunderbaren Klang erzielen, der die Sänger trägt.
Plädieren Sie dafür, Wagner mit historischen Instrumenten zu
spielen? Ich wäre eher dafür, dass man mit heutigen Instrumenten
für eine vernünftige Balance zwischen Orchester und Sängern sorgt. Ich gebe
zu, dass ich den süffigen, vollen Klang eines modernen Orchesters zu sehr
liebe, als dass ich darauf verzichten würde. Aber er darf einen Sänger nicht
erschlagen oder zum Forcieren zwingen! Als Experiment wären historische
Instrumente bei Wagner sicher interessant. Da könnte man einmal hören, wo
die maximalen Möglichkeiten eines Orchesters von damals lagen.
Ihre neue Wagner-CD, die in diesem Frühjahr erscheint, ist etwas
ganz besonderes geworden. Ja, wir haben Lohengrins
Gralserzählung in der nur selten aufgeführten „Langfassung“ aufgenommen –
mit der so genannten zweiten Strophe, in der so viele wichtige
Handlungsbestandteile erklärt werden, dass sie eigentlich in jedes
Programmheft gehört. Und wir haben die Wesendonck-Lieder mit dabei. Die sind
wirklich traumhaft! Zwar hat Wagner sie „für eine Frauenstimme“ bestimmt.
Doch gibt es im Text keinen einzigen Hinweis auf das Geschlecht des
„Erzählers“, ganz im Gegensatz zu Schumanns „Frauenliebe und -leben“ und
Schuberts „Winterreise“. Und nachdem Männer die „Frauenliebe“ und Frauen die
„Winterreise“ aufgenommen haben, sollte es doch kein Sakrileg sein, wenn ein
Mann die „Wesendonck-Lieder“ singt, zumal Wagner diese Texte ja teilweise
auf sich bezogen hat. Zum Beispiel beschreibt „Im Treibhaus“ Wagners
Situation im Schweizer Exil. Wäre es da nicht nahe liegend, dass ein Mann
das singt? |
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