Jonas Kaufmann über den Mut zum hohen C, seine Rollen im Wagner-
und Verdi-Jahr und die Rolle des Manrico in „Il trovatore“, der ersten
Premiere der Opernfestspiele im Münchner Nationaltheater
Die Rolle ist berühmt und berüchtigt wegen der „Stretta“ – einer
athletischen Herausforderung für jeden Tenor. Am Donnerstag wagt sie
Jonas Kaufmann: Die Premiere der Münchner Opernfestspiele von Verdis „Il
trovatore“ ist zugleich sein Debüt als Manrico. Von Stress ist dem in
München geborenen Tenor jedoch nichts anzumerken. Er trägt Shorts und
Poloshirt und hat quietschbunte Sneakers an den Füßen. Mit sonorer
Stimme entschuldigt sich Kaufmann für seinen „nicht sehr festlichen“
Aufzug, der nicht nur der sommerlichen Witterung, sondern auch der Eile
geschuldet sei.
AZ: Haben Sie Angst?
JONAS KAUFMANN: Wovor denn?
Vor dem
hohen C!
Sie meinen die Stretta? Ich weiß gar nicht,
warum die Leute immer nur auf diese eine Stelle fixiert sind. Für mich
ist „Di quella pira“ gar nicht das wichtigste Stück im „Troubadour“. Die
Arie vorher, in der Manrico vor der Schlacht glaubt, sich für immer von
seiner Geliebten Leonora zu verabschieden, finde ich viel schöner. Die
ist so melancholisch und herzzerreißend! Da schüttet Manrico wirklich
sein Herz aus. Da ist er am ehrlichsten.
Aber die Leute
lieben Spitzentöne. Auch wenn Verdi das C in diesem Fall gar nicht
komponiert hat.
Also, ich kann die Enttäuschung schon
verstehen, wenn man das hohe C weglässt, wie einmal unter Riccardo Muti
an der Mailänder Scala. Dieser Ton ist so erschütternd. Wenn der nicht
kommt und das Ganze so unspektakulär endet, ist das ziemlich
frustrierend.
Auch wenn es nur eine Tradition ist, die
sich schon zu Verdis Lebzeiten und mit seiner Billigung eingebürgert
hat?
Natürlich muss man Traditionen hinterfragen. Was
die hohen Töne betrifft, müssen die musikalisch und dramaturgisch Sinn
machen.
Warum singen Sie den Manrico, diese
Verdi-Paraderolle für Tenor schlechthin, erst jetzt? Weil wir gerade
Verdi-Jahr feiern?
Das hat mit Verdis 200. Geburtstag
nichts zu tun. Ich fühle mich einfach reif für diese Rolle. Die Partie
ist natürlich ein Sängertraum, die Musik unglaublich, ein Fest. Die
Handlung der Oper ist ja etwas verworren.
Was macht denn
Regisseur Olivier Py daraus?
Das wird ein ziemlich
wildes Spektakel, eine große Show, auch mit Sequenzen, bei denen man
nicht weiß, ob das Realität ist oder Traum. Die Handlung läuft ja
wirklich nach Schema F, so der klassische Opernstoff mit Liebe,
Eifersucht, Mord. Es ist schwer, da eine übergeordnete Botschaft
herauszukitzeln.
Sie sind weltweit präsent. Im Sommer
„Don Carlo“ bei den Salzburger Festspielen, dann Konzerte und
Liederabende in Baden-Baden, Mörbisch, Wien und Mailand. Im Herbst
Puccinis „La fanciulla del West“ an der Wiener Staatsoper und „La forza
del destino“ wieder hier in München, schließlich „Werther“ in New York.
Wird Ihnen das nicht zu viel?
Natürlich könnte ich
weniger machen. Wenn man aber, wie ich, die Abwechslung liebt und gern
an verschiedenen Häusern verschiedene Partien singen will, kann das
schon mal eng werden. Doch ich habe das gut im Griff. Ganz wichtig ist,
wenn man krank ist, sofort die Notbremse zu ziehen. Dann ist es egal, ob
es ein wahnsinnig wichtiger Event ist.
Wie schaut es im
Wagnerjahr mit Wagnerpartien aus?
Ich konzentriere mich
aktuell auf Verdi. Doch ich habe mir fest vorgenommen, irgendwann einmal
alle großen Tenorpartien von Wagner zu singen, „Siegfried“
eingeschlossen. Ich will aber nicht zu früh in die heldische Ecke
gedrängt werden. Auch wenn ich da, was meine stimmlichen
Entwicklungsmöglichkeiten betrifft, sicher mal landen werde.
Was bedeutet es für Sie, in München aufzutreten, Ihrer
Heimatstadt?
Ich freue mich immer riesig, an dem Ort zu
singen, wo ich daheim bin, wo meine Wurzeln sind. Schließlich habe ich
ja im Extrachor des Gärtnerplatztheaters angefangen und auch an der
Staatsoper lange vor meinem internationalen Durchbruch ein paar kleinere
Partien gesungen.
Sie sind mit der Mezzosopranistin
Margarete Joswig verheiratet. Treten Sie auch mal gemeinsam auf?
Das ist eher die Ausnahme. Meine Frau sagt immer, du spielst in
einer anderen Liga, was habe ich da verloren? Außerdem hat sie schon
früh erkannt, dass ihr die ewige Herumreiserei nicht liegt. Das ist ja
auch nicht lustig, immer aus dem Koffer zu leben. Ich bin ein
Familienmensch und wäre gerne öfter zu Hause.
Herrn
Bachler dürfte das freuen…
Wenn es möglich wäre, meine
Karriere auf dem heutigen Niveau zu halten, aber immer nur hier zu
singen – dann würde ich das machen.