Zum
200. Geburtstag von Richard Wagner hat er eine CD mit Szenen aus Opern
wie «Tannhäuser», «Lohengrin», «Die Walküre» und auch «Siegfried»
aufgenommen. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erzählt er, warum
er um die «Siegfried»-Rolle auf der Bühne bislang einen Bogen gemacht
hat - und warum er das ausgerechnet im großen Wagner-Jahr auch mit
Bayreuth tut.
Wie war Ihre erste Begegnung mit Wagner und
seiner Musik?
Jonas Kaufmann: «Die fand
in früher Kindheit statt. Ich habe das Bild genau vor Augen: Mein
Großvater sitzt am Klavier und spielt Wagner. Er war ein echter
Wagnerianer, hatte von allen Opern Klavierauszüge, und wenn er daraus
spielte, sang er alle Partien mit - vom Hagen bis zur Brünnhilde. Da wir
im gleichen Haus wohnten, bin ich mit Wagner groß geworden, und ich fand
es faszinierend, in den Klavierauszügen meines Großvaters zu blättern.
Das waren liebevoll gestaltete Ausgaben, illustriert mit alten
Bühnenbildern und mit einer Übersicht der Leitmotive. Auf diese Weise
lernte ich die Magie von Wagners Musik quasi spielerisch kennen.»
Was bedeutet diese Musik heute für Sie?
Jonas Kaufmann: «Sie ist eine Welt für sich. Je mehr
ich mich mit ihr beschäftige, desto faszinierender wird sie. Und wenn
man sich auf sie einlässt, hat sie einen unglaublichen Sog, dem ich mich
nicht entziehen kann, weder als Zuhörer noch als Sänger.»
Gibt es heute noch Neues in Wagners Werk zu entdecken?
Jonas Kaufmann: «Oh ja, selbst wenn man es in- und
auswendig zu kennen glaubt. Das steckt so viel drin, dass man
wahrscheinlich nie damit fertig wird. Deshalb vertragen die großen
Wagner-Opern ja auch ganz unterschiedliche Interpretationsansätze.
Nehmen sie nur den "Ring": Von den ersten Bayreuther Inszenierungen über
Wieland Wagner und Chereau bis zu Konwitschny und Fura dels Baus hat es
doch eine ungeheure Bandbreite von Deutungen geben. Und wenn wir von dem
heroischen Wagner etwas Abstand nehmen und die menschlichen Aspekte
hervorkehren, indem wir zum Beispiel zeigen, wie zerrissen die
Charaktere sind, dann haben wir gute Chancen, auch ein heutiges Publikum
zu erreichen. Wir kennen es ja längst aus Filmen: Ein Held der immer
gewinnt, ist langweilig. Erst wenn er strauchelt, fiebern wir mit.»
Welche Rolle spielt die umstrittene Person Wagner für Sie?
Verschwindet sie hinter dem Komponisten?
Jonas
Kaufmann: «Wie heißt es so schön in "Capriccio" von Richard
Strauss: "Du musst den Menschen vom Werke trennen." Selbst militante
Wagnerianer wünschen sich manchmal, er hätte nur komponiert und nicht so
viel gesagt oder geschrieben. Stein des Anstoßes werden immer seine
antisemitischen Schriften und seine Selbstüberschätzung bleiben.
Verliert dadurch ein "Tristan" an Wert? Viele jüdische Künstler, die von
den Nazis aus Deutschland und Österreich vertrieben wurden, hatten kein
Problem damit, Wagner an der Met aufzuführen – eben weil sie Mensch und
Werk trennen konnten. Und weil sie trotz Missbrauchs seiner Musik durch
die Nazis daran festhielten, dass Wagners Gesamtwerk zum Größten der
Musikliteratur gehört.»
Was macht für Sie einen guten
Heldentenor aus - und was einen herausragenden?
Jonas Kaufmann: «Ein Guter hat die Technik und das
Durchhaltevermögen, um Mammut-Partien wie Tannhäuser, Tristan und
Siegfried über Jahre singen zu können, ohne seiner Stimme zu schaden.
Ein Herausragender kann sie nicht nur singen, sondern auch differenziert
gestalten: Dass heißt, er wird all den leisen und feinen Phrasen, die es
ja bei Wagner mindestens genauso oft gibt wie bei Verdi, genauso gerecht
wird wie den dramatischen und heroischen. Als Siegfried zum Beispiel
hätte er nicht nur die Durchschlagskraft für die Schmiedelieder, sondern
auch die stimmliche Geschmeidigkeit für die Parlando-Dialoge mit Mime
und die inneren Monologe im Wald. Und wenn er dann noch nach vier
Stunden Schwerstarbeit den vokalen Breitseiten der ausgeschlafenen
Brünnhilde standhält, würde ich sagen: Chapeau!»
Siegfried fehlt Ihnen noch - wann ist es soweit?
Jonas Kaufmann: «Es ist noch nichts Konkretes geplant.
Doch seitdem ich die "Waldszene" für mein Wagner-Album aufgenommen habe,
reizt es mich schon sehr, die ganze Partie auf der Bühne zu singen.»
Warum haben Sie das bislang vermieden?
Jonas Kaufmann: «Aus reiner Vernunft. Ich meine, es
gibt viele Wege, seine Stimme zu ruinieren, aber Partien wie Siegfried
zu früh zu singen, ist einer der schnellsten.»
Gibt es
eine anstrengendere Rolle als die des Jung-Siegfried?
Jonas Kaufmann: «Tristan! Der endlose Monolog im
dritten Akt geht eigentlich über das hinaus, was man sich als Sänger
guten Gewissens zumuten sollte.»
Und warum sieht man Sie
im großen Jubiläumsjahr nicht in Bayreuth?
Jonas
Kaufmann: «Weil ich in Salzburg singe, in Peter Steins Neuinszenierung
von "Don Carlos". Schließlich ist 2013 auch ein Verdi-Jahr, und nachdem
ich an der Scala den Lohengrin und an der Met den Parsifal gesungen
habe, möchte ich mich jetzt auf Verdi konzentrieren.»