Volksblatt, 3. Februar 2012
Wenn man mal kiekst, steht das auf YouTube 
 
Startenor Jonas Kaufmann steht heute als Faust auf der Bühne der Wiener Staatsoper, am 14. Juli gastiert der Sänger vor dem Linzer Dom
 

Heute tritt der deutsche Startenor Jonas Kaufmann erstmals an der Wiener Staatsoper als Faust in der gleichnamigen Oper von Charles Gounod auf und am 14. Juli singt den unumstrittene Star der Opernwelt vor dem Linzer Mariendom.

Nach einer Neuproduktion in New York singen Sie am 1. Februar den Faust erstmals auch an der Wiener Staatsoper. Was ist für Sie das Reizvolle an Charles Gounods Opernversion des Goethe-Dramas, und worin liegen die besonderen Anforderungen der Titelpartie?

Die größte Anforderung liegt darin, dem alten, resignierten Faust genauso gerecht zu werden wie dem jungen Liebhaber, der aber eben nur optisch als junger Mann erscheint; vom Wissen und Denken her bleibt er ja der Alte. Aber er erlebt, wovon so viele träumen: Mit der Erfahrung des reifen Menschen noch einmal jung zu sein. Dass aus dem Traum ein Alptraum wird, dass Faust Täter und Opfer zugleich wird - das glaubhaft darzustellen, erfordert sowohl schauspielerische als auch stimmliche Flexibilität. Das Dunkle, Brütende des resignierten Mannes sollte in der Stimme genauso zum Ausdruck kommen wie die Lyrik in der Kavatine und die Leidenschaft im Liebesduett.

Ist es beruhigend oder stressverstärkend zu wissen, dass viele Besucher nur kommen, um Sie zu sehen?

Natürlich fühle ich mich sehr geschmeichelt, wenn viele Besucher meinetwegen kommen. Auf der anderen Seite verstärkt es natürlich den Erwartungsdruck. Da können die Leute gar nichts dafür, es ist einfach so: Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft und desto größer der Druck. Jeder erwartet eine Sternstunde, auch wenn er weiß, dass kein Sänger fünfzig Sternstunden im Jahr abliefern kann. Und wenn man mal kiekst, muss man damit rechnen, dass die Stelle mit dem Kiekser zwei Stunden später auf YouTube veröffentlicht wird. Da braucht es schon ein solides Selbstvertrauen, um mit solchen Belastungen fertig zu werden.

Am 13. Februar präsentieren Sie ihren Lieberabend im Musikverein. Liederabend oder Oper — was macht mehr Spaß, was ist für Sie anstrengender?

Liedgesang ist für mich die Königsklasse des Singens. Lieder zu gestalten erfordert ein hohes Maß an technischer Fertigkeit und an künstlerischer Sensibilität, was bei Opernpartien nicht unbedingt der Fall ist. Als Liedsänger kann und muss man mit viel feineren Mitteln arbeiten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf Musik und Text konzentriert. In der Oper ist man Teil einer Geschichte, bei Liederabenden erzählt man an einem Abend über zwanzig verschiedene Geschichten — das ist eine Herausforderung, die mich immer wieder reizt.

Wie viel Training müssen Sie in so intensiven Zeiten täglich investieren?

An Körpertraining etwa eine Stunde pro Tag, ein konzentriertes Programm von Gymnastik, Yoga und autogenem Training. Von stundenlangem „Einsingen“ halte ich wenig. Entscheidend ist, dass man den Körper so trainiert, dass die Stimme am Abend mühelos funktioniert.

Und wofür bleibt zu wenig Zeit?

Für die Familie. Es ist nicht immer leicht, Beruf und Privatleben in Balance zu halten, wenn man über mehrere Wochen voneinander getrennt ist. Umso mehr genießen wir dann die gemeinsame Zeit.


 

 






 
 
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