Salzburger Nachrichten, 11.08.2012
Hedwig Kainberger
Jonas Kaufmanns doppeltes Debüt 
 
 

Bacchus und Lockenwickler. In „Ariadne auf Naxos“ scheut Jonas Kaufmann nicht einmal Eingriffe in sein Haar.
(Screenshot von 3Sat)

Erstmals seit vielen Jahren tritt Jonas Kaufmann wieder in Opern der Salzburger Festspiele auf: als Bacchus in „Ariadne auf Naxos“ und ab Dienstag nächster Woche als Don José in „Carmen“. Zudem sang er eine Vorstellung als Rodolfo in „La Bohème“. Den SN verrät er, warum er so lang fern gewesen ist und dass das anders wird.

Sie sangen am vorigen Wochenende für den erkrankten Piotr Beczala in „La Bohème“ vom Blatt. Wie haben Sie das geschafft?

Kaufmann: Wahrscheinlich durch einen Extraschub Adrenalin. Piotr hat erst fünf vor acht entschieden, dass er nicht singen wird. Um zehn vor acht kam der Anruf, dass die Vorstellung möglicherweise nicht mit ihm beendet werden könnte; wenn ich einspringen müsste, würden sie eine Pause machen, damit ich in die Stadt fahren könnte. Ein paar Minuten später kam der zweite Anruf: „Komm sofort!“ Da gab es kein Überlegen mehr. Natürlich war ich nicht vorbereitet. Wir waren den ganzen Tag bei Freunden am See, eine fröhliche Runde. Ich bin sofort los, und beim Autofahren hab ich mich eingesungen.Was sangen Sie am Steuer? Kaufmann: Die üblichen Einsingübungen. Man muss ja Stimme und Körper warm machen. Im Sitzen ist das nicht so einfach. In der Garderobe hab ich noch ein paar Yoga-Übungen gemacht. „Zwei Minuten hast du noch“, haben sie mir gesagt. Dann hab ich den Kollegen und dem Dirigenten Grüß Gott gesagt, und los ging’s.

Sangen Sie mit Schweißperlen auf der Stirn? Oder mit Leichtigkeit?

Kaufmann: Im allerersten Moment war ich sehr aufgeregt. Ich hatte den Rodolfo etwa anderthalb Jahre nicht gesungen. Dann wurde mir klar, wie sehr ich diese Melodien vermisst habe und wie wunderbar die Gelegenheit ist, das wieder zu singen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man einen derart unvorbereiteten Auftritt nicht als Gefahr empfindet, sondern locker nimmt. Dann hat’s nur noch Spaß gemacht, umso mehr mit dieser tollen Besetzung. Und am nächsten Tag war „Ariadne auf Naxos“ mit TV-Übertragung.

Sollte ein Festival wie die Salzburger Festspiele für solche Partien Covers haben?

Kaufmann: In Amerika gibt es für jede Hauptrolle Cover. Dort sind die Strecken so weit, dass man kurzfristig kaum jemanden holen kann. In Europa ist das anders. Bei einem Repertoirestück wie „La Bohème“ geht man davon aus, dass ein Ersatz in Reichweite zu finden ist. Nur für unsere Zerbinetta in „Ariadne“ gibt’s ein Cover, weil die Partie in unserer Fassung mit 500 Extratakten keiner kennt. Selbst wenn Elena Mosuc am Vortag absagte, könnte sonst am Abend nicht der Vorhang hochgehen.

Wie oft kommt es vor, dass jemand fünf Minuten vor der Vorstellung absagt?

Kaufmann: Das habe ich noch nie erlebt. Aber es kommt hin und wieder vor, dass Sänger ihre Stimme während der Aufführung verlieren. Das habe ich vor vielen Jahren in einem „Don Giovanni“ mitgemacht. Da konnte der Sänger des Komtur im zweiten Akt nicht mehr reden. Ich war der Ottavio, und weil ich eine recht gute Tiefe habe, hab ich mich beim Auftritt des Komturs in die Gasse gestellt und gesungen, während der Kollege nur den Mund bewegt hat. Hinterher haben ein paar Leute gesagt, das sei eine prima Idee gewesen, die Aufnahme eines guten Komturs laufen zu lassen. Aber wo bitte gibt es eine Aufnahme, die nur die Stimme des Komturs enthält?

„Ariadne auf Naxos“ ist Sprechtheater, Gesang und Tanz. Ist das schwierig? Müssen Sie als Sänger da achten, die Schauspieler nicht niederzusingen? So wie es bei Ihrem Auftritt als Bacchus passiert: Wenn Sie die ersten Töne singen, haut es Cornelius Obonya als Monsieur Jourdain ja vom Sessel.

Kaufmann: Schwierig war das gar nicht, es war eine harmonische Arbeit. Es gab viel gegenseitige Bewunderung. Wir Sänger sagten: Die spielen alle großartig! Und die Schauspieler sagten: Wahnsinn! Die Töne, die ihr herausbringt! Das war alles sehr befruchtend.

Wie gefällt Ihnen die um eine Rahmenhandlung mit Hugo von Hofmannsthal und Ottonie Degenfeld erweiterte Urfassung?

Kaufmann: Zuerst fand ich die Idee der Urfassung interessant. Dann aber hab ich Molières „Bürger als Edelmann“ gelesen und war etwas enttäuscht, das hatte ich mir ein bisserl spannender vorgestellt. Aber die Mischfassung, die Sven-Eric Bechtolf gemacht hat, ist super. Das Thema ist ja aktuell wie eh und je. Alle klagen über Kürzungen, der Staat dreht den Subventionshahn zu. Also muss man versuchen, sich von anderen das nötige Geld zu holen.

Von Neureichen wie Monsieur Jourdain?

Kaufmann: Zum Beispiel. Einige geben nur Geld. Andere nehmen Einfluss. In den USA kann es vorkommen, dass ein General Manager gefeuert wird, weil er nach Meinung der Großsponsoren die falschen Regisseure und die falschen Stücke bringt.

Was für eine Raubkatze sind Sie da als Bacchus? Sie machen das offenbar gern, sich anschleichen, anpirschen, abpassen?

Kaufmann: Zwei Argumente sprechen für diese Interpretation. Erstens: Das Kostüm ist angelehnt an all die Bilder von Bacchus, der sich in Tiere verwandeln konnte. Oft wird er mit einem Leoparden an seiner Seite dargestellt. Zweitens der Mythos: Bacchus ist ja auf einer Art Odysseus-Trip, er hatte zuvor unangenehme Erfahrungen mit Circe und ist gerade noch davongekommen. Jetzt, auf der nächsten Insel, hat er Angst, dass er der gleichen Zauberin auf den Leim geht – daher diese Scheu, wie ein Tier, das nicht weiß, ob es sich ans Feuer herantrauen soll.

Aber er bleibt nicht ängstlich.

Kaufmann: Nein. Plötzlich wird er sich seiner Vergangenheit und Herkunft bewusst. Da singt er: „Ich bin ein anderer, als ich war! Der Sinn des Gottes ist wach in mir.“ Er scheint durch die Begegnung mit Ariadne aufzuwachen, eine Verwandlung durchzumachen. Zuerst ist er der schüchterne Halbwilde, dann wächst er über sich hinaus durch diese Frau, diesen Kuss, was auch immer. Es ist ein Erwachsenwerden.

Als Bacchus geben Sie in Salzburg Ihr Rollendebüt. In der Szene in der Künstlergarderobe sitzen Sie mit Lockenwicklern! Ist das ein Debüt für Sie als Lockenkopf?

Kaufmann: Ja! Jetzt werden alle sagen: Wir haben’s gewusst, seine Locken sind nicht echt. Einige Kollegen haben mich getröstet: „Mit Lockenwicklern hat noch nie jemand so nett ausgeschaut wie du!“

Ist es schwierig, Ihre Locken auch noch aufzuwickeln?

Kaufmann: Es dauert ewig, bis diese Wickler drin sind. Die Maskenbildner wollen, dass das perfekt ausschaut. Ich sag immer: „Nicht so perfekt! Es soll doch aussehen, als ob ich’s selbst gemacht hätte.“ Aber die lassen mich nicht. Jetzt fehlt nur noch dieses Tuch drüber! Und ein Schönheitsfleck!

Um Ihre Naturlocken müssen wir uns also keine Sorgen machen?

Kaufmann: Nein, die bleiben! Erstaunlich ist aber, dass die nach den Lockenwicklern leichter zu bändigen sind als sonst. Aber das heißt sicher nicht, dass ich mir das künftig immer so machen lasse!

Könnte Salzburg Ihre Sommerresidenz werden? Nach Ihren vielen guten Erfahrungen an der Zürcher Oper wäre das keine Überraschung. 2013 mit Wagner und Verdi, 2014 mit Strauss gäbe es genug für Sie zu singen.

Kaufmann: Ja und nein. Alexander Pereira hat mir vieles angeboten, und ich werde einiges zusagen. Aber ob das so intensiv bleibt wie in diesem Sommer? Während der Sommerferien wäre ich doch mit meiner Familie gern öfter zusammen, als es jetzt möglich ist. Grundsätzlich aber möchte ich den Kontakt zu Salzburg pflegen. Der war ja leider eingeschlafen.

Hat dieses Einschlafen mit Stefan Herheims „Entführung aus dem Serail“ 2003 zu tun, in der Sie den Belmonte sangen?

Kaufmann: Auch, aber nicht nur. Wir Sänger hatten damals schwer zu kämpfen. Ich bin wiederholt angefeindet worden, sogar auf der Straße! Da hat mich einer erkannt und beschimpft: „Schämen S’ Ihna, bei uns ham die Straßenkehrer mehr G’fühl für Mozart als ihr!“ Das hat schon geschmerzt, und drum wollte ich bei der Wiederaufnahme der „Entführung“ nicht mehr dabei sein.

Was passierte damals aus Sicht der Sänger?

Kaufmann: Wir Künstler hatten das Gefühl, im Publikum hätten sich Leute zum Buhen verabredet. Das war nicht mehr spontan oder zufällig, das schien organisiert zu sein. Und für uns wurde es von Aufführung zu Aufführung schwieriger. Besonders arg war es einmal, als ich die „Baumeister-Arie“ zu singen hatte. Wir waren da alle als Maler gekleidet, mit Kappen, auf denen „Klaas“ draufsteht. Danach las ich in der Presse, so ein offensichtliches Product Placement sei unmöglich. Dabei ist Klaas der Schiffer, der steht ja im Libretto! Es war an diesem Abend wahnsinnig heiß. Über dem Frack trug ich noch einen Overall und die Mütze. Wir haben diese Szene drei Mal angefangen, und immer wieder wurden wir niedergebuht. Da hab ich gerufen: „Es steht jedem frei, nach Hause zu gehen.“ So ein Brüllen wie danach hab ich noch nie erlebt. Und am nächsten Tag war ich der „Pöbeltenor“. Dabei war es umgekehrt: Das Publikum hat uns angepöbelt!

Was hat sich seither verändert?

Kaufmann: Diese „Entführung“ war eine einmalige Situation. Trotzdem: Als Sänger mache ich bei Inszenierungen heute nicht mehr so viel mit wie früher. Jetzt traue ich mich zu sagen: Wisst ihr was, macht’s das ohne mich. In diesem Punkt hab ich meine Unbefangenheit verloren. Und das ist schade. Denn wir dürfen nicht im Bekannten verharren. Nur: Die Fortschritte müssen behutsam passieren, nicht mit der Brechstange. Die Oper ist ein kostbares, zerbrechliches Sujet.

 

 






 
 
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