Musikfreunde, Februar 2012
Das Gespräch führte Margot Weber.
Die Königsklasse des Singens - Jonas Kaufmann 
 

Seit einigen Jahren gehört er zu den Großen der Musikszene. Im Februar ist Jonas Kaufmann mit einem Liederabend zu Gast im Musikverein. Im Gepäck hat der gefeierte Verdi- und Wagner-Tenor dieses Mal ein eher leises Programm.

In der Welt der Oper gibt es viele Klischees. Eines davon besagt, dass nur italienische Tenöre ausreichend Schmelz mitbringen für das italienische Fach - vielleicht noch die spanisch-mexikanisch-argentinischen. Ein zweites lautet, dass man dem Publikum in Mailand, New York oder Paris keinen Deutschen als Latin Lover präsentieren könne. Ein Teutone, der international als Alfredo (La traviata) und Cavaradossi (Tosca) reüssiert? Bis vor einigen Jahren war das unvorstellbar.

Dann betrat Jonas Kaufmann das internationale Parkett. Von Zürich aus, wo der gebürtige Münchner seit der Jahrtausendwende im festen Engagement war, hatte er sich kontinuierlich sein Publikum ersungen. 2007 kam seine Solo-CD "Romantic Arias" auf den Markt, drei weitere sind seitdem gefolgt. Mittlerweile gibt es eine "Fidelio"-Einspielung unter Claudio Abbado mit ihm und diverse DVDs: eine "Tosca" aus Zürich, einen "Werther" aus Paris, einen "Lohengrin" aus München und eine "Carmen" aus London. Selbst eine Biographie ist bereits erschienen.

Dass der 42-Jährige ein herausragender Sänger und Schauspieler ist, darin sind sich Kritiker und Fans einig. Dass er daneben auch noch gut aussieht, schadet der Karriere zumindest nicht. Kein Wunder also, dass ein Kritiker der „New York Times" dem Sänger vor einiger Zeit lakonisch attestierte, er sei „currently the hottest tenor in opera". Ein Blick in Kaufmanns Terminkalender bestätigt das: Den November und Dezember 2011 verbringt er an der New Yorker Met, singt die Titelpartie in einer „Faust"-Neuproduktion; im Jänner steht ein neuer „Don Carlo" an der Bayerischen Staatsoper München an. Der Vorteil des Münchner Engagements: Kaufmann kann endlich einmal wieder im eigenen Bett schlafen - er lebt mit seiner Ehefrau, der Sängerin Margarete Joswig, und den drei gemeinsamen Kindern nach Jahren in der Schweiz nun wieder an der Isar.


Auf Ihrem Programm für den Musikverein stehen Lieder von Liszt, Mahler und Richard Strauss - und von Henri Duparc (1848-1933), einem Freund Camille Saint-Saens' und Ernest Chaussons. Drei bekannte Komponisten, ein eher unbekannter. Was mögen Sie an Duparc?

Ich halte ihn für einen hochinteressanten, aber unterschätzten Komponisten, der leider nur wenige Lieder geschrieben hat. Die Gedichte, die er vertont hat, sind zum größten Teil sehr ausladend, sehr blumig, atmosphärisch sehr dicht. Und in Kombination mit Duparcs Musik wirken diese Stücke so stark, dass man beim Zuhören - oder Singen - meint, Landschaften zu sehen und Düfte zu riechen. Es ist eine ganz besondere Eigenart von Duparc, dass man schon nach wenigen Takten die spezifische Atmosphäre eines Liedes fast mit Händen greifen kann.

Haben Sie unter den vieren einen Lieblingskomponisten?

Auch wenn diese vier ganz unterschiedlich an die Vertonung von Texten herangegangen sind, sind sie doch alle Meister im Genre Lied-Komposition. Insofern möchte ich mich nicht für einen Lieblingskomponisten entscheiden müssen. Bei Mahler ist es sicher die gesteigerte Emotionalität, die mich als Sänger vor allem reizt. Bei Liszt steht natürlich immer der Klaviervirtuose im Vordergrund, deshalb kommen Kammermusik und Lieder oft zu kurz. Seine Lieder sind längst nicht so bekannt, wie sie es aufgrund seiner Meisterschaft verdient hätten. Bei Strauss kann ich als Tenor mehr „zulangen" als bei anderen Komponisten, was mir ehrlich gesagt viel Spaß macht. Aber er hat auch immer wieder Phrasen, wo man mit ganz feinen Farben malen kann. Diese Kontraste zu gestalten empfinde ich als große Herausforderung. Außerdem gefällt mir in vielen Strauss-Liedern der Sinn für Humor, auch für Selbstironie.

Begleitet werden Sie von Helmut Deutsch - Sie beide verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Deutsch hat schon mit Ihnen musiziert, als Sie noch Student an der Münchner Musikhochschule waren.

Ja, er war mein Professor im Fach Liedgesang, wir kennen uns also schon seit über zwanzig Jahren. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis ist dann im Laufe der Jahre eine Partnerschaft entstanden, die ich als sehr harmonisch empfinde. Er ist immer noch mein Mentor in Sachen Lied: Er hat einen unschätzbaren Fundus an Wissen über Liedgesang und -repertoire, von dem ich seil Jahren profitiere und das im Grunde die Basis für unsere Programmgestaltung bildet.

Sie feiern Triumphe auf der Opernbühne. Warum reizt Sie daneben noch das - vielleicht sogar schwierigere - Lied?

Liedgesang ist für mich die Königsklasse des Singens. Lieder zu gestalten erfordert ein hohes Maß an technischer Fertigkeit und künstlerischer Sensibilität, was bei Opernpartien nicht unbedingt der Fall ist. Als Opernfigur ist man Teil einer Geschichte, als Liedsänger erzählt man an einem Abend über zwanzig verschiedene Geschichten. Mir macht es ungeheuren Spaß, an einem Abend so viele verschiedene Facetten zu zeigen -sprachlich, musikalisch, stilistisch und darstellerisch. Als Liedsänger kann man mit viel feineren Mitteln arbeiten, nicht zuletzt deshalb, weil sich beim Lied die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf Musik und Text konzentriert.

Auf der Opernbühne arbeitet ein Sänger mit einem Regisseur und mit einem Dirigenten, hat also Kollegen als Kontrollinstanz. Wie ist das beim Lied? Sind Sie da auf sich allein gestellt?

Ja, als Opernsänger ist man Teil eines großen Ganzen und kann schon mal ein Stück Verantwortung an den Regisseur oder den Dirigenten abgeben. Als Liedsänger ist man - zusammen mit dem Pianisten - allein verantwortlich. Das ist eine deutlich größere Belastung, die aber, wenn alles rund läuft, auch mit einer größeren Befriedigung belohnt wird. Und was die „Kontrollinstanz" betrifft, so sind Mitschnitte von Proben und Konzerten für mich immer hilfreich.

Erinnern Sie sich an ihr Wiener Debüt?

Natürlich! Das war für mich ein ganz großer Tag: eine„ Fledermaus" in der Volksoper mit Heinz Holecek als Frosch im Jahr 1997. Ich sang den Alfred und war ziemlich aufgeregt, denn das Wiener Publikum wird ja aufgrund seiner Sachkundigkeit und seiner starken Anteilnahme an künstlerischen Dingen von uns Sängern ebenso geliebt wie gefürchtet. Mein Debüt an der Staatsoper folgte neun Jahre später, am 12. Juni 2006, als Tamino in der„Zauberflöte".

Sind Sie, wie viele Münchner Studenten, in Ihrer Studienzeit eigentlich auch gelegentlich für Opern und Konzerte nach Wien gefahren? Haben Sie Erinnerungen an das Wiener Musikleben aus der Zuschauerperspektive?

In meiner Studienzeit, es muss im Jahr 1993 gewesen sein, gab es ein besonderes Erlebnis in Wien, das sich in dieser Art zum Glück nicht wiederholt hat. Von München aus ging es mit dem Bach-Chor Fürstenfeldbruck nach Wien, um dort eine Aufführung der „Johannespassion" zu geben. Ich sollte den Evangelisten und die Tenor-Arien singen. Das ganze Ensemble fuhr mit dem Bus dorthin, und aus irgendeinem Grund reiste ich mit dem Nachtzug nach. Etwa eine Stunde vor der Probe kam ich morgens am Westbahnhof an, nahm ein Taxi und sagte:„ Zur Peterskirche, bitte!" Großes Fragezeichen! Der Fahrer kannte keine Peterskirche, auch seine Kollegen nicht. In der Zeit vor Navi und Handy blieb uns natürlich nichts anderes übrig, als immer wieder Leute zu fragen und irgendwelchen vagen Hinweisen zu folgen. So irrten wir einige Zeit durch Wien, ich bekam sozusagen eine Stadtrundfahrt zu den schönsten Kirchen - Votivkirche, Stephansdom etc.-, bis wir endlich die Peterskirche fanden. Die Probe hatte natürlich schon längst begonnen, alle saßen schon auf glühenden Kohlen und warteten auf mich.

Als Zuschauer habe ich vor allem die Wiener Neujahrskonzerte im Musikvereinssaal in Erinnerung. Die Fernsehübertragung im Kreis der Familie zu schauen, das gehörte für uns zum Neujahrstag wie die Tanne zum Weihnachtsfest. Und es war auch immer ein besonderes Erlebnis: der prächtige Saal, die Philharmoniker, Dirigenten wie Boskovsky, Maazel, Karajan und Abbado, kleine Extras wie die Gewehrschüsse in der Polka „Auf der Jagd", das im Takt der Musik klatschende Publikum beim „Radetzky Marsch"- das alles hatte eine ganz besondere Ausstrahlung, und wir Kinder spürten instinktiv, dass klassische Musik in Wien eine stärkere Bedeutung hat als anderswo auf der Welt.

Markiert der kommende Liederabend Ihr Debüt im Musikverein?

Nein, ich habe dort bereits Konzerte gesungen, noch vor meinem Debüt an der Staatsoper. Aber es ist mein erster Liederabend im Musikverein, und ich freue mich riesig darauf, in diesem Saal mit der wunderbaren Akustik Lieder singen zu dürfen.

Träumt man eigentlich als Student manchmal davon, eines Tages in solch geschichtsträchtigen Räumen singen zu dürfen?

Meine Tagträume als Gesangsstudent hatten relativ wenig mit Musik zu tun, noch weniger mit Karriere (lacht). Aber wenn mich damals eine gute Fee gefragt hätte, an welchen Häusern ich am liebsten singen möchte, hätte ich drei magische Orte der Opernwelt genannt die Mailänder Scala, die Met und die Wiener Staatsoper.

 

 






 
 
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