Seit
einigen Jahren gehört er zu den Großen der Musikszene. Im Februar ist
Jonas Kaufmann mit einem Liederabend zu Gast im Musikverein. Im Gepäck
hat der gefeierte Verdi- und Wagner-Tenor dieses Mal ein eher leises
Programm.
In der Welt der Oper gibt es viele Klischees. Eines
davon besagt, dass nur italienische Tenöre ausreichend Schmelz
mitbringen für das italienische Fach - vielleicht noch die
spanisch-mexikanisch-argentinischen. Ein zweites lautet, dass man dem
Publikum in Mailand, New York oder Paris keinen Deutschen als Latin
Lover präsentieren könne. Ein Teutone, der international als Alfredo (La
traviata) und Cavaradossi (Tosca) reüssiert? Bis vor einigen Jahren war
das unvorstellbar.
Dann betrat Jonas Kaufmann das internationale
Parkett. Von Zürich aus, wo der gebürtige Münchner seit der
Jahrtausendwende im festen Engagement war, hatte er sich kontinuierlich
sein Publikum ersungen. 2007 kam seine Solo-CD "Romantic Arias" auf den
Markt, drei weitere sind seitdem gefolgt. Mittlerweile gibt es eine
"Fidelio"-Einspielung unter Claudio Abbado mit ihm und diverse DVDs:
eine "Tosca" aus Zürich, einen "Werther" aus Paris, einen "Lohengrin"
aus München und eine "Carmen" aus London. Selbst eine Biographie ist
bereits erschienen.
Dass der 42-Jährige ein herausragender Sänger
und Schauspieler ist, darin sind sich Kritiker und Fans einig. Dass er
daneben auch noch gut aussieht, schadet der Karriere zumindest nicht.
Kein Wunder also, dass ein Kritiker der „New York Times" dem Sänger vor
einiger Zeit lakonisch attestierte, er sei „currently the hottest tenor
in opera". Ein Blick in Kaufmanns Terminkalender bestätigt das: Den
November und Dezember 2011 verbringt er an der New Yorker Met, singt die
Titelpartie in einer „Faust"-Neuproduktion; im Jänner steht ein neuer
„Don Carlo" an der Bayerischen Staatsoper München an. Der Vorteil des
Münchner Engagements: Kaufmann kann endlich einmal wieder im eigenen
Bett schlafen - er lebt mit seiner Ehefrau, der Sängerin Margarete
Joswig, und den drei gemeinsamen Kindern nach Jahren in der Schweiz nun
wieder an der Isar.
Auf Ihrem Programm für den
Musikverein stehen Lieder von Liszt, Mahler und Richard Strauss - und
von Henri Duparc (1848-1933), einem Freund Camille Saint-Saens' und
Ernest Chaussons. Drei bekannte Komponisten, ein eher unbekannter. Was
mögen Sie an Duparc?
Ich halte ihn für einen
hochinteressanten, aber unterschätzten Komponisten, der leider nur
wenige Lieder geschrieben hat. Die Gedichte, die er vertont hat, sind
zum größten Teil sehr ausladend, sehr blumig, atmosphärisch sehr dicht.
Und in Kombination mit Duparcs Musik wirken diese Stücke so stark, dass
man beim Zuhören - oder Singen - meint, Landschaften zu sehen und Düfte
zu riechen. Es ist eine ganz besondere Eigenart von Duparc, dass man
schon nach wenigen Takten die spezifische Atmosphäre eines Liedes fast
mit Händen greifen kann.
Haben Sie unter den vieren einen
Lieblingskomponisten?
Auch wenn diese vier ganz
unterschiedlich an die Vertonung von Texten herangegangen sind, sind sie
doch alle Meister im Genre Lied-Komposition. Insofern möchte ich mich
nicht für einen Lieblingskomponisten entscheiden müssen. Bei Mahler ist
es sicher die gesteigerte Emotionalität, die mich als Sänger vor allem
reizt. Bei Liszt steht natürlich immer der Klaviervirtuose im
Vordergrund, deshalb kommen Kammermusik und Lieder oft zu kurz. Seine
Lieder sind längst nicht so bekannt, wie sie es aufgrund seiner
Meisterschaft verdient hätten. Bei Strauss kann ich als Tenor mehr
„zulangen" als bei anderen Komponisten, was mir ehrlich gesagt viel Spaß
macht. Aber er hat auch immer wieder Phrasen, wo man mit ganz feinen
Farben malen kann. Diese Kontraste zu gestalten empfinde ich als große
Herausforderung. Außerdem gefällt mir in vielen Strauss-Liedern der Sinn
für Humor, auch für Selbstironie.
Begleitet werden Sie
von Helmut Deutsch - Sie beide verbindet eine langjährige
Zusammenarbeit. Deutsch hat schon mit Ihnen musiziert, als Sie noch
Student an der Münchner Musikhochschule waren.
Ja, er
war mein Professor im Fach Liedgesang, wir kennen uns also schon seit
über zwanzig Jahren. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis ist dann im Laufe
der Jahre eine Partnerschaft entstanden, die ich als sehr harmonisch
empfinde. Er ist immer noch mein Mentor in Sachen Lied: Er hat einen
unschätzbaren Fundus an Wissen über Liedgesang und -repertoire, von dem
ich seil Jahren profitiere und das im Grunde die Basis für unsere
Programmgestaltung bildet.
Sie feiern Triumphe auf der
Opernbühne. Warum reizt Sie daneben noch das - vielleicht sogar
schwierigere - Lied?
Liedgesang ist für mich die
Königsklasse des Singens. Lieder zu gestalten erfordert ein hohes Maß an
technischer Fertigkeit und künstlerischer Sensibilität, was bei
Opernpartien nicht unbedingt der Fall ist. Als Opernfigur ist man Teil
einer Geschichte, als Liedsänger erzählt man an einem Abend über zwanzig
verschiedene Geschichten. Mir macht es ungeheuren Spaß, an einem Abend
so viele verschiedene Facetten zu zeigen -sprachlich, musikalisch,
stilistisch und darstellerisch. Als Liedsänger kann man mit viel
feineren Mitteln arbeiten, nicht zuletzt deshalb, weil sich beim Lied
die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf Musik und Text konzentriert.
Auf der Opernbühne arbeitet ein Sänger mit einem Regisseur
und mit einem Dirigenten, hat also Kollegen als Kontrollinstanz. Wie ist
das beim Lied? Sind Sie da auf sich allein gestellt?
Ja,
als Opernsänger ist man Teil eines großen Ganzen und kann schon mal ein
Stück Verantwortung an den Regisseur oder den Dirigenten abgeben. Als
Liedsänger ist man - zusammen mit dem Pianisten - allein verantwortlich.
Das ist eine deutlich größere Belastung, die aber, wenn alles rund
läuft, auch mit einer größeren Befriedigung belohnt wird. Und was die
„Kontrollinstanz" betrifft, so sind Mitschnitte von Proben und Konzerten
für mich immer hilfreich.
Erinnern Sie sich an ihr Wiener
Debüt?
Natürlich! Das war für mich ein ganz großer Tag:
eine„ Fledermaus" in der Volksoper mit Heinz Holecek als Frosch im Jahr
1997. Ich sang den Alfred und war ziemlich aufgeregt, denn das Wiener
Publikum wird ja aufgrund seiner Sachkundigkeit und seiner starken
Anteilnahme an künstlerischen Dingen von uns Sängern ebenso geliebt wie
gefürchtet. Mein Debüt an der Staatsoper folgte neun Jahre später, am
12. Juni 2006, als Tamino in der„Zauberflöte".
Sind Sie,
wie viele Münchner Studenten, in Ihrer Studienzeit eigentlich auch
gelegentlich für Opern und Konzerte nach Wien gefahren? Haben Sie
Erinnerungen an das Wiener Musikleben aus der Zuschauerperspektive?
In meiner Studienzeit, es muss im Jahr 1993 gewesen sein, gab es ein
besonderes Erlebnis in Wien, das sich in dieser Art zum Glück nicht
wiederholt hat. Von München aus ging es mit dem Bach-Chor
Fürstenfeldbruck nach Wien, um dort eine Aufführung der
„Johannespassion" zu geben. Ich sollte den Evangelisten und die
Tenor-Arien singen. Das ganze Ensemble fuhr mit dem Bus dorthin, und aus
irgendeinem Grund reiste ich mit dem Nachtzug nach. Etwa eine Stunde vor
der Probe kam ich morgens am Westbahnhof an, nahm ein Taxi und sagte:„
Zur Peterskirche, bitte!" Großes Fragezeichen! Der Fahrer kannte keine
Peterskirche, auch seine Kollegen nicht. In der Zeit vor Navi und Handy
blieb uns natürlich nichts anderes übrig, als immer wieder Leute zu
fragen und irgendwelchen vagen Hinweisen zu folgen. So irrten wir einige
Zeit durch Wien, ich bekam sozusagen eine Stadtrundfahrt zu den
schönsten Kirchen - Votivkirche, Stephansdom etc.-, bis wir endlich die
Peterskirche fanden. Die Probe hatte natürlich schon längst begonnen,
alle saßen schon auf glühenden Kohlen und warteten auf mich.
Als
Zuschauer habe ich vor allem die Wiener Neujahrskonzerte im
Musikvereinssaal in Erinnerung. Die Fernsehübertragung im Kreis der
Familie zu schauen, das gehörte für uns zum Neujahrstag wie die Tanne
zum Weihnachtsfest. Und es war auch immer ein besonderes Erlebnis: der
prächtige Saal, die Philharmoniker, Dirigenten wie Boskovsky, Maazel,
Karajan und Abbado, kleine Extras wie die Gewehrschüsse in der Polka
„Auf der Jagd", das im Takt der Musik klatschende Publikum beim
„Radetzky Marsch"- das alles hatte eine ganz besondere Ausstrahlung, und
wir Kinder spürten instinktiv, dass klassische Musik in Wien eine
stärkere Bedeutung hat als anderswo auf der Welt.
Markiert der kommende Liederabend Ihr Debüt im Musikverein?
Nein, ich habe dort bereits Konzerte gesungen, noch vor meinem Debüt
an der Staatsoper. Aber es ist mein erster Liederabend im Musikverein,
und ich freue mich riesig darauf, in diesem Saal mit der wunderbaren
Akustik Lieder singen zu dürfen.
Träumt man eigentlich
als Student manchmal davon, eines Tages in solch geschichtsträchtigen
Räumen singen zu dürfen?
Meine Tagträume als
Gesangsstudent hatten relativ wenig mit Musik zu tun, noch weniger mit
Karriere (lacht). Aber wenn mich damals eine gute Fee gefragt hätte, an
welchen Häusern ich am liebsten singen möchte, hätte ich drei magische
Orte der Opernwelt genannt die Mailänder Scala, die Met und die Wiener
Staatsoper.