Focus Online, 18. August 2011
von FOCUS-Redakteurin Christine Eichel
Star-Tenor Jonas Kaufmann - "Fett schwingt nicht“ 
 
Der Tenor Jonas Kaufmann gehört zu den Weltstars der Klassik seit er 2006 in „La Traviata“ an der New Yorker Metropolitan Opera debütierte. Im FOCUS-Online-Interview spricht er über Politik, Yoga und die Gründe, warum Sänger kein Sixpack haben.

FOCUS Online: Herr Kaufmann, Ihre Karriere ist ungewöhnlich, weil es immer wieder „magische Momente“ gab, wie bei Ihrem Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera. Vor kurzem muss es wieder so einen Moment in der Met gegeben haben, während der Walküre...

Jonas Kaufmann: Wenn dieses Haus anfängt zu toben und das Publikum ausrastet, ist das unglaublich. Die Leute sind hochgesprungen und haben gebrüllt, als ob ich irgendeine Pop-Nummer gesungen hätte. Es war eine Reaktion, wie man sie für Wagner eigentlich nicht erwartet, und schon gar nicht nach dem ersten Akt.

FOCUS Online: War es eine Art Déjà-vu?

Kaufmann: Ja, ich fühlte mich wieder an diesen anderen Moment 2006 erinnert, der mir bis heute eine Gänsehaut über den Rücken jagt, denn ich war genauso unvorbereitet wie damals. Jetzt sang ich zum ersten Mal die Partie des Siegmund in der Walküre und war mir nicht sicher, ob es ein Erfolg werden würde. Die Probenzeit war eher schwierig gewesen, mit einem sehr unerfahrenen Regisseur, was Oper betrifft, und mit einem gesundheitlich angeschlagenen James Levine. Ich hatte mir zwischendurch große Sorgen gemacht. Umso glücklicher war ich über den Jubel.

FOCUS Online: Haben Sie jemals eine Schwelle empfunden als deutscher Künstler in New York?

Kaufmann: Überhaupt nicht. Dieses Eis ist vor vielen, vielen Jahren gebrochen worden. Karajan ist noch mit Demos empfangen worden, dass er verschwinden solle. Allerdings gehörte er auch der Kriegsgeneration an und war gleich zweimal Parteimitglied geworden. Wie heißt es so schön? Ich verfüge über die „Gnade der späten Geburt“. Man darf aber nicht vergessen, dass das musikalische Establishment in New York wie in vielen anderen amerikanischen Städten europäische Wurzeln hat, auch durch jüdische Emigranten. Da ist man schon sensibler, vor allem dann, wenn es um Wagner geht. Vorher hatte ich in New York Unverfängliches gesungen, Tosca, Carmen, Zauberflöte, Traviata. Und nun die Walküre? Das war ein Wagnis.

FOCUS Online: Wagner ist immer noch ein Politikum?

Kaufmann: Ein israelischer Journalist hat mich einmal gefragt, was ich von dem Boykott der Musik Wagners in Israel halte. Ehrlich gesagt, halte ich nicht sehr viel davon. Zwar ist es richtig, dass die Wagnersche Musik von den Nazis missbraucht wurde und Wagner selbst eine antisemitische Ideologie vertreten hat. Aber wenn ich beispielsweise ein Bild kaufe, dann ja nicht, weil ich die politische Überzeugung des Künstlers unterstützen möchte, sondern, weil mir das Bild gefällt. Meiner Meinung gilt das gleiche für die Musik. Man sollte das Werk vom Künstler trennen, und Wagners Musik ist einfach zu schön und zu wichtig, um sie einfach auszublenden.

FOCUS Online: Heute liegen Operninszenierungen häufig in den Händen von Regisseuren, die vom Theater kommen und nicht immer Musikspezialisten sind. Stört Sie das?

Kaufmann: Es stört mich dann, wenn ein Regieeinfall nicht zur Musik passt. Vor kurzem musste ich innerhalb weniger Takte die Kleidung mit einer Sängerin tauschen, was in dem engen Zeitfenster gar nicht möglich war. Der Regisseur schlug daraufhin vor, der Dirigent können an dieser Stelle ja das Tempo drosseln – absurd! Da hört der Spaß auf. In dem Moment, wo die musikalische Interpretation manipuliert wird, aufgrund von szenischen Ideen, ist für mich eine Grenze erreicht.

„Heute kann mir niemand mehr etwas vorschreiben“

FOCUS Online: Ist die Oper der falsche Platz, um experimentell zu arbeiten?

Kaufmann: Das Problem dabei ist: Anders als im Schauspiel existiert nicht nur ein Text, der in sehr viele Richtungen interpretiert werden kann, in der Oper kommt erschwerend die Musik dazu. Es ist sozusagen eine Programm-Musik, die genau auf bestimmte Situationen, Handlungen und Gefühle hin geschrieben wurde. Deshalb ist es schwierig, ein Stück vollkommen umzudrehen und in etwas anderes zu verwandeln. Die Musik passt dann nicht mehr dazu oder wird sogar als störend empfunden.

FOCUS Online: Einen großen Teil des Jahres leben Sie in Hotelzimmern. Haben Sie irgendetwas im Gepäck, was Ihnen heimatliche Gefühle vermittelt?

Kaufmann: Ja, mein iPod. Der Speicher ist ziemlich groß, ich könnte vierhundert Tage lang 24 Stunden die Musikstücke hören, die ich am meisten liebe, je nach Stimmung und Gelegenheit.

FOCUS Online: Hören Sie privat auch Pop-Musik?

Kaufmann: In meiner Jugend habe ich natürlich nicht ausschließlich Klassik gehört, aus der Zeit sind viele Sachen hängengeblieben. Mittlerweile habe ich Kinder, die immer das Neueste haben wollen, was ich ihnen dann per iTunes besorge: Pink, Katy Perry, Lady Gaga oder Madonna. So bleibe ich selbst auf dem Laufenden.

FOCUS Online: Hat die Popmusik Einfluss auf die Gesangskultur der klassischen Musik?

Kaufmann: Es gibt durchaus Stimmen in der klassischen Musik, die leicht angeraut sind – wie in der Popmusik – und deshalb attraktiv und auch erotisch wirken. Aber das funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn ich wie Louis Armstrong mit den Stimmlippen und nicht mit den Stimmbändern singe, halte ich keinen Opernabend durch. Aber auch in der Klassik gibt es Moden. Zur Zeit beispielsweise ist der Barock wieder en vogue, da sind leichtere, frischere Stimmen plötzlich viel gefragter als dunkle, kräftige.

FOCUS Online: Es scheint, als seien Sie solchen Schubladen entkommen.

Kaufmann: Ich hatte das Glück, eine Technik zu erlernen, durch die ich in den drei wichtigsten Bereichen zuhause und erfolgreich bin: im französischen, im italienischen und im deutschen Fach. Eines meiner absoluten Vorbilder, was Interpretation und emotionale Unterfütterung betrifft, ist Fritz Wunderlich. Es war einzigartig, wie er es geschafft hat, in jeden Ton seine ganze Seele hineinzulegen. Durch seinen frühen Tod hatte er leider nicht die Chance, seine großen Repertoiremöglichkeiten zu beweisen.

FOCUS Online: Ist der Eindruck richtig, dass Generalisten wie Sie seltener geworden sind? Der Musikmarkt scheint kleinteiliger und spezialisierter geworden zu sein…

Kaufmann: …ganz klar, Musiker und auch Sänger werden heute mehr im Sinne eines Erfolgsrezepts vermarktet. Man versucht, sie in einer Nische zu etablieren und so hoch zu pushen, dass sie einfach ein Muss sind, wenn es um spezielle Genres wie Barockoper oder Kunstlied geht. Ich habe das von Anfang an als problematisch empfunden. Wenn man sich einmal einen Namen in einer ganz speziellen Nische gemacht hat, wird man sich nur schwerlich daraus befreien können.

FOCUS Online: Welche Rolle spielen die Platten-Labels, die ja an klaren Positionierungen interessiert sind?

Kaufmann: Ich hatte das Glück, dass ich eher spät in die Plattenproduktion eingestiegen bin, bis auf ein paar Mitschnitte. Das war eine bewusste Entscheidung, weil ich Angst hatte, dass ich bei einer frühen Kommerzialisierung nur noch einem Marketingkonzept hätte folgen müssen. Heute kann mir niemand mehr etwas vorschreiben.

„Das Geistige spielt eine große Rolle“

FOCUS Online: Würden Sie jüngeren Kollegen also raten, nicht zu früh Schallplattenverträge abzuschließen?

Kaufmann: Auf jeden Fall. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Da bekommt ein junger Mensch einen Plattenvertrag, der ihn mit der großen Marketing-Rührmaschine an die Spitze der Klassik spült. Über Nacht spürt er einen enormen Druck, weil er live in jeder Aufführung beweisen muss, dass er seine Position auch wert ist – die vielleicht eher einer großen Kampagne geschuldet ist. Auf einen Anfangserfolg allein lässt sich schwerlich die ganze Karriere aufbauen. Das heißt, man muss im Nachhinein die Vorschusslorbeeren mit Leistung unterfüttern, um zu beweisen, dass man auch wirklich diesem Status entspricht. Viel sinnvoller ist es, dass man sich selbst mit seinen stimmlichen Möglichkeiten im „normalen“ Markt seinen Platz erarbeitet und erst anschließend eine Plattenkarriere aufbaut.

FOCUS Online: Aber auch bei Ihnen ist der Erwartungsdruck des Publikums riesig. Können Sie jeden Abend 100 Prozent geben?

Kaufmann: Nein, natürlich nicht. Wir sind ja auch nur Menschen. Hat man schlecht geschlafen, ist erkältet, hat vielleicht auch irgendwelche privaten Probleme, dann beeinflusst das die Stimme. Vor allem das Geistige spielt eine große Rolle. Je mehr ich in mir ruhe, je selbstsicherer ich bin, desto weiter kann ich mich in einen fremden Charakter hinein wagen, umso mehr kann ich mich aus dem Fenster lehnen, mein Inneres aufschließen und meine Gefühle zeigen. Wenn ich jedoch mit Konflikten belastet bin, dann möchte ich lieber für mich bleiben und nicht so viel von mir präsentieren, weil ich dann vielleicht Angst habe, alle würden meine Probleme sehen.

FOCUS Online: Wie halten Sie sich mental fit? Machen Sie Yoga für Ihre innere Stabilität?

Kaufmann: Ja, das tue ich. Yoga ist ein guter Weg, um Körper und Geist in Einklang zu bringen. Es ist ein Zustand, in dem man die Verbindung zum Körper spürt. Das ist ungeheuer wichtig, glaube ich, weil wir natürlich oft zu sehr vom Kopf gesteuert sind. Außerdem aktiviert Yoga die Atemhilfsmuskulatur. Auch der Kreislauf wird angeregt.

FOCUS Online: Was ist für Sie das schlimmste Stimmgift?

Kaufmann: Neben Zigarettenrauch fürchte ich mich vor künstlichem Rauch auf der Bühne. Der kann die Schleimhäute austrocknen, und plötzlich hat man überhaupt keine Kraft mehr in der Stimme. Aber damit muss man leben, und wenn man viel trinkt, Wasser natürlich, kann man gegensteuern. An Tagen mit Vorstellungen trinke ich bis zu fünf Liter, leicht gesalzen, weil mit dem vielen Wasser Mineralstoffe aus dem Körper geschwemmt werden.

FOCUS Online: Worauf verzichten Sie der Stimme zuliebe?

Kaufmann: Ich liebe Rotwein, muss aber feststellen, dass ich am nächsten Tag nicht vernünftig singen kann. Das ist halt so, vermutlich liegt es am Tannin. Aber mein Gott, wenn das alles ist ...(lacht).

FOCUS Online: Wie steht es mit Ihrer Fitness? Verfügt ein gestählter Körper über die bessere Stimme?

Kaufmann: Nein, denn ein Gutteil der Klangfülle, die man erzeugen kann, wird durch Entspannung hervorgerufen. Es muss eine Tiefenatmung stattfinden, bei der das Zwerchfell unten gehalten wird und eine möglichst lange Luftsäule entsteht.

FOCUS Online: …Moment, noch einmal fürs Protokoll: Ein Sixpack gefährdet den guten Ton?

Kaufmann: …genau. Je mehr ich verkrampfe, je mehr das Gewebe tendenziell fest ist, desto weniger kann es schwingen. Ich habe noch keinen Tenor kennengelernt, der einen voll durchtrainierten Körper und eine gesunde, große Stimme hatte. Muskeln und auch Fett sind kontraproduktiv. Der inzwischen verstorbene Sänger Peter Hofmann wurde einmal gefragt: Sie sehen so gut aus, so schlank und rank und haben trotzdem eine große Stimme. Wie kann denn das sein, man denkt doch, Sänger müssten so aussehen wie Pavarotti? Hofmann antwortete lapidar: Das ist physikalisch ganz einfach: Fett schwingt nicht. (lacht)






 
 
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