OÖNachrichten, 21. Dezember 2010
Jonas Kaufmann im OÖN-Interview: „Seele mit Gefühlen füttern“ 
 

Er zählt zu den weltweit begehrtesten Tenören. Am 17. Jänner kommt Jonas Kaufmann für vier „Werther“-Vorstellungen wieder an die Staatsoper. Am 6. August tritt er in der Wiener Stadthalle beim „Gipfeltreffen der Stars“ neben Anna Netrebko und Erwin Schrott auf.

OÖN: Der „stern“ schrieb über Sie: „Der Ideal-Tenor. Er ist sexy wie Brad (Pitt), hat Locken wie Antonio (Banderas), kann spielen wie George (Clooney) und singen wie sonst keiner.“ Wie gefällt Ihnen das?

Kaufmann: Schmeichelhaft. Oder?

OÖN: Sie singen Wagner ebenso wie französisches und italienisches Repertoire. Es gibt Stimmen wie: „Hoffentlich passiert ihm nicht eines Tages mit der Karriere dasselbe wie dem eben tragisch verstorbenen Peter Hofmann!“ Haben Sie je solche Ängste gehabt?

Kaufmann: Wenn man gewisse Entscheidungen trifft, kann man nie ausschließen, dass man strauchelt. Da muss man notfalls handeln und schnell den Stecker ziehen. Denn letztendlich ist man nichts und niemandem mehr verpflichtet als seiner Stimme. Ein Plácido Domingo etwa hat das immer geschafft.

OÖN: Sie gelten, was Wagner betrifft, als Gegenteil dessen, was George Bernard Shaw einst als „Bayreuther Gebell“ bezeichnete?

Kaufmann: Immer wieder haben Musikwissenschafter betont, dass Wagner seine Partien auf der Basis des klassischen Belcanto gesungen haben wollte. Dass er überhaupt kein Freund des „Sprechgesanges“ war, der nach seinem Tod in Bayreuth kultiviert wurde. Wagner zu „schreien“, ist absolut falsch. Sein Ideal war die Verbindung zwischen „deutscher“ Ausdruckstiefe und italienischer Gesangskultur.

OÖN: Nach dem diesjährigen Bayreuther „Lohengrin“ hat man Sie mit Hymnen gefeiert. 2003 sind Sie bei den Salzburger Festspielen dem Regietheater des Stefan Herheim bei der „Entführung aus dem Serail“ entflohen. Bei Hans Neuenfels, der „Lohengrin“ inszenierte, sind Sie aber ebendort gelandet?

Kaufmann: Es geht nicht darum, dass ich Regietheater total ablehne. Es gibt nur gewisse Grenzen, wenn es zum Schmarrn wird, wenn der Zuschauer nicht mehr weiß, worum es geht. Das war in Salzburg der Fall.

OÖN: Zurück zur Stimme. Wie schützt man sie am besten?

Kaufmann: Man kann die Karriere durch eigenes Zutun gestalten. Das heißt, durch langsame Entwicklung. Ich bin stets bemüht, auf die Bremse zu treten. Reichhaltiger Erfahrungsschatz ist wichtiger, als jedem Hype zu folgen, sich mit jeder neuen Chance zu infizieren.

OÖN: Wie ist das bei einem Ereignis wie dem „Gipfeltreffen der Stars“ am 6. August in der Wiener Stadthalle, wo Sie mit Anna Netrebko und Erwin Schrott einen Abend bestreiten?

Kaufmann: Ganz gewiss ist es doppelt bitter, wenn man einen solchen Abend absagen muss. Da darf man sich nur ja nicht sagen: Irgendwie muss es gehen! Nein, das darf einfach nicht sein. Denn neue Stimmbänder kann ich mir ja nicht kaufen, und auch das Publikum darf nicht böse sein. So jung und volltrunken zu sein, dass man den Verstand ganz vergisst, ist nicht erlaubt. Da muss ich mir dann unbedingt zwei Dinge vor Augen halten: dass ich nicht unzerstörbar und dass ich nicht unersetzlich bin. Im Fall des Falles ist also eine Absage noch immer das Beste.

OÖN: Kennen Sie Netrebko und Schrott auch privat gut?

Kaufmann: Mit beiden Sängern hatte ich wunderbare gemeinsame Engagements, und ich bin mir sicher, dass uns die Konzerte im Sommer – insgesamt sind es drei – einen Riesenspaß machen werden.

OÖN: Ihr aktuelles Album betitelt sich „Verismo Arias“?

Kaufmann: Es ist eine Sammlung ohne Verdi und ohne Puccini, den Begründer des Verismo. Ich wollte zeigen, dass es da ein paar bedeutende Zeitgenossen mehr gab. Leoncavallos „La Bohème“ zum Beispiel halte ich für absolut bühnentauglich. Oder: Zandonais unbekannter Monolog in der Gruftszene der Oper „Giulietta e Romeo“. Das ist ein Stück, das ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Ich glaube nicht, dass man noch mehr Emotion in Musik packen kann.

OÖN: Was taugt Ihnen am Verismo?

Kaufmann: Seele und Leidenschaft. Es hat mir Vergnügen gemacht, dieses Emotionspaket zu schnüren. Und wenn man das singt, braucht man wirkliche Gefühle. Da kann man nichts fingieren und sich einfach durchlavieren. Wer das versucht, ist tot. Die Seele muss mit Gefühlen gefüttert sein, die Arien gehen dann ganz schön ans Gemüt. Gelingt das, fällt man in ein gemachtes Bett.

OÖN: Neben diesem Album gibt es Ihren Pariser „Werther“ derzeit auf DVD?

Kaufmann: In Paris habe ich mich dieser Partie zum allerersten Mal genähert. Eine riskante Geschichte, in der Höhle des Löwen, der Opéra Bastille – mit lauter Franzosen rundherum. Ich meine: Der deutsche Text liegt einem noch aus der Schulzeit schwer im Kopf. Diese Wankelmütigkeit mit Schwärmen und Träumen und das Gleiten in die Depression in französischer Sprache – gar nicht so einfach. Aber am Ende hat es mir unendlich getaugt, wir haben das richtig zelebriert. Das war eine phänomenale Sache. Beim Tod am Schluss hat es auch mich selbst geschaudert.

 

 






 
 
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