So,
wie er aussieht, könnte er geradewegs einem venezianischen Fresko
entstiegen sein. Braune Augen und dunkle Locken: die perfekte Besetzung
für die Liebhaberrollen in Opern. Aber Jonas Kaufmann (41) ist
waschechter Münchner, verheiratet, Vater dreier Kinder. Seine
Sprechstimme klingt jungenhaft hell, seine Laune ist strahlend - auch
jetzt beim Gespräch mit HÖRZU. Kein Wunder: Kaufmann gilt als Sänger mit
Potenzial zum Weltstar.
HÖRZU:
Herr Kaufmann, Sie sind der schönste Tenor Deutschlands.
Neee, wirklich, das hat mir noch keiner gesagt!
Wie lebt es
sich mit diesem Etikett?
Ein Produkt, das nicht nur einen
guten Inhalt, sondern auch eine attraktive Verpackung hat, verkauft sich
einfach besser. Problematisch wird es nur, wenn hinter der Fassade die
Leistung in den Schatten tritt.
Kennen Sie solche Vorurteile?
Anfangs gab es sie schon. Als die erste CD erschien, waren
gerade Fachleute eher abgeschreckt. Nach dem Motto: Das ist so ein
Schönling, das kann nichts sein. Die haben sich meine Arbeit nicht mal
angehört. Das hat sich geändert.
Sie haben Verpflichtungen
für die kommenden fünf Jahre, auf Ihrer neuen CD mit italienischen Arien
gehen Sie stimmlich in die Vollen. Was bedeutet eigentlich der Titel „
Verismo Arias" genau?
Das ist ein ab 1890 in Italien
üblicher Opernstil, bei dem man vor allem an Puccini denkt. Es gibt aber
noch viele andere Perlen. Typisch ist, dass zum ersten Mal intensive
Gefühle gezeigt werden. Vorher wurde die Contenance gewahrt, da waren
die Geschichten eher in adeligen Kreisen angesiedelt. Bei den „wahren
Arien" ist es so, als öffnest du eine Box, und die Emotionen springen
dir entgegen.
Liegt Ihnen so viel Pathos denn?
Man kann das nicht halb machen. Wenn es mir insgeheim peinlich wäre,
mein Innerstes nach außen zu kehren, dann bräuchte ich's gar nicht zu
machen. Das würde man sofort hören. Bei dieser Kunst muss ich die Hand
ins Feuer legen und sagen: Ich bin mit ganzem Herzen dabei!
Gibt es ein sängerisches Risiko?
Auf der Bühne kann ich in
eine Art Adrenalinrausch geraten. Dann muss ich sehr aufpassen, dass ich
nicht ein derartiges Fass aufmache - und anschließend die nächsten 14
Tage stimmkrank bin. Deshalb brauche ich Beobachter - oft ist es meine
Frau. Die sitzt dann in den Aufführungen und warnt mich: An dieser
Stelle pass auf!
Was könnte denn passieren?
Man
verliert die Kontrolle über sein Zwerchfell und gibt zu viel Druck da
rein. Das kann Unheil bringen, manchmal umgehend.
Angst vor
dem Versagen hat schon viele Kollegen gebeutelt, zuletzt Rolando
Villazón. Wie wappnen Sie sich?
Angst ist der größte Feind
des Sängers, weil Anspannung die Tiefenatmung verhindert. Bei mir dreht
sich die Spirale gottlob andersherum: Durch positive Erfahrungen bekomme
ich mehr Ruhe, kann mich lockerer und weicher singen. Außerdem mache ich
vor jedem Auftritt Yogaübungen. Die fokussieren und weiten den
Brustraum.
Mussten Sie Konzerte schon absagen?
Zweimal Lohengrin in Bayreuth und einen Liederabend in Salzburg. Ich war
erkältet. Es nützt ja nichts: Ich habe nur dieses eine Instrument, und
für kein Geld der Welt kann ich mir ein neues kaufen.
Sie
sind mit Musik aufgewachsen: Ihr Großvater spielte Klavier, Ihr Vater
ging oft ins Konzert und legte Klassikplatten auf. Wie wichtig sind
Vorbilder?
Nur wenn ich als Kind schon den Virus der Musik
in mir habe, interessiere ich mich auch als Erwachsener dafür und habe
keine Hemmschwelle. Mit fünf wollte ich Klavierunterricht nehmen wie
meine Schwester Katrin. Das war leider nicht möglich. Stattdessen habe
ich im Kinderchor gesungen. Seit dem weiß ich: Musik ist aus meinem
Leben nicht mehr wegzudenken.
Wie halten Sie es mit dem
Musikunterricht bei Ihren Kindern?
Ich singe mit ihnen, die
musizieren auch, aber ohne Druck. Ich will Anstöße geben und die Mittel
bereitstellen. Ob sie aktive oder passive Musikgenießer werden, ist mir
egal. Aber sie sollen wissen, was für ein Schatz die Musik ist.
Von Ihren Eltern, die regelmäßig in Italien Urlaub machten,
übernahmen Sie die Liebe zur italienischen Lebensart. Jetzt aber trinken
Sie Tee. Was ist passiert?
Ich geb's ja zu: Was Kaffee
angeht, bin ich ein wenig speziell.
Wie muss er denn
zubereitet sein?
Zunächst mal bestelle ich italienische
Röstungen in meiner speziellen Mischung. Dann benutze ich eine
Siebträgermaschine, die mit Kolbendruck funktioniert. Dieser Apparat
wird glühend heiß. So muss es sein.
Keine Chance für
Automatengebräu?
Nein, das tue ich mir nicht an.
INTERVIEW: ANGELA MEYER-BARG JONAS KAUFMANN: VERISMO ARIAS ARIEN aus
,.La Boheme"..,Giulietta e Romeo" und anderen Opern. Dirigent: Antonio
Pappano. Decca