Berner Zeitung, 20. Oktober 2010
Autor: Interview: Reinhold Hönle
Ich leiste mir diese Steuern  
 

Letzten Frühling sind Sie von Zürich nach München gezogen. Was hat Sie zum Wegzug aus der Schweiz bewogen?

Jonas Kaufmann: Ich wurde in München geboren, bin hier aufgewachsen und habe hier studiert. Hier habe ich meine erste Oper erlebt und meine ersten Schritte auf einer Opernbühne gemacht. In den 15 Jahren seit meinem Engagement in Saarbrücken bis 2009 war ich jedoch nur bei drei Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper beteiligt. Da können Sie sich vorstellen, dass jetzt ein gewisser Nachholbedarf besteht.

Wie empfinden Sie die Umstellung?

Ich mag die Mentalität meiner Landsleute, die ein bisschen «granteln» und angeblich unfreundlich sind, in Wahrheit aber nur so tun (lacht). Im Gegensatz zu vielen Schweizern sind die meisten Bayern - wenn ich das ... so sagen darf - extrem offen und kontaktfreudig. Das hat mir in Zürich etwas gefehlt, obwohl ich dort inzwischen auch viele Bekannte und Freunde habe.

Welche Rolle spielte bei diesem Entscheid Ihre Familie?

Da das Leben als Opernsänger sowieso etwas unstet ist, war ich froh, als das Angebot des neuen Intendanten Klaus Bachler kam, regelmässig in München zu singen. So fällt es mir leichter, Beruf und Privatleben zu vereinen.

Werden Sie irgendwann aus Steuergründen in die Schweiz zurückkehren, wie viele andere Prominente?

Nein, sicher nicht! Andere leisten sich eine Jacht, ich leiste es mir, in Deutschland Steuern zu bezahlen!

Am Sonntag kehren Sie immerhin für eine Liedermatinee zurück ins Zürcher Opernhaus. Werden Sie auch Arien singen, für die Sie bekannt sind?

Nein, diese Matinee ist ganz dem Lied - in diesem Fall jenen von Robert Schumann und Gustav Mahler - vorbehalten. Dieser Purismus gehört auch zu unserem Kulturkreis. Einzig nach einem Liederabend in der Mailänder Scala ist mir einmal vorgehalten worden, dass ich mich nicht einmal bei den vier Zugaben zu einer Arie hatte bewegen lassen. Nächsten Frühling gehe ich aber vermutlich mit Arien auf Tournee.

Können Sie selber bestimmen, wo Sie so eine Tournee hinführt?

Ich bin in der glücklichen Lage, schon in der dritten Phase meiner Laufbahn angelangt zu sein. In Phase 1 sucht man verzweifelt Arbeit und klopft an jede Türe, um einen Fuss hineinzubekommen. In Phase 2 geht es von alleine. Man sitzt neben dem Telefon und wartet auf die Anrufe. Nun, in der Phase 3, rufe ich ein Opernhaus an, erkläre, was ich gerne machen möchte, wann ich noch Zeit hätte, und frage, ob sie das hinkriegen.

Welche Rolle spielt Ihr gutes Aussehen für den Erfolg?

Es hat sicher Vorteile, wenn Marketingstrategen darüber entscheiden, ob man einen Plattenvertrag erhält, aber auch gravierende Nachteile. Ich musste lange gegen das Vorurteil ankämpfen «Der sieht gut aus, der kann ja kein Talent haben!». Dass mir mein Erfolg nicht in den Schoss gefallen ist, erleichtert mir dafür vielleicht, zerrissene Figuren zu spielen.

Fällt es Ihnen leicht, sich in solche zerrissene Figuren hineinzuversetzen?

Ein Sänger muss fähig sein, in die Abgründe seiner Seele zu schauen und den Funken von der Figur zu sich selbst überspringen zu lassen.

 






 
 
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