Münchner Abendzeitung, 17. September 2010
Robert Braunmüller
Jahrelange Wiesnpause 
 
Schwanenritter goes Spaghetti: Jonas Kaufmann über italienischen Verismo, sein überraschend kurzes Bayreuth-Engagement und seine für einen Münchner unterentwickelte Beziehung zur Wiesn


Foto: Matthias Bothor
Harte Schale, zarter Kern: Auf seiner neuen CD singt Jonas Kaufmann Macho-Musik der italienischen Oper um 1900.
Das hat’s noch nie gegeben: Ein deutscher Tenor bringt kaum zwei Monate nach seinem Bayreuther Lohengrin eine stilistisch überzeugende Platte mit italienischer Macho-Musik heraus. Die CD „Verismo Arias“ mit Ausschnitten aus Opern von Puccini-Zeitgenossen ist seit gestern zu haben.

AZ: Herr Kaufmann, was ist eigentlich Verismo?

JONAS KAUFMANN: Das ist eine Stilrichtung der italienischen Oper ab 1890, beginnend mit Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Der Begriff kommt von „vero“, also „wahr“. Den Komponisten ging es um wahre Gefühle von Figuren aus dem Volk, ähnlich wie in der naturalistischen Literatur dieser Zeit. 


Feinere Geister rümpfen da gern die Nase.  

Mich reißt’s vom Stuhl, wenn ich die Musik höre. Zugleich wühle ich mich als Sänger gern in die tiefsten Seelen-Abgründe hinein. Natürlich scheiden sich am Verismo die Geister. Wenn diese Arien ehrlich und mit Gefühl unterfüttert werden, wird ihre Wahrhaftigkeit bisweilen schockiernd brutal.

Warum haben Sie auf Puccini verzichtet?

Im Unterschied zu Zandonai oder Umberto Giordano braucht ihm niemand unter die Arme zu greifen. Ruggiero Leoncavallos „La bohème“ halte ich für ein tolles Stück. Ihm steht leider nur im Weg, dass Puccini drei Monate früher mit dem gleichen Stoff herausgekommen ist.

Haben Sie solche Rollen schon auf der Bühne probiert?

Bis jetzt außer Puccini nichts. Aber ich singe bald den Maurizio in Cileas „Adriana Lecouvreur“ konzertant in Berlin und szenisch in London.

Warum beginnt die CD mit einem unbekannten Stück?

Ich habe lange mit dem Dirigenten Antonio Pappano gegrübelt und eine Reihe unbekannterer Stücke durchgesungen. Dabei verliebte ich mich in die Arie aus Riccardo Zandonais „Giulietta e Romeo“. Es ist ein extrem voyeuristisches, sehr fesselndes Stück, gesungen von Romeo im Angesicht seiner toten Geliebten. Leider ist der Rest der Oper weniger aufregend. Ich fand es dramaturgisch geschickter, nicht gleich mit „Lache Bajazzo“ zu beginnen.

Begleitet werden Sie von der Accademia di Santa Cecilia. Ist das nicht ein reines Konzertorchester?

Sie haben früher viel Oper konzertant gespielt und finden unter ihrem Chef Antonio Pappano neuen Geschmack daran. Sie wollen unbedingt Oper machen und sind zugleich geschult im Konzertrepertoire – eine ideale Voraussetzung. Die Mentalität passt sowieso.

Haben Sie eigentlich eine Ratten-Allergie?

Nein, warum?

Weil Sie nächstes Jahr den Lohengrin in Bayreuth nicht mehr singen.

Eine blöde Geschichte, die aber nichts mit der Inszenierung zu tun hat. Für die Wiederaufnahme gab es plötzlich mehr Proben und zu einem anderen Zeitpunkt, für den ich bereits „Tosca“ in London mit Bryn Terfel und Angela Gheorghiu unter Pappano zugesagt hatte. Das wollte ich nicht absagen. Deshalb kamen wir vorerst nicht mehr zusammen. Ein bisschen reut es mich, weil mir die Arbeit viel Spaß gemacht hat.

Gehen Sie als Münchner eigentlich auf die Wiesn?

Ich bin hier aufgewachsen und war als Kind jedes Jahr dort, dann jahrelang nicht. Ich habe gemerkt, dass ich nächste Woche zwei Tage frei habe und leiste nun bei meiner Familie Überzeugungsarbeit für einen Wiesnbesuch. Allein will ich nicht. Schau’n wir mal. Am liebsten würde ich meinen Kindern den Umzug mit den Trachten zeigen, der mich immer mehr fasziniert hat als die Fahrgeschäfte.

Bierzelte reizen Sie nicht?

Weniger. Schon in einer Wirtschaft schreit man unwillkürlich den ganzen Abend und bemerkt erst hinterher die Heiserkeit. Früher kam auch noch zusätzlich der Rauch hinzu. Aber mich schreckt noch mehr ab, dass man ohne Reservierung kaum in ein Zelt reinkommt.






 
 
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