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Arte Magazin, Juli 2010 |
DAS INTERVIEW FÜHRTE TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL |
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Der Actionheld der Tosca
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Der
Musik zuliebe hängte Jonas Kaufmann sein Mathematikstudium an den Nagel. Dem
Rat der Eltern zum trotz nahm er 1989 seine Ausbildung zum Opern- und
Konzertsänger an der Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt
München auf. Von Bayern bis hinauf in den Sängerolymp, die Metropolitan
Opera New York, war es ein langer Weg. Heute wird Jonas Kaufmann als
Startenor bejubelt. In Luc Bondys Inszenierung der „Tosca“, die ARTE live
von den Münchner Opernfestspielen überträgt, verkörpert er den gefeierten
Künstler Cavaradossi. Welches Potential in dieser Figur steckt und wieso die
Oper mindestens so spannend wie ein James-Bond-Film ist, verriet Jonas
Kaufmann dem ARTE Magazin.
ARTE: Vier Tote in knapp drei Stunden, das ist die stolze Bilanz
von Puccinis „Tosca“. Wie haben Sie sich in diese morbide Stimmung gebracht?
Jonas Kaufmann: Das geht sehr schnell. Die Figur des Cavaradossi, die
ich verkörpere, ist ein Künstler, der für den römischen Klerus, sprich für
die Machthaber malt. Italien war ja Anfang des 19. Jahrhunderts ein reiner
Kirchenstaat. Zugleich sympathisiert er mit den republikanischen Anhängern
Napoleons, die sich gegen den Kirchenstaat auflehnten. Als Cavaradossi
seinen Freund Cesare Angelotti, auch ein Anhänger Napoleons, versteckt, ist
er plötzlich mit einer politischen Aufgabe konfrontiert. Er entscheidet sich
blitzschnell für die Seite der Oppositionellen und das Schicksal nimmt
seinen Lauf. Puccini lässt ihm nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.
ARTE: Der katalanische Tenor Giacomo Aragall sagt über die Rolle,
als Maler und Revolutionär habe man das Publikum gleich auf seiner Seite —
stimmt das?
Jonas Kaufmann: (Lacht) Sympathien hat man eher, wenn man wahrhaftig
ist. Sobald menschliche Facetten vermittelt werden, wird die Figur
sympathisch, dann berührt sie. Cavaradossi hat insofern Glück, weil er
bereits nach wenigen Minuten auf die Bühne kommt und eine der schönsten
Arien der Oper, die „Recondita armonia“, singt. Es ist wie beim Figaro, der
seine beste Nummer auch gleich bei seinem ersten Auftritt bringt, und
dadurch sofort gewonnen hat.
ARTE: José Carreras hält die Figur des Cavaradossi für nicht
entwickelt, für eine Art James Bond in der Opernwelt
Jonas Kaufmann: Der zweite Akt ist herrlich actiongeladen. Dort werde
ich vom Polizeichef Scarpia gefoltert und kann tolle Schreie aus dem off
produzieren. Mit Charakterdarstellung hat dies natürlich nichts zu tun,
insofern hat Carreras recht. Aber auch aus einem anderen Grund: Viele
Musikmotive im zweiten Akt (singt eine Tonfolge nach) haben starke
Ahnlichkeit mit dem populären James-Bond-Thema. Die Komponisten der
Bond-Titelmelodie haben sich wohl von Puccini inspirieren lassen. Tosca ist
letzten Endes ein Krimi mit spannender musikalischer Untermalung, wie wir
sie von Hitchcock-Filmen kennen. Der zweite Akt ist wegen seiner Musik so
aufregend, kaum wegen der Handlung. Auch mich reißt er schlichtweg vom
Hocker.
ARTE: Steht Cavaradossi im Schatten seiner Geliebten, der
Primadonna Tosca?
Jonas Kaufmann: Nicht selten stellt sich der unscheinbare Partner als
Zünglein an der Waage heraus. Natürlich hat die Tosca einen Auftritt, wie er
schöner gar nicht komponiert werden kann! Da wird ein roter Teppich
ausgerollt für eine selbstverliebte Sängerin, die sich vergnügt und singt,
sich wieder vergnügt und nur angehimmelt werden möchte. Cavaradossi ist
hingerissen von dieser Frau. Dennoch glaube ich nicht, dass ihm die Butter
vom Brot genommen wird. An vielen Stellen seiner Arien kann er den
politischen Menschen herauskehren, den Überzeugungstäter, der an sozialen
Problemen viel interessierter ist als Tosca.
ARTE: In der „Tosca“ wird gefoltert und gemordet— glauben Sie,
dass Oper in der Realität die Macht hat, politische Gegner auszusöhnen?
Jonas Kaufmann: Das glaube ich schon. Daniel Barenboim setzte in
Israel Wagner durch und der österreichische Komponist Robert Stolz, dass
Operetten auf Deutsch gesungen werden. Es war ein Schock, aber die Leute
haben es akzeptiert. Dem Künstler selbst hilft die Kunst oft nicht. Hitler
war beispielsweise ein großer Verehrer des jüdischen Tenors Josef Schmidt.
Dennoch wurde dieser verfolgt, wie so viele andere. Heute begibt sich ein
Künstler nur in Gefahr, wenn er sein Geld auf die Cayman-Inseln bringt.
ARTE: Puccini sei Kitsch, hieß es lange. Wie schaffen Sie es als
Künstler, sich nicht in den Strudel der Emotionen hineinreißen zu lassen?
Jonas Kaufmann: Eigentlich muss man das schon zulassen, schließlich
geht es um solch große Dinge wie Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Wenn ich
nur schön singe und nichts ist dahinter, dann wird es kitschig und verlogen.
Puccini machte man den Vorwurf, dass er Filmmusik komponiere. Was ist so
schlecht daran? Seine Opern gehören zum Verismo, einer Stilrichtung, die das
Leben und Leiden normaler Menschen aufgreift. Ehrlich empfunden ist das ein
Traum für einen Sänger.
ARTE: Sie haben unlängst den Cavaradossi unter der Regie Luc
Bondys in New York an der Metropolitan Opera gesungen, Bondy hat auch in
München die Regie übernommen.
Jonas Kaufmann: In München singen wir in einer anderen musikalischen
Besetzung. Es gab während der Probenzeiten in New York allgemeine Unruhen,
weil Bondy — gelinde gesagt — nicht respektvoll mit der Kirche umgegangen
ist. Als Sänger tragen wir aber die Entscheidungen unseres Regisseurs mit. |
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CD-Tipp: Am 24.9. erscheint Kaufmanns CD
"Vicino a te" bei DECCA mit Verismo Stücken. |
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