DPA, verschiedene Zeitungen, 31.3.2010
Interview: Britta Schultejans, dpa
Tenor Kaufmann glaubt an die Zukunft der Oper
 
Er gilt als einer der besten Tenöre unserer Zeit. In diesem Jahr steht Jonas Kaufmann als «Lohengrin» zum ersten Mal bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth auf der Bühne.
Die Deutsche Presse-Agentur traf den Star-Tenor in seiner Heimatstadt München und sprach mit ihm über seinen Respekt vor Wagner, den Staub der Bayreuther Festspiele, Kindererziehung - und die besten Diktiergeräte.

Herr Kaufmann, Sie kennen sich mit Diktiergeräten gut aus. Nehmen Sie sich selbst oft auf?

Jonas Kaufmann: «Ich habe es gerne, wenn ich mich selber abhören kann. Das ersetzt ein bisschen den Lehrer. Man muss sich immer wieder selber kontrollieren - sonst schleichen sich Fehler und Marotten ein. Meine Frau, die ebenfalls Sängerin ist, hört sich auch hin und wieder Aufführungen an, aber sie hat natürlich nicht immer Zeit.»

Wer ist denn der schärfere Kritiker? Sie oder Ihre Frau?

Kaufmann: «Ich glaube, ich bin mein schlimmster Kritiker. Im Privatleben bin ich so etwas wie ein Perfektionist, aber in der Kunst will ich das nicht sein. Ich glaube, dass in der Kunst Perfektion etwas ist, das einen nicht anrührt. Der menschliche Faktor ist entscheidend, ob etwas wirklich berührt und mitreißt, oder ob es einfach "nur" beeindruckend, gewaltig, großartig ist, einen aber am Ende eher kalt lässt. Darum entscheide ich mich bei meinen CD- Aufnahmen immer eher für die anrührende als für die perfekte Fassung. Dann schreibt ein Kritiker möglicherweise: "Dieser Ton ist nicht ideal". Na und? Karajan hat das damals auf die Spitze getrieben und Stücke so oft eingespielt, bis wirklich alles perfekt war. Das mag ihm gefallen haben - aber, wie heißt dieser Spruch? "Alles ist auf der Aufnahme, das einzige, was fehlt, ist die Musik."»

Was ist denn das in diesem Fall, «die Musik»?

Kaufmann: «Es sind diese besonderen, magischen Momente, die spontan entstehen. Dafür muss man als Sänger offen sein, dafür muss man alle Sinne geschärft haben und darf sich nicht nur auf seine Tonproduktion konzentrieren. Also kein Gedanke an die Technik, alles wird von den wirklich empfundenen Gefühlen dirigiert. Gänsehaut kann man nicht rational planen.»

Aber vorbereiten müssen Sie sich trotzdem auf ihre Auftritte - zum Beispiel auf Ihr Bayreuth-Debüt in diesem Jahr als «Lohengrin»?

Kaufmann: «Wenn eine Rolle einmal abgespeichert ist, bleibt sie Gott sei Dank im Kopf. Dann muss ich keine großen Verrenkungen machen, um sie wieder von der Festplatte abzurufen. Bei neuen Sachen muss man rechtzeitig anfangen, um die Klippen und die Schwierigkeiten einer Partie zu erkennen. Wenn einem erst im letzten Moment aufgeht, dass etwas viel schwieriger ist, als man es sich ursprünglich vorgestellt hat, dann ist es wahrscheinlich zu spät. Ich bin trotzdem eher Saisonarbeiter. Ich weiß nicht, ob es mir da an Disziplin mangelt oder ob ich das Leben einfach zu sehr mag, um mich - in meinen Augen - viel zu früh mit der neuen Partie zu befassen. Für mich ist der «Lohengrin» im Sommer also noch weit weg.»

Auch wenn Sie den «Lohengrin» in und auswendig kennen - ist es für Sie etwas Besonderes, in Bayreuth auf der Bühne zu stehen?

Kaufmann: «Natürlich ist das etwas Besonderes - gerade als Deutscher. Das sind unsere Festspiele. Selbstverständlich ist es eine besondere Ehre und Freude, in Bayreuth zu singen. Ich war schon als Student mehrere Male in Bayreuth und habe dort Aufführungen gesehen. Klar träumt man davon, eines Tages dort auf der Bühne stehen zu dürfen. Wenn man auf seine Karriere zurückblickend sagen kann, ich habe es als Wagner-Sänger auch nach Bayreuth geschafft, das ist ein besonderer Adelstitel.»

Warum?

Kaufmann: «Weil die Bedingungen in Bayreuth ideal sind. Es gibt kein Opernhaus der Welt, das so perfekt für diese Musik ist wie Bayreuth. Durch den abgedeckten Orchestergraben strömt der Klang erst auf die Bühne und dann gemeinsam mit dem Gesang in den Zuschauerraum. Da haben die Zartheiten, die feinen Momente eine besondere Wirkung. Dazu kommt die Tradition - da schwingt ungeheuer viel mit. Das kann einem auch ein bisschen Angst machen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß die Fußstapfen sind, in die man hier tritt. Und auch nach Jahren, in denen sich die Festspiele bemüht haben, von der jüngeren, frischen Seite an das Wagnererbe heranzugehen, hat man noch immer das Gefühl, man muss jedes Jahr von neuem den Staub wegpusten. Das wird auch heuer wieder passieren, das ist keine Frage. So, wie ich Hans Neuenfels kenne, hat er seine Mittel, um die Leute in den Sitzen wachzurütteln.»

Sie haben einmal gesagt, Wagner habe Ihnen als Kind Angst gemacht...

Kaufmann: «Ich bin mit Wagner aufgewachsen. Mein Großvater hat seine Opern auf dem Klavier rauf und runter gespielt. Wagner ist als Kind für mich etwas sehr bombastisches gewesen, das mich fast erschlagen hat. Diese schier unendlichen Spannungsbögen in der Wagnerschen Musik, die mich heute so begeistern, diese emotionale Berg- und Talfahrt, ist für ein Kind, das keinerlei Schutzmechanismen hat, sehr schwer zu ertragen. Ich als Kind war zwar völlig gefesselt, aber fühlte mich auch hilf- und schutzlos ausgeliefert. Wagner war also nichts für meine Kinderohren, und ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich als Erwachsener von seinem Werk so fasziniert sein würde.»

Lassen Sie Ihre Kinder Wagner hören?

Kaufmann: «Oh, das ist eine gute Frage ... Natürlich gibt es die Situation, dass etwas zu Hause läuft und die Kinder das am Rande mithören, aber gerade für kleinere Kinder ist das eigentlich noch ein bisschen zu viel. Wenn Musik ungeheuer aufwühlend ist, spüren sie das sofort. Sie empfinden jede Gefahr und jeden Schmerz, die ein Komponist in das Stück reingelegt hat. Bei manchen bekommen sie einfach Tränen in die Augen - nur vom Hören. Deshalb würde ich jüngere Kinder davor eher schützen. Es ist wahrscheinlich sinnvoller, Kinder mit leichter verdaulichen Stücken an die klassische Musik heranzuführen.»

Eine Studie der Universität Ludwigshafen sagt, das Opernpublikum stirbt aus - die Zuschauerzahl wird in den nächsten Jahren um ein Drittel zurückgehen...

Kaufmann: «Ich widerspreche dieser Studie. Den jungen Leuten, die heute sagen, sie hätten keine Lust auf Oper, sage ich: Ja, warte mal 30 Jahre ab. Dann sind die sozialen Voraussetzungen ganz andere - also die Kinder aus dem Haus, der berufliche Stress am Abklingen - und plötzlich interessiert einen Klassik, man kann sie sich auch eher leisten. Dieses Aussterben wird uns schon lange prophezeit, aber die Oper hat so viele Jahre überdauert und wird auch überdauern. Sie kann spontane Gefühle in uns auslösen wie kaum etwas anderes.»

Trotzdem hat ein Großteil der Bevölkerung keinerlei Zugang zu klassischer Musik....

Kaufmann: «Schon allein aus Eigeninteresse muss man versuchen, diesen Betrieb am Laufen zu halten - aber vor allem aus Überzeugung. Nach wie vor hat diese Form der Musik eine Kraft wie sie kaum ein modernes, populäres Stück haben kann. Wenn ich einen Popsong nehme, der vor zwanzig Jahren geschrieben wurde, dann gibt es - mit ganz ganz wenigen Ausnahmen - heute nur dann eine emotionale Note dabei, weil es einen an etwas Bestimmtes erinnert: dieses berühmte "Weißt du noch damals". Was einen hier emotional berührt, ist die Erinnerung an das erste Händchenhalten oder was auch immer. Die Musik selber ist es in den allermeisten Fällen leider nicht.»

Und in der Oper ist das anders?

Kaufmann: «Ja sicher! Die Leute heulen Rotz und Wasser - nicht, weil es sie an ein Ereignis erinnert, sondern an ihr gesamtes Leben. Alles, was der Komponist an Freude oder Weltschmerz hineingelegt hat, öffnet bei uns die Schleusen. Mir hat einmal eine Frau gesagt, die vor ein paar Jahren ihren Mann verloren hatte: "Ich komme immer wieder zu Ihren Aufführungen, denn erst seit ich Sie gehört habe, kann ich wieder richtig weinen und meine Gefühle wieder zulassen".»

Woran liegt es Ihrer Ansicht nach dann, dass so wenig junge Leute Bezug zur klassischen Musik und zur Oper haben?

Kaufmann: «In der Generation meiner Eltern und Großeltern gehörte es selbstverständlich dazu, dass sie Klavier lernten - das war Teil der guten Erziehung. Dabei ging es nicht nur darum, die Omas beim Kaffeekränzchen zu unterhalten, sondern zu erfahren, dass man über das Musizieren seine Gefühle heraus lassen kann. Es geht nicht nur um die spießige Idee, ein Instrument zu erlernen.»

Sondern?

Kaufmann: «Es ist schon interessant, wenn ich sehe, dass ein Staat wie Deutschland sehr viel Geld in Kultur investiert und Theater hoch subventioniert, etwas Entscheidendes aber vergisst. Warum müssen die denn so hoch subventioniert werden? Doch nicht, weil wir Künstler so viel verdienen - das wäre ja toll - sondern, weil zu wenig Publikum da ist. Wenn ich Geld gebe, um Aufführungen zu unterstützen, aber kein neues Publikum durch ausreichenden Musikunterricht in den Schulen heranbilde, wie kann denn das funktionieren? Für mich bedeutet das kurzfristiges Denken, denn jeden beim Schulunterricht eingesparten Euro muss ich später den Kulturinstituten wegen Publikumsmangel als Subvention dazuzahlen. Außerdem entstehen so aufgrund von Unkenntnis, Berührungsängste mit der Klassik: "Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll in der Oper, wahrscheinlich mache ich mich sogar lächerlich, weil jeder erkennt, dass ich ein Neuling bin."»

Sie geben im Frühjahr ein Solokonzert in Ihrer Heimat München. Was macht das Münchner Publikum aus?

Kaufmann: «In Wien oder in Mailand besteht das Publikum aus Stimmfetischisten. Die wollen den tollen Klang, alles andere soll so wenig wie möglich stören. In vielen Bereichen in Deutschland - in Berlin zum Beispiel - sind wir dagegen an dem Punkt, wo die optische Inszenierung wichtiger, wo der Skandal Programm ist. In München gibt es eine schöne Kombination aus Beidem. Das Münchner Publikum ist offen für Modernes - aber nur wenn das musikalische Niveau stimmt.»






 
 
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