Westdeutsche Zeitung,  05.10.2009
Das Interview führte Lars Wallerang
Jonas Kaufmann: „Ich traue mir den Helden zu“
Der Tenor, 2009 „Sänger des Jahres“, erzählt von seiner Karriere.
 

Herr Kaufmann, Ihre ganz große Weltkarriere begann relativ spät. Wie erklären Sie sich den verzögerten internationalen Durchbruch?

Kaufmann: Ich finde den Zeitpunkt normal. Im Gegenteil: Frühe Karrieren führen später meist zu Schwierigkeiten. Anja Silja bildet da vielleicht eine Ausnahme. Sie ist eine Sängerin, die sehr früh Karriere machte und das sängerisch überlebt hat. Eigentlich fängt eine Stimme erst in der Mitte der Dreißiger an zu reifen. Ich hätte schon früher die Gelegenheit gehabt, mich ins Rampenlicht zu stellen. Aber ich glaube, die anfängliche Zurückhaltung hat mir gut getan.

Ein besonders großes Echo fand ja Ihr CD-Debüt bei dem großen Klassik-Label Decca. Hat sich Ihr Leben durch die internationale Resonanz verändert?

Kaufmann: Das denke ich schon. Man versucht natürlich, sich nicht mitreißen zu lassen von einer gewissen Massenhysterie, sondern zu bleiben wie vorher. Aber man muss sich zwangsläufig anders verhalten, zum Beispiel aufpassen, was man sagt, weil es unter Umständen falsch kolportiert werden kann. Etwas flapsig daher sagen – das geht nicht mehr. Andererseits kann ich jetzt meine Karriere eigenständiger steuern und das Repertoire nach eigenen Vorlieben erweitern. Im festen Ensemble war das nicht in dem Maße möglich. Ein Vorteil ist auch die Zusammenarbeit mit Kollegen, die sich auf einem sehr hohen Niveau befinden. So etwas gibt mir noch einmal einen besonderen Schub.

Bleibt bei all dem denn noch Zeit fürs Privatleben?

Kaufmann: Ja und nein. Man hat noch ein gewisses Privatleben. Aber Tage, an denen ich früher frei hatte, sind heute mit irgendwelchen Terminen zugeplant. Zeit für die Familie, meine drei Kinder zu finden, das ist ein regelrechter Kampf. Aber diese Zeit ist mir auch heilig.

Ihre Stimmfarbe wirkt für einen Tenor auffallend dunkel. Deutet das aufs dramatische Wagner-Fach hin und auf die ganz schweren Partien wie Tristan?

Kaufmann: Ich hoffe das. Vor zehn Jahren hätte ich nicht mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Heute traue ich mir das Heldenfach zu. Den „Tristan“ würde ich schon gerne mal machen, übrigens auch Verdis „Othello“, eine unglaubliche Partie! Zu dem passt das Dunkle in der Stimme auch ganz gut. Wenn ich keine Fehler mache, könnte ich dahin kommen.

Was steht denn noch alles auf Ihrem Wunschzettel?

Kaufmann: Das ist eine lange Liste, so lang, dass ein bis zwei Weihnachten dafür gar nicht ausreichen würden. Die großen Wagner-Partien sind auf jeden Fall dabei. Wie gesagt: „Tristan“, aber auch „Siegfried“ und „Tannhäuser“. Singen würde ich natürlich auch gerne in noch vielen großen italienischen Opern wie „Aida“, „Turandot“ und „Trovatore“. Jetzt stehen aber erst mal „Manon Lescaut“, „Werther“ und „Chénier“ an.

Mal eine etwas persönlichere Frage: Sie singen deutsches, italienisches und französisches Fach gleichermaßen und haben auch ein leicht mediterranes Aussehen. Befindet sich unter Ihren Vorfahren möglicherweise ein Italiener?

Kaufmann: Nein, aber in unserer Familie sehen wir alle ein wenig mediterran aus, deswegen wird man auch darauf angesprochen. Unser Familienstammbaum lässt sich weit zurück verfolgen. Und da ist kein Italiener darunter.






 
 
  www.jkaufmann.info back top