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Wiener Staatsoper, Pro:log,
4/2009 |
Editorial: Prachtvoller Opernapril
Elf verschiedene Titel bei 25 Opernvorstellungen bringen wir in diesem
Monat – das zeigt klar und überzeugend, was ein Repertoiretheater kann! Zwar
gibt es im April keine Premiere, dafür aber gleich in den drei ersten
Apriltagen Werke wie Jenůfa, Arabella und Tote Stadt mit drei der besten
Sopranistinnen unserer Zeit: Ricarda Merbeth, Adrianne Pieczonka und Angela
Denoke! Kurz danach singt Juan Diego Flórez erstmals den Nemorino im Haus
und der unverwüstliche, große Leo Nucci kommt noch einmal als Belcore zu
uns. Und so geht es weiter in diesem prachtvollen Opernapril mit Peter
Seiffert als Parsifal und Florestan, Jonas Kaufmann als Massenets Des
Grieux. Wie schön, dass all dies in der Wiener Staatsoper noch möglich ist.
Damit dies aber noch lange möglich sein soll, besuchen Sie unsere
Vorstellungen, so oft es Ihnen nur möglich ist! Ioan Holender |
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Simme ohne Grenzen
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An
der Wiener Staatsoper hörte man ihn im Jahr 2006 bereits als Tamino in der
Zauberflöte, nun singt Jonas Kaufmann im Haus am Ring den Des Grieux in
Jules Massenets Manon und den Cavaradossi in Puccinis Tosca. Im Gespräch mit
Oliver Láng plaudert der deutsche Tenor über Stimmfächer, heutige
Repertoire–Größen, Spezialisierungen und seinen Des Grieux. |
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pro:log:
Sie singen diesen April in Wien erstmals den Des Grieux in Massenets Manon.
Diese Partie haben Sie zuvor erst einmal gestaltet?
Jonas Kaufmann: Das stimmt, ich sang den Des Grieux in diesem
Sommer an der Chicago Lyric Oper in einer Inszenierung von David McVicar,
meine Manon war Natalie Dessay. Eine wunderschöne Rolle! Diese französischen
Partien haben den Vorteil, dass man so viele verschiedene Stimmen und Farben
einsetzen kann, wie kaum in einem anderen Repertoire. Da braucht man die
ganz zarten Momente, die Voix mixte und die ganz großen Ausbrüche. Was ich
geradezu ideal finde, weil man als Sänger so viel Unterschiedliches zeigen
kann.
p: Die Figur des Des Grieux verfällt der – doch etwas
wankelmütigen – Manon ja innerhalb weniger Augenblicke und kann sich trotz
allem bis zuletzt nicht mehr lösen. Ein Bruder von Don José?
JK: Für mich ist er eher mit dem Alfredo in der Traviata
verwandt. Fest steht bei Des Grieux zunächst einmal, dass er sehr jung sein
muss: Wenn man sich innerhalb von drei Minuten so sehr in jemanden verlieben
kann, dass man heiraten und wegziehen will, dann gehört schon einiges an
Unerfahrenheit dazu ... In der Manon-Romanvorlage von Prévost treibt die
Dame es ja noch viel toller und Des Grieux bringt aus Eifersucht sogar einen
um. Man kann das nur mit einer wahnsinnigen Leidenschaft für diese Frau
erklären, dass Des Grieux alles mitmacht. Und wie in der Traviata gibt es
eine sehr starke Vaterfigur, der erst einmal gefolgt wird. Nein, mit Don
José würde ich ihn eher nicht vergleichen. Der hat ja schon – auch das weiß
man aus der Romanvorlage von Mérimée – eine Vorgeschichte, er ist ein
Mörder, der zum Militär gegangen ist, um ein neues Leben zu beginnen. Und
Carmen macht alles aus Planung, Manon hingegen ist fasziniert, dass einer
kommt, der
ihr eine neue Chance bietet. Sobald sie aber die anderen Angebote hört,
meint sie: Schad’ um ihn... und wirft sich an den Hals des nächsten – wie
sagt man bei Mätressen? – Gönners.
p: Wenn man sich Ihre Rollen anschaut, dann sticht sofort
die enorme Breite des Repertoires ins Auge. Hat sich das so ergeben? Oder
haben Sie Ihr Repertoire bewusst ausgebaut?
JK: Beides, denke ich. Natürlich hat es sich aus der Anlage der
Stimme ergeben: man probiert einiges aus, merkt, dass es der Stimme nicht
schadet, sondern sogar gut tut und versucht dabei zu bleiben. Vor allem aber
hilft ein breites Repertoire, der Gefahr der Routine zu begegnen. Und die
besteht ja sowohl im Szenischen, als auch im Gesanglichen. Ich versuche
Werke und Charaktere immer wieder für mich neu zu entdecken und neue Seiten
zu finden. Aber umso mehr Produktionen man von einer Oper macht, desto
schwieriger wird das natürlich. Also lege ich meinen Kalender auch so aus,
dass die Wiederholungen sich nicht die Klinke in die Hand geben. Daraus
ergibt sich irgendwann ganz logisch ein breites Repertoire. Aber noch viel
entscheidender ist für mich, dass es meiner Stimme wirklich gut tut. Wenn
ich italienisches Fach singe, dann bekomme ich mehr Legato in die Stimme
hinein, wenn ich französisches Fach singe, mehr Flexibilität und das
deutsche
Fach ist so etwas wie ein Rohrreiniger, das putzt so richtig durch und man
kann so richtig loslassen.
p: International ist jedoch eher ein Trend in die entgegengesetzte
Richtung festzustellen. Immer mehr Sänger konzentrieren sich auf einige
wenige Rollen, die sie an möglichst vielen Häusern singen.
JK: Wer auch immer damit angefangen hat – es ist nicht meines. Ich
halte es sogar für gefährlich. Natürlich kann man sagen: Je weniger Partien
ich mache, desto kleiner ist das Risiko, desto extremer bin ich Herr der
Partie. Auf der anderen Seite habe ich aber das Gefühl, dass einen das
einlullt und man eine gewisse Sicherheit verspürt, in der man Anfänge von
Fehlern nicht erkennt, zu lax mit der Stimme umgeht, nicht genug übt. Und
dann wacht man zu spät auf, merkt zu spät, wie die Stimme schmäler geworden
ist. Es geht da gar nicht um laut oder leise, sondern um limitiertere
Möglichkeiten. Mir ist es lieber, wenn sich meine Stimme entwickelt und ich
durch neue Partien auch neue Bereiche der Stimme kennenlerne, die ich wieder
auf das mir bekannte Repertoire anwenden kann. Wobei selbstverständlich
gesagt werden muss: bei einer Stimme funktioniert das, bei einer anderen
nicht.
p: Wie schnell können Sie sich in so einem Fall von einem Fach auf
ein anderes umstellen? Wie schnell bekommt man etwa das Metall aus der
Stimme wieder heraus – und umgekehrt?
JK: Das ist eine Sache von einigen Tagen. Und diese Tage gönnt man
sich zwischen Vorstellungen ja ohnehin: Niemand würde versuchen, mehrere
Vorstellungen tagtäglich hintereinander abzuspulen. Wenn ich statt ein bis
zwei Tagen zwischen Vorstellungen drei bis vier Tage Pause brauche, reicht
das schon. Natürlich muss man sich auch hinsetzen und ein bisschen arbeiten
– zumindest bei mir ist es so. Den Mund halten und zu glauben: wenn ich ihn
das nächste Mal aufmache, ist das neue Repertoire bereits in der Kehle, das
geht leider nicht...
p: Und wie ist die Situation bei Aufnahmen, bei denen man meist
wenig Zeit zur Verfügug hat?
JK: Ich habe bei Decca eben ein neues Album aufgenommen, bei dem ich
möglichst viel aus dem deutschen Fach kombinieren wollte. Das war natürlich
eine Herausforderung, an einem Tag Wagner, am nächsten Mozart zu singen.
p: Was ist auf diesem neuen Album alles zu hören?
JK: Sagen wir einmal: Mozart bis Wagner, mit ein paar Zwischenstufen.
Ich wollte möglichst viel hineinpacken, aber dann gibt man es auf, eine
irgendwie geartete Vollständigkeit zu erreichen. Und schließlich wird es ja
noch ein zweites und drittes Album geben, da ist dann das drauf, was sich
diesmal nicht mehr ausgegangen ist. Aber noch einmal zur Spezialisierung:
Was mich m meisten wundert ist, dass es früher ja ganz normal war, ein
breites Repertoire abzudecken. Heute gehört Plácido Domingo, der praktisch
alles gesungen hat, zu den Ausnahmen.
p: Schließen Sie für sich persönlich irgendein Fach, einen Bereich
aus?
JK: Naja, es gibt natürlich Sachen wie Rossini, da habe ich bis auf
den Barbier nichts gesungen; vielleicht wäre sein Otello noch drin, wenn die
Zeit kommt. Ansonsten ist dieses Gebiet ziemlich abgefrühstückt. Doch wenn
ein Dirigent es wollte: eine Johannes-Passion würde ich gerne noch einmal
machen. Ansonsten schließe ich eigentlich nichts aus. Nach oben sind
selbstverständlich noch Sachen zu erarbeiten, die werden kommen, wenn ich
die richtigen Schritte zur richtigen Zeit mache: Tristan etwa, Tannhäuser
und Otello von Verdi. Diese Partien warten noch auf mich, aber sie können
ruhig warten. Und dann gibt es noch die Operette, die außer vielleicht in
Wien, immer vernachlässigt wird: wunderschöne Sachen, die so etwas von
unterschätzt sind! Dabei gehören Sie zum Schwersten überhaupt, auch
stimmlich. Aber leider lebt man nur ein Mal und man hat auch nur einen
Kalender zum Füllen. Daher ist es schwierig, wirklich alles abzudecken, wozu
man Lust hätte. Aber ich bemühe mich!
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