Musik&Theater, April 2008
Werner Pfister
Jonas Kaufmann über Emotionen auf der Bühne und das goldene Ziel beim Singen
Opernsänger sind doch keine Affen!
Er lässt sich in keine tenorale Zwangsjacke stecken, ist im italienischen und französischen Fach gleichermassen zu Hause wie bei Mozart und Wagner. Jonas Kaufmann singt, wonach er Lust hat, und Lust braucht Abwechslung.
M&T: Jonas Kaufmann, seit Sie vor ein paar Wochen einen CD-Vertrag mit Decca unterschrieben haben, rennen Ihnen die Journalisten die Tür ein. Das wievielte Interview ist es heute?
Jonas Kaufmann:
Eine gute Frage. Aber ich muss gestehen, ich habe die Interviews nicht einzeln gezählt. Und ich glaube, wenn ich sie einzeln gezählt hätte, würde mir diese ganze Public-Relations-Arbeit auch gar nicht gefallen.

M&T: Gefällt sie Ihnen denn?
Jonas Kaufmann: Als ich den Vertrag unterzeichnete, war mir klar, dass das ganz klar ein Teil des Abkommens ist. Das gehört ganz einfach mit dazu. Aus diesem Grund habe ich ja so lange gezögert, mich an eine CD-Firma zu binden. Immer dachte ich, dass ich es auch allein schaffe, ohne den Power einer grossen Firma im Rücken. Ich hoffte, über meinen «normalen» Beruf als Live-Performer so viel Gewicht zu bekommen, dass ich an CD-Aufnahmen herankomme. Letztlich habe ich nun doch unterschrieben.

M&T:
Weshalb?
Jonas Kaufmann: Weil ich festgestellt habe, dass es im heute so stark reduzierten Klassik-Markt allein nicht mehr möglich ist, vernünftig CDs aufnehmen zu können.

M&T:
Nun also läuft die PR-Maschinerie. Welches war Ihre schlimmste Erfahrung in den Interviews?
Jonas Kaufmann:
Die journalistische Einschätzung eines Sängers. Da sitzt man mit einem Zeitungsmenschen zusammen, tauscht sich eine Weile in angeregtem Gespräch aus, und dann kommt plötzlich eine Bemerkung wie diese: «Sagen Sie mal, mit Ihnen kann man sich ja richtig gut unterhalten!» Ich finde das erschreckend – wir Opernsänger sind doch keine Affen! Offenbar hält sich das Gerücht, Sänger seien kopflos und Tenöre erst recht, immer noch. Dabei sollte doch zumindest alles, was in meiner Generation herumläuft oder noch jünger ist, verstanden haben, dass es bei Weitem nicht genügt, sich als pure Stimmträger auf die Opernbühne zu stellen, ein paar Töne zu produzieren und dann wieder nach Hause zu gehen. Da gehört schon einiges mehr dazu, und dafür muss man auch ein paar zusätzliche Kapazitäten haben.

M&T:
Wie halten Sie es generell mit der Musikkritik?
Jonas Kaufmann: Ich bin ein schlechter Leser von Kritiken. Die einzige Person, die regelmässig mit Kritiken auf mich zukommt, ist meine Mutter, weil sie irgendwo irgendwas über mich gefunden hat. Doch damit hat es sich dann meistens, mehr lese ich kaum. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – ich möchte weiss Gott nicht die Arbeit oder das Verdienst eines Kritikers schmälern. Aber letztlich glaube ich, dass wir Sänger eine relativ gut funktionierende Selbsteinschätzung haben. Man weiss, wozu man fähig ist, wozu man an einem bestimmen Abend fähig gewesen wäre und was letztlich dann dabei herausgekommen ist.

M&T: Zudem ist der Publikumsapplaus ja auch so etwas wie ein Gradmesser...
Jonas Kaufmann: Nicht unbedingt. Witzigerweise ist es so, dass die Publikumsreaktionen oft geradezu konträr ausfallen. Es gibt nur wenige Momente auf der Bühne, wo ich mit mir voll und ganz zufrieden bin und mir sage, das war ein guter Abend, und wo es das Publikum auch genau so empfunden hat.

M&T:
Haben Sie eine Ahnung, weshalb so konträr empfunden wird?
Jonas Kaufmann: Dazu kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Es war in meinem ersten oder zweiten Studienjahr in München, wir machten «Hoffmanns Erzählung» von Offenbach. Für die Hauptrolle wurde ein professioneller Opernsänger engagiert, denn die kann kein Gesangsstudent singen. Nun sang dieser Hoffmann in den Aufführungen stets so, dass ich gedacht habe: Über den ersten Akt kommt der heute Abend nicht hinaus. Trotzdem, entgegen jeder Vernunft schaffte er das jedes Mal bis zum Schluss der Aufführung. Einmal nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn vor einer Aufführung: «Wie geht es Ihnen denn heute?» «Wunderbar!», antwortete er und erzählte mir dann von seinen sängerischen Erfahrungen: Wenn man dem Publikum das Gefühl gebe, da quetsche einer das Letzte aus seinen Stimmbändern heraus und gebe sozusagen alles, was er noch habe, dann sei das für das Publikum viel begeisternder, als wenn man seine Partie so locker daher singe. Das hat mir sehr zu denken gegeben.

M&T:
Auch im Hinblick auf den Erfolg mancher Sänger heutzutage beim Publikum?
Jonas Kaufmann: Ich kann nur für mich sprechen. Ich empfinde es immer als ein Kompliment, wenn man mir sagt, dass ich total mühelos geklungen habe. Das finde ich das Allerschönste, und so sollte es ja auch sein, jedenfalls für uns Sänger einer jüngeren Generation: dass man eine gute Leistung auf der Bühne erbringt und dabei das Singen quasi als Nebensächlichkeit «verkommen» lassen kann. Das goldene Ziel beim Singen ist es, den Mund aufzumachen, ohne wirklich ans Singen zu denken, und seinen Gefühlen über die Stimme Ausdruck zu verleihen. Nicht mehr und nicht weniger. Das klassische Beispiel hierfür ist Fritz Wunderlich – es tut mir leid, aber ich komme einfach nicht darum herum, das hier zu sagen.

M&T:
Ist Fritz Wunderlich Ihr Vorbild?
Jonas Kaufmann: Als Deutscher bin ich mit den Aufnahmen Wunderlichs, Schocks und Peter Anders’ aufgewachsen. Im Gesangsunterricht hat man mir während Jahren nichts anderes abverlangt, als dass meine Stimme möglichst wie ein Evangelisten-Tenor klinge, mit einem leichten, hellen Klang. Das verstand man unter einem deutschen Tenor, und das war damals die Perspektive und das Ziel, das ich erreichen sollte.

M&T:
Haben Sie es je erreicht?
Jonas Kaufmann: Es gibt einige Rundfunkmitschnitte aus meiner Studienzeit – zum Totlachen! Meine Stimme klingt wie Mickey Mouse, ganz «kopfig» und mit ein bisschen «Edelknödel» im Hals. Einige Jahre habe ich so gesungen, auch noch in meinem ersten Opernengagement in Saarbrücken 1994 bis 1996. Dann merkte ich, dass ich nicht mehr lange singen werde, wenn ich so weitermache. Ich hatte eine regelrechte Stimmkrise, manchmal blieb mir auf der Bühne die Stimme selbst in kleinen Partien weg. Da war mir klar: So geht das nicht weiter! Denn die Vorstellung, dass man auf die Bühne geht und nie weiss, ob man den Abend auch durchsteht, ist grausam. Das hätte ich nie gekonnt – dann hätte ich beruflich lieber etwas anderes gemacht. Zum Glück lernte ich dann einen andern Gesangspädagogen kennen.

M&T:
Was war das Geheimnis dieses neuen Gesangsunterrichts?
Jonas Kaufmann: Er holte eine ganz andere Stimme aus mir heraus. Er sagte: «Mach doch mal deinen Mund auf beim Singen! Lass deine Stimme heraus!»

M&T:
Das hört sich viel einfacher an, als es ist...
Jonas Kaufmann: Da haben Sie recht. Die Meinung war, einfach mal locker zu lassen, keinerlei extreme Atemgeschichten beim Singen, sondern so ein- und auszuatmen wie beim Sprechen. Es ging darum, ein neues Selbstvertrauen zu meiner Stimme aufzubauen – ohne beim Singen etwas zu manipulieren, zu schieben oder zu drücken. Denn anfänglich hatte ich null Tiefe, nicht einmal ein F, geschweige denn ein C. In einer Pavarotti-Biografie las ich damals, man müsse zuerst einmal zwei Oktaven fundiert ausbauen und von dort aus den Stimmumfang noch erweitern. «Der spinnt ja!», dachte ich. «Zwei Oktaven! Wenn ich die nur hätte!» Unter Sängern gibt es den doofen Spruch: «Wenn er das in der Höhe hätte, was ihm in der Tiefe fehlt, dann hätte er eine gute Mittellage.» So ungefähr war damals meine Stimme.

M&T:
Heute klingt Ihre Stimme eher dunkel, im Timbre – wenn man das so sagen darf – leicht von Russ umflort.
Jonas Kaufmann: Wenn alle Resonanzräume geöffnet sind, klingt meine Stimme relativ dunkel, vor allem in der Mittellage. Ich weigere mich, hier zu viel an Obertönen und entsprechenden Resonanzen mit hineinzugeben – es sei denn, ich muss gegen ein Monster-Orchester ansingen. Sonst aber habe ich das Gefühl, dass es unnatürlich wäre. Die tieferen Resonanzen in meiner Stimme, das, was manchmal leicht «brummt», hängt mit dem Brustbereich zusammen, der mitschwingt. Ich will das nicht einfach «abstellen», weil es manipuliert wäre. In der oberen Stimmlage hingegen hat man kaum eine Wahl, weil es meistens eher laut ist und die höheren Resonanzen automatisch mehr Anklang und Widerhall finden als die tieferen.

M&T:
Kommen wir auf Ihre neue CD zu sprechen, «Romantic Arias»...
Jonas Kaufmann: Ich bin ein romantischer Mensch! (lacht)

M&T:
Was bedeutet für Sie Romantik?
Jonas Kaufmann: Romantik heisst für mich nicht Lagerfeuerromantik. Oder dass ich in meinem Haus überall brennende Kerzen herumstehen habe. Das ist es nicht – oder ist es nur ausnahmsweise, wenn es mir wirklich mies geht, wenn ich in einem fürchterlichen Hotelzimmer in einer grausamen Stadt zur Winterszeit sitze. Als Sänger ist man ja ein ständiger Nomade, und es gibt schon Phasen, wo man sich fragt: «Was mache ich eigentlich hier? Könnte ich nicht auch zu Hause sitzen? Dort hätte ich meine Familie, meine Freunde, meine Sachen um mich herum; und ich hätte es gemütlich.» Dann kann es schon vorkommen, dass man sich ein paar romantische Gegenstände kauft, um zumindest das Hotelzimmer ein bisschen «wärmer» zu gestalten. Aber das ist nicht wirklich, was ich mit Romantik meine.

M&T:
Sondern?
Jonas Kaufmann: Romantik heisst für mich, dass ich ein sehr gefühlsbetonter Mensch bin, empfänglich für Emotionen und Situationen. Auf der Bühne kann es da schon einmal zu Missverständnissen kommen.

M&T:
Dass Sie die Bühne mit dem Leben verwechseln?
Jonas Kaufmann:
Man überwindet auf der Bühne sämtliche Hemmschwellen. Da kann es schon zu Missverständnissen kommen zwischen dem, was gerade auf der Bühne dargestellt wird oder abläuft und dem, was im wirklichen Leben passieren könnte.

M&T:
Soll ein Opernsänger das, was er singt, denn wirklich auch auf der Bühne erleben? Es heisst doch, das Publikum muss vor Ergriffenheit weinen und nicht die Sänger auf der Bühne.
Jonas Kaufmann: Dazu kann ich Ihnen abermals eine Geschichte erzählen. Hans Hotter schreibt im Booklet-Text zu einer seiner Aufnahmen der «Winterreise», es sei durchaus nicht im Sinne Schuberts, dass sich der Sänger hier gleichsam als derjenige in Szene setzt, der die Stationen dieser Winterreise selber durchleidet. Vielmehr müsse der Sänger in diesem Liederzyklus neutral bleiben. Hotter selber aber bleibt absolut nicht neutral, und gerade das ist das Faszinierende an seiner Interpretation. Ich bin überzeugt, es wäre völlig falsch, diese Musik gleichsam aus neutraler Erzählperspektive zu interpretieren. Das funktioniert nicht einmal für den Evangelisten in Bachs Passionen. Es geht doch darum, dass ein Sänger seine eigenen Emotionen mit ins Spiel und in die Stimme bringt. Dann kommt es automatisch in der richtigen Klangfarbe.

M&T:
Sind eigene Emotionen nicht auch gefährlich auf der Bühne? Dass man sich plötzlich selber verliert?
Jonas Kaufmann: Da komme ich wieder auf Fritz Wunderlich zurück. Er sang stets so, dass man den Eindruck gewann, es könnte sein letzter Auftritt sein. Er platzte beinahe vor Emotionen – da war ein inneres Feuer da, ein Drang, als ob es die letzten Töne seines Lebens wären und er noch einmal alles hineinlegen wollte. Das ist das Faszinierende an ihm: Er war als Sänger stets hundert Prozent Mensch, und genau das versuche ich auch anzustreben. Ich muss mich ja nicht mit Haut und Haaren in meinen Gefühlen aufgeben. Bei aller Liebe zu den Emotionen – man soll sie ausleben auf der Bühne, aber im tiefsten Innern muss stets ein Kern Kontrolle bleiben.

M&T:
Sie lieben die Abwechslung, singen gleichsam querbeet durch unterschiedlichstes Repertoire, und das im lyrischen Fach wie im dramatischen. Fritz Wunderlich hielt sich da eher zurück und sagte: «Lieber König im kleineren Fach als einer unter vielen im grossen.»
Jonas Kaufmann:
Bei aller Verehrung für Wunderlich, da bin ich nicht unbedingt derselben Meinung, das klingt für mich nach Selbstberuhigungssprüchen – lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Sehen Sie, wenn einer nicht ins Wasser springt, dann weiss er auch nicht, ob er schwimmen kann. Zudem stellt sich auch die Frage, ob einen das «kleinere» Fach – ich sage das bewusst in Anführungszeichen – ein Leben lang befriedigen kann. Mir wird es schnell einmal ein bisschen langweilig. Selbstverständlich muss ich mich bei der Vielfalt meines Repertoires entsprechend gut einschätzen können. Ich muss mir klar darüber werden, ob ich eine Chance habe, in einer gewissen Liga mitspielen zu können. Sicher, Tenöre gibt es relativ wenige, und deshalb wird halt oft genommen, was so da ist. Leider impliziert das für den Sänger dann oft auch eine gewisse Faulheit. Da bin ich anders, ich sehe immer wieder eine neue Herausforderung, versuche immer wieder, mir neue Ziele zu stecken und neue Sachen zu finden.

M&T:
Verraten Sie uns etwas über Ihre neuen Ziele, über neue Rollen?
Jonas Kaufmann:
Im deutschen Fach kommt als nächstes Lohengrin; im italienischen kommt Cavaradossi, im französischen Des Grieux in Massenets «Manon» und ein Jahr später Werther. Es gibt viele Partien, die mich reizen – am meisten wohl Otello. Aber das heisst nicht, dass ich ihn heute oder übermorgen bereits singe. Da gibt es noch viel Repertoire dazwischen, das man vorher erarbeitet haben muss. Auch den Tristan werde ich sicher einmal singen. Allerdings, der erste Tristan-Sänger – er war ja erst um die 26 Jahre alt – starb bekanntlich nach der zweiten Aufführung. Also warte ich wohl lieber noch ein bisschen.
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