Rondo-Magazin, 1/2008
Jonas Kaufmann
Ein Münchner im Himmel
Die internationale Tenorszene hat – wenn man so will – in letzter Zeit ein wenig Latinoschlagseite. Doch mit Jonas Kaufmann könnte dies bald anders werden. Er beherrscht mit den großen italienischen, französischen und deutschen Rollen ein unglaublich breites Repertoire. Mit Robert Fraunholzer sprach der Münchner über Haare, Sport und Stimmbandtraining.
RONDO: Herr Kaufmann, Sie haben die Haare ab. Hat Ihnen die neue Plattenfirma das auch erlaubt?

Jonas Kaufmann:
Wer könnte es mir verbieten? Ich habe lange genug lange Haare gehabt. Die haben mich vor Perücken und anderen Entstellungsversuchen bewahrt. Aber vielleicht sehe ich in vier Wochen schon wieder wie ein Rockstar aus.

RONDO: Genau dieses Image wird Ihnen von PR-Abteilungen gerne nachgesagt. Was ist rockstarmäßig an Ihnen?

Kaufmann: Einige Jeanssachen vielleicht, die den Leuten das Gefühl geben, bald ist wieder Frühling. Ich laufe gern mit Sonnenbrille im Haar herum, weil man mir ein Haarband nicht abnehmen würde. Aber ich trinke fast keinen Alkohol, außer Bier. Immerhin komme ich aus München. Ich rauche nicht. Ich habe kaum Lampenfieber. Ich gehe auf die Bühne, mache meinen Job, und danach ist die Sache für mich erledigt. Mehr Rockstar kann ich mir nicht leisten. Sexsymbol ist Nebensache.

RONDO: Was ist wirklich außergewöhnlich an Ihnen?

Kaufmann: Ich bin ein Deutscher unter vielen Südamerikanern. Momentan hat der Markt, was Tenöre anbetrifft, sozusagen Latinoschlagseite. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Als Zentraleuropäer stellt man sich vielleicht vor, dass in Südamerika die sängerische Passion mit der Muttermilch aufgesogen wird. Und dass wir hier diese Leidenschaft nicht ganz aufbringen können. Ich hoffe, diese Annahme Lügen strafen zu können.

RONDO: Sie sind dermaßen vielseitig, dass man Sie in ein und derselben Woche als Mozarts Tamino, Wagners Parsifal und Verdis Alfredo erleben kann. Wie lange brauchen Sie zum Umschalten?

Kaufmann: Nicht lange. Tamino kann relativ kräftig gesungen werden, und Parsifal ist eher leicht – außer beim großen Ausbruch im zweiten Akt. Ich habe Anfang des Jahres Don José in »Carmen« und zwei Tage danach den »Rigoletto«-Herzog gesungen. Das ist schon schwieriger. Denn die Tessitura, also die durchschnittliche Höhe der beiden Partien, ist sehr unterschiedlich.

RONDO: Warum muten Sie sich das zu?

Kaufmann: Ich habe es mir selber eingebrockt. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei mir gerade die Mischung das Besondere und auch das für mich Gesunde ist. Meine Stimme blüht auf, wenn ich Verschiedenes zu tun bekomme. Wenn ich immer nur in dieselbe Kerbe haue, leiert mein Tenor aus.

RONDO: Müssen Sie, um das durchzuhalten, enthaltsam leben?

Kaufmann: Nein. Viele Kollegen schweigen tagelang, um den Wechsel zwischen den Partien zu bewältigen. Ich nehme das Singen von der sportlichen Seite. Die Stimmbänder sind ein Muskelapparat, der wohldosiert, aber regelmäßig trainiert werden sollte. Ich brauche zehn bis 15 Minuten zum Aufwärmen pro Tag. Dann mache ich Yogaübungen und singe ein Paar Phrasen, so wie ein Fußballer am Morgen einige Runden läuft. Auf den »aufgelockerten« Stimmbändern aufbauend, versuche ich den neuen Stil zu finden.

RONDO: Tenöre wirken gemeinhin nicht besonders sportlich.

Kaufmann: Mehrfach pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen, dazu habe auch ich keine Lust. Ich schwimme, fahre gerne Rad und gehe in die Berge. Wenn man am Tag mehrere Stunden szenische Proben hinter sich bringt, hat man genug getan.

RONDO: Ihre neue CD verrät, dass Sie mit Macht ins italienische Fach vorpreschen.

Kaufmann: Ich wollte gern einen Überblick über mich geben. Es ist keine Rolle drauf, die ich nicht auch auf der Bühne gesungen hätte – oder demnächst singen werde. Im Grunde komme ich von Mozart her. Aber ich habe von Beginn an leichte Verdipartien und etliche Franzosen gesungen. Die Rollen sind im Laufe der Zeit immer mächtiger und »schwerer« geworden. Ich habe mir zur Prämisse gemacht, immer der Stimme zu folgen, nicht einem abstrakten Plan. Und ich sehe, dass ich diesen Weg sozusagen bis zum Ende weitergehen kann. Also bis zu Tristan und den richtig schweren Brocken.

RONDO: Finden Sie das nicht gefährlich?

Kaufmann: Wagner ist für mich die Königsdisziplin. Und wenn ich nicht irgendetwas falsch mache, wird es auch dazu kommen. Je ebenmäßiger man eine Karriere beschreitet, desto länger hält sie. Ich könnte schon jetzt drei, vier Stunden durchbrüllen, nur ist ja das nicht unbedingt das Ziel.

RONDO: Wird Wagner eigentlich so viel besser bezahlt?

Kaufmann: Ehrlich gesagt, ja. Wenn man sich auf das ganz schwere Fach konzentriert, kann man in relativ kurzer Zeit sehr viel Geld verdienen. Nur liebe ich diesen Beruf viel zu sehr, um in sechs, sieben Jahren so viel Geld heranzuscheffeln, dass ich mich dann zur Ruhe setzen könnte – und vielleicht müsste, weil die Stimme dann ruiniert wäre. Die Konkurrenz unter Wagnertenören ist eher klein, deshalb sind die Angebote und die Verlockungen, alles sofort zu machen, umso größer. Einige Tenöre lassen ihre Stimme bewusst härter werden, um über jedes Orchester hinwegpfeifen zu können.

RONDO: Sie nicht?

Kaufmann: Nein, ich hole mir bei Verdi, Puccini und Bizet die Weichheit, die ich mir im deutschen Fach wünsche.

RONDO: Repräsentieren Sie durch Ihre Vielseitigkeit ein Modell von gestern?

Kaufmann: In gewisser Weise schon. In den 20er und 30er Jahren haben viele Tenöre das gesamte Repertoire vom »Postillion von Lonjumeau« bis zu »Lohengrin« gesungen, und zwar parallel. Nur haben sich unsere Hörgewohnheiten so sehr verändert, dass wir in Fachbegriffen hören. Durch diese Einengung bekommt die Stimme kaum Chancen, sich zu entwickeln. Gewiss gibt es Stimmen, die ideal auf einem bestimmten Repertoire liegen. Meine nicht.

RONDO: Das Image wird immer wichtiger. Gefällt Ihnen das?

Kaufmann: Man versucht halt mit allen Mitteln, etwas Exotisches aus einem Charakter herauszukitzeln. Ich muss jeweils für mehrere Monate Koffer packen, da sind verrückte Designersachen ziemlich unpraktisch.

RONDO: Im Internet kursieren Fotos aus jener Zeit, als sie noch ohne Drei-Tage-Bart herumliefen. Ist die Klassik derart veräußerlicht?

Kaufmann: Vielleicht, aber auf meiner Seite ist alles nur Ausdruck einer gewissen Arbeitsscheu. Ich hatte meine Haare zum Beispiel aus purer Faulheit wachsen lassen. Damals stand gerade die Eröffnungsproduktion des Nuovo Piccolo Teatro in Mailand an. Ich wurde prompt abgelehnt. Als ich dann doch noch engagiert wurde und frisch rasiert mit kurzen Haaren zu den Proben erschien, haben alle einen Schreck gekriegt und mir eine Perücke aufgesetzt. Das hat mich so gewurmt! Da habe ich mir geschworen: Nie wieder Perücke!
TENORFÄCHER: TAMINO, TRISTAN, TURIDDU
Denkbar verschieden präsentieren sich in Mozarts »Zauberflöte« der Mohr Monostatos und der Prinz Tamino; der charakterlichen Unterschiedlichkeit entspricht auch eine stimmliche: Monostatos ist ein Paradebeispiel für das Fach des Spieltenors. Stimmlich und körperlich wendig hat er zu sein, und eine deklamationsnahe Singweise ist für ihn von Vorteil, denn er hat viel Text zu transportieren. Von Tamino dagegen erwartet man jugendlichen Schmelz, ausgeprägte Legatobegabung und gute Höhe – seine Partie ist eine Paraderolle für einen lyrischen Tenor.
Und wenn Wagners »Meistersinger« auf dem Spielplan stehen, dann kann sich der Spieltenor (auch Tenorbuffo genannt) möglicherweise die Partie des Lehrbubens David ergattern, falls er über genügend Durchschlagskraft verfügt, um sich auch gegen Wagners Orchester behaupten zu können; womöglich schafft er es sogar, sich im Falle einer Aufführung von Wagners »Ring« die Rolle des Zwergs Mime zu erarbeiten, die ihn stimmlich wie darstellerisch noch stärker fordert; dann darf er sich Charaktertenor nennen. Der lyrische Tenor hingegen müsste noch einige Briketts zulegen, um in den »Meistersingern « die Partie des Stolzing verkörpern zu können; nicht selten landen die Taminosänger, wenn sie in den »Meistersingern« gefragt sind, daher auch beim David, während für den Stolzing ein jugendlicher Heldentenor gebraucht wird. Einen solchen benötigt man auch etwa für die Partie des Max in Webers »Freischütz«.
Reüssiert ein solcher Heldenanwärter in seinem Fach und baut seine Stimme in puncto Volumen und Durchschlagskraft weiter aus, ohne sie kaputt zu machen, dann kann er sich zum veritablen Heldentenor entwickeln: Dieser muss über eine sehr kräftige und tragfähige Stimme mit guter Tiefe und Mittellage verfügen, und er braucht vor allem ein großes Durchhaltevermögen, denn seine Partien, darunter Wagners »Tristan« und »Tannhäuser«, sind in jeder Hinsicht sehr fordernd. Dafür darf er in der Vollhöhe vielleicht etwas eingeschränkter sein: Heldentenorpartien bewegen sich über weite Strecken nicht über ein hohes A oder B hinaus.
Damit würde der Held im italienischen Fach freilich nicht weit kommen: Der Spintotenor, das Gegenstück zum deutschen Helden, braucht eine ausgeprägte Höhensicherheit mindestens bis zum hohen C. Partien wie Rodolfo in »La Bohème« oder Cavaradossi in »Tosca« gehören zu seinem Repertoire.
Noch weitaus leichter als er sollte der Tenore di grazia sich in höchste Lagen aufschwingen können: Seine Rollen, die sich in Opern von Rossini, Bellini oder Donizetti finden, gehen im Extremfall schon mal um eine Terz über das C hinaus und verlangen außerdem eine sehr gute Koloraturfähigkeit.
Übrigens: Fächereinteilungen dieser Art dienen allenfalls der Orientierung und sind heiß umstritten. Sie haben auch keine festen Mauern als Grenzen: Viele Sänger decken gleichzeitig oder nacheinander mehrere solcher »Fächer« ab. mw






 
 
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