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Opernglas, Mai 2006 |
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Gerade sang er erstmals den Parsifal, bald steht das Stolzing-Debüt an.
Über Karriere und Rollenwahl sprach Jonas Kaufmann mit unserem Mitarbeiter
Dr. Thomas Baltensweiler in Zürich.
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Auf dem Weg zu Wagner
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Florestan, Max im »Freischütz« und jetzt Parsifal — eine konsequente
Entwicklung. Ist sie Ergebnis einer systematischen Planung?
Natürlich versuche ich Schritt für Schritt vorwärts zugehen und nicht mit
der Tür ins Haus zu fallen. Von einem krassen Fachwechsel halte ich
ohnehin nicht viel. Früher war es selbstverständlich, dass eine
Sopranistin Pamina und am nächsten Abend Sieglinde sang. Heute hört man
immer wieder, das gehe überhaupt nicht. Außerdem ist es furchtbar
langweilig, wenn man immer wieder die gleichen Partien singen muss. Man
kann auch die Erkenntnisse, die man in einer neuen Partie gewinnt, in die
alten Rollen einbringen. Abwechslung führt zu Qualitätssteigerung. Deshalb
bemühe ich mich auch um das italienische und das französische Fach. Was
die Entscheidungen bei den Partien betrifft, so werde ich immer wieder von
mir selbst überrascht. Man ist fest überzeugt, dass man mit einer Rolle
warten muss, und plötzlich merkt man, dass die Stimme einen größeren
Schritt gemacht hat, als man glaubte. Dann muss man der Stimme folgen,
doch ist das schwierig, weil der Opernbetrieb langfristig plant —
gegenwärtig bis ins Jahr 2011. Da braucht man ein bisschen hellseherische
Fähigkeiten, um festzustellen, wohin die Stimme tendiert. Man hat von mir
schon früh gesagt, da seien wagnersche Anklänge in der Stimme. Darüber
habe ich mich gefreut und gedacht, irgendwann möchte ich auch einmal
Wagner singen. Hätte man mir vor fünf Jahren prophezeit, ich würde nun als
Stolzing in den »Meistersingern« auftreten, hätte ich das nicht für
möglich gehalten.
Also ist Planung nur bedingt möglich?
Man hat gewisse Ziele, zum Beispiel den Werther, den Hoffmann oder den
Edgardo in »Lucia« — Ziele, die dringlich sind. Das sind Partien, die ich
jetzt gerne singen möchte. Der Hoffmann soll kommen, aber er ist noch
nicht fest geplant. Dann gibt es andere Partien, die ich unbedingt später
einmal singen möchte, zum Beispiel den Otello, eine fantastische Rolle,
sowohl vom Bühnencharakter her als auch sängerisch. Aber Otello, das ist
nicht heute oder morgen. Wenn jedoch das Angebot käme, die Rolle in sieben
Jahren zu verkörpern, würde ich zugreifen. So wartet man als Sänger ab.
Aus dem theoretischen Repertoire entsteht in Kombination mit dem Markt der
eigentliche Auftrittskalender.
Werden wir uns vom Mozart –Sänger Jonas Kaufmann langsam
verabschieden müssen?
Ich hoffe nicht. Ich versuche, alles unter einen Hut zu bringen, das
relativ große Spektrum, das ich bisher schon bestreite, auch künftig so
breit wie möglich zu halten. Ich habe von älteren Kollegen erfahren, dass
man mit Mozart sein eigenes Können bzw. sein Noch-Können, den Zustand der
Stimme kontrollieren kann. Mozart-Singen hat auch therapeutische Effekte.
Grundsätzlich werde ich die Mozart-Partien beibehalten, auch wenn die eine
oder die andere vielleicht wegfällt. Ich habe nicht vor, nur noch Wagner
zu singen. Es ist einfach wie immer: Ich habe jedes Jahr ein bis zwei
Versuchsballons, mit denen ich feststellen will, wieweit ich stimmlich
bin. Ich weiß schon, dass ich den Parsifal singen kann. Die Frage ist, was
mit meiner Stimme geschieht, wenn ich das öfter tue. Deshalb weigere ich
mich, bei solchen Partien, die sich an der oberen Grenze bewegen, gleich
mehrere Produktionen anzunehmen. Auch beim »Freischütz« und beim Florestan
habe ich zuerst eine Serie Vorstellungen gesungen und dann erst gesagt:
„Das geht gut.“ Eine Gefahr besteht nicht nur darin, was man singt,
sondern auch darin, wie oft man es singt.
Haben Sie jemanden, der Sie berät, bevor Sie eine neue Rolle
annehmen?
Beraten werde ich von meinem Manager, der das Metier kennt und Komponieren
sowie Dirigieren studiert hat. Meine Frau, die auch Opernsängerin ist,
bleibt meine schärfste Kritikerin. Ich brauche jemanden, der den Finger
auf die Wunde legt. Nach einer gewissen Zeit sagt einem sonst niemand
mehr, was man verbessern kann.
In einem früheren Interview mit dem „Opernglas“ (6/2002) haben Sie
gesagt, Sie wollten den Florestan konzertant ausprobieren, aber „jetzt
noch auf keinen Fall“ auf der Bühne singen. Nur anderthalb Jahre später,
im Februar 2004, kam gleichwohl bereits das szenische Debüt. Lässt sich
die Dynamik einer erfolgreichen Karriere noch kontrollieren?
Wenn ich alles machen würde, was mir der Markt bietet, zöge ich von
Konzerthalle zu Konzerthalle und sänge irgendwelche Opernschnulzen. Ich
kann mir nicht vorstellen, was mir das außer Geld brächte. Es wäre keine
musikalische Erfüllung. Das Gleiche gilt für Plattenaufnahmen. Wie oft
habe ich Angebote bekommen, die eine oder andere interessante Platte zu
machen, wenn ich dafür eine Crossover-CD aufnehme! Doch wozu? Insofern
glaube ich, dass mein Berufsweg nicht einfach vom Markt bestimmt wird.
Aber es ist nicht alles möglich, was ich mir wünsche. Doch Sie wollten
eigentlich wissen, weshalb so schnell ein Bühnen-Florestan kam.
Ursprünglich hatte ich die Rolle nicht singen wollen. Meine Vernunft hatte
mir gesagt, das sei zu früh. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung war,
dass man mit einer solchen Partie eine neue Türe aufstößt. Das ist dann
nach den konzertanten Aufführungen tatsächlich geschehen. Sofort kamen die
wildesten Angebote. Doch Helmuth Rilling, unter dem ich konzertant
debütierte, hatte mir zugeredet und gesagt, er werde »Fidelio« nicht als
Brüll-Oper herausbringen, sondern mit jungen Sängern. Und tatsächlich war
es dann einfach, den Florestan zu singen. Die Rolle hat meiner Stimme gut
getan. Es war nicht so, dass ich das Gefühl hatte, meiner Stimme fehle
nach dem »Fidelio« Flexibilität, oder sie hätte die Fähigkeit zu
Nuancierungen verloren. Sie war wie freigeputzt. Es war wirklich
faszinierend. Deshalb habe ich das Angebot angenommen, kurzfristig eine
Wiederaufnahme mit Harnoncourt in Zürich zu machen. Vielleicht sprechen
wir uns in einem Jahr wieder, und Sie weisen dann daraufhin, der Stolzing
sei bereits ein zweites Mal geplant. Das kann schon sein. Vielleicht finde
ich im Sommer die Partie perfekt für mich, vielleicht entscheide ich dann
aber auch, sie für drei Jahre liegen zu lassen.
Vieles bei der Wahl einer Partie ist auch abhängig von der persönlichen
Reife. Charaktere wie Hoffmann oder Don José sind emotional sehr packend
angelegt. Ich habe immer Angst, so davon gefangen genommen zu werden, dass
ich die stimmliche Vorsicht vergesse. Man gerät dann auf der Bühne leicht
in eine Ekstase. Ich will mich einer Rolle voll hingeben können, ohne die
Kontrolle über die Stimme zu verlieren.
Das Darstellerische ist Ihnen wichtig?
Die Zeit der Stimmträger, wie wir im Studium Sänger nannten, die für eine
Rolle nichts als ihre Stimme mitbringen, ist vorbei. Kino und Fernsehen
haben einen gewissen Anspruch an Realitätsnähe erzeugt. Die Fantasie des
Zuschauers kann nicht mehr so leicht ergänzen, was darstellerisch fehlt.
Die Leute denken heute rasch einmal: „Wo ist die Fernbedienung?“ Deswegen
braucht man auf der Bühne nicht gleich ein Höllenspektakel zu
veranstalten, aber man muss sehr realistisch arbeiten, die Charaktere
präzise darstellen und Spannung erzeugen. Und um das zu können, muss man
sich in eine Rolle hineinversetzen. Nicht in dem Sinne, dass man nachher
als Peter Grimes nach Hause geht, das ist klar. Hier hilft eine Familie.
Denn wenn man eine halbe Stunde nach Vorstellungsende seinem Kind die
Windeln wechselt, dann ist man sehr schnell wieder aufdem Boden der
Tatsachen, ein ganz normaler Mensch.
Es scheint Ihnen etwas zu gelingen, was nicht selbstverständlich
ist: in Europa und in den USA gleichzeitig Karriere zu machen. Wie kam es
zur US-Karriere?
Bei einem Vorsingen in München war Matthew Epstein, der künstlerische
Leiter der Lyric Opera of Chicago, anwesend. Nach einem weiteren Vorsingen
wurde mir dann gleich die »Traviata« angeboten. Ich lehnte aber ab. Ich
hatte bis dahin weder die Partie des Alfredo gesungen, noch war ich jemals
in den USA aufgetreten oder an einem so großen Haus. Ich habe gesagt, dass
ich lieber eine Partie sänge, die mich nicht so sehr belastet. Das
Resultat war dann der Cassio in »Otello«. Ich kam sehr gut an, und sofort
folgten Angebote von anderen Häusern. Mein Lebensmittelpunkt ist
allerdings Europa, und so kann ich viele Angebote aus den USA nicht
annehmen. Ich beschränke mich auf Chicago und die Met. Im Übrigen ist der
US-Markt nicht so abgeschlossen. Ich habe festgestellt, dass zu den
Festspielen in Salzburg und in Edinburgh viele Amerikaner kommen, die dann
Informationen über die Interpreten nach Amerika zurücktragen.
Sie singen auch italienische Partien. Ist es für einen deutschen
Tenor nicht schwierig, sich in diesem Fach gegen die Konkurrenz aus
südlicheren Gefilden durchzusetzen?
Es gibt im deutschen Sprachraum gewisse Opernhäuser, an denen das nicht
leicht ist. Aber an der Met, in London, Paris und Wien werde ich in »La
Traviata« singen. Langsam klappt es mit dem italienischen Fach.
Interessanterweise erhalte ich die meisten Angebote für italienische
Partien aus Italien. Das ist sehr bezeichnend für den darnieder liegenden
Nachwuchsmarkt im Heimatland von Verdi und Puccini. Die Scala hat mir
schon mehrere Partien angeboten, aber die italienischen Opernhäuser kommen
immer sehr spät mit ihren Anfragen. Wenn man in Italien einen Vertrag für
eine Produktion in drei Jahren unterschreibt, ist das Risiko groß, dass
der Vertrag nicht erfüllt wird, weil die Produktion inzwischen gestrichen
worden ist. Ich kenne viele italienische Kollegen, die sagen, dass sie,
wenn sie in ihrer Heimat singen wollen, einfach einen Zeitraum frei
halten. Für jemanden, der langfristig plant, ist es schwierig, den
italienischen Markt zu bedienen.
Sie sind freischaffend tätig, haben aber auch einen Vertrag mit der
Oper Zürich.
Dank meines Vertrags mit Zürich habe ich jetzt die Möglichkeit, regelmäßig
zu Hause zu sein und trotzdem zu singen. Zur Probe zu gehen nach dem
Frühstück mit der Familie, das ist ein großer Luxus. Der Normalfall sieht
so aus: entweder Privatleben oder arbeiten, wobei arbeiten auch heißt, in
einem fremden Appartement oder Hotelzimmer zu sitzen und die Zeit
totzuschlagen. Im Schnitt ist man im Ausland bei einer Produktion sechs
Wochen tätig, in Deutschland noch viel länger. Mein jüngster Spross ist
knapp sieben Wochen alt; wenn ich aus Amerika von meinen nächsten
Auftritten zurückkomme, ist er schon doppelt so alt. Es gibt Traumangebote
ohne Ende; wenn ich nicht in Zürich bestimmte Termine fixieren würde,
liefe vieles aus dem Ruder. Natürlich ist es interessant, zwei Tage da und
zwei Tage dort aufzutreten — das ist am Schluss wie eine Sucht. Vor
zweieinhalb Jahren, als ich in Salzburg in der »Entführung« auftrat, gab
ich 17 oder 18 Vorstellungen und Konzerte innerhalb eines Monats, denn ich
hatte noch andere Engagements, die ich schon vor Salzburg eingegangen war.
Das war zu viel.
Regelrechtes Ensemblemitglied waren Sie nur kurze Zeit, von 1994 bis
1996 in Saarbrücken.
Wie lange müsste ich denn in der Provinz bleiben? Wir reden ja nun von
Wagner-Partien. Ich bin 36, für Wagner also noch relativ jung. Um dieses
Repertoire in der Provinz zu entwickeln, müsste ich mich bis 45 bedeckt
halten. Ich habe den Rat bekommen, dass man einen Festvertrag an einem
mittleren Haus anstreben sollte, um die großen Rollen zu erarbeiten. Das
finde ich nicht richtig, denn es gibt dieses ideale „mittlere“ Haus gar
nicht mehr. Es gibt zum einen Häuser, die aus Prestigegründen nur noch
kleinere und mittlere Partien mit ihren Ensemblemitgliedern besetzen und
für die Hauptrollen Gäste engagieren; und dann gibt es die kleinen
Theater, die sich überhaupt keine Gäste leisten können, was zur Folge hat,
dass man alles singen muss, also eben auch Partien, die einem nicht gerade
bequem liegen. Die Mischung von verschiedenen Rollen kann sehr
problematisch sein.
Übrigens habe ich auch versucht, Rollen zum ersten Mal an kleineren
Häusern zu übernehmen. Ich möchte nicht überheblich klingen, aber die
Rechnung geht nicht unbedingt auf. Denn die eigene Leistung wird immer
gesteigert durch die Qualität der Kollegen, des Dirigenten und des
Orchesters, und wenn da jemand hinterherhinkt, leidet auch die eigene
Leistung.
Hat Ihres Erachtens das deutsche Stadttheater als Institution
ausgedient?
Ich habe von Lehrern wunderbare Geschichten gehört über Sänger, die —
sagen wir einmal — in München vorgesungen haben. Der GMD hat sie
anschließend für zwei Jahre nach Augsburg, für die darauf folgenden zwei
Jahre nach Nürnberg vermittelt und sich dann mit den Worten verabschiedet:
„Wir sehen uns in vier Jahren wieder.“ Heute ist solches unvorstellbar.
Zudem ist die Gefahr groß, dass ein Sänger, bis er nach München
zurückkommt, seine Qualitäten verloren hat. Ich vermute tatsächlich, dass
das deutsche Stadttheater als Institution ausgedient hat. In Deutschland
ist der Markt nicht mehr da, der es zuließe, so viele Häuser zu betreiben
und zu füllen. Es gibt Leute, die sagen, das liege an der guten Qualität
der Plattenaufnahmen. Ich glaube eher, der Grund ist darin zu suchen, dass
die Welt heute zusammengerückt ist. Wenn die Leute zum Weihnachtsshopping
nach New York fliegen, fragen sie sich: „Wieso soll ich ins Stadttheater
gehen? Da singt doch die Frau XY und nicht die Frau Netrebko.“ Die
Mentalität, quasi in Hausschuhen ins eigene Opernhaus zu gehen, gibt es
heute nicht mehr. Deshalb wird sich der Opernapparat, so traurig das
klingt, auf einige Zentren und den Hype mit Superstars konzentrieren.
Saarbrücken, wo ich angefangen habe, musste extreme finanzielle
Einschnitte mit entsprechenden Konsequenzen für den Spielbetrieb in Kauf
nehmen. Man versucht sich dort gesund zu schrumpfen, aber auf der Vielfalt
beruht die Attraktivität eines solchen Hauses. Von Saarbrücken aus, um
beim Beispiel zu bleiben, bin ich rasch in Mannheim und Frankfurt, und in
der anderen Richtung liegt Paris, das in dreieinhalb Stunden zu erreichen
ist. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass die Nachwuchsförderstätten
verschwinden. Natürlich gibt es Opernstudios an den großen Häusern, aber
die Plätze reichen nicht aus, um Nachwuchs in genügender Zahl
hervorzubringen. Der nächste Schritt nach dem Opernstudio sollte an ein
kleineres oder mittleres Haus führen, wo man die Partien ausprobieren
kann. Es geht dabei auch um die Routine im Beruf: Wie bereite ich mich
vor? Wie bewege ich mich? Das zu erfahren braucht Zeit; und das ist dann
die Phase, in der man nicht zu stark beobachtet werden möchte. Ein Weg aus
den Problemen, den viele große Häuser gehen, ist das Sponsoring, das
allerdings umstritten ist.
Vor allem in Amerika ist Sponsoring verbreitet.
Ja, dort sind die Häuser privat finanziert; die Freiheit der Kunst ist
dadurch aber eingeschränkt. Wenn eine Produktion nicht dem entspricht, was
man sehen möchte, dann werden dem Haus die Gelder entzogen. Auf der
anderen Seite war es eigentlich schon immer so, dass man sich nach dem
Publikum richten musste. Das hat natürlich auch Grenzen. Ich kann nicht
das ganze Jahr Kitsch spielen. Aber ich muss mir auch überlegen, was einem
zahlenden Publikum zumutbar ist. |
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